Modemarken und Modehändler auf, mit und neben Amazon

13. Dezember 2019 Analysen 0
Modemarken und Modehändler auf, mit und neben Amazon

Unternehmen im Fashion-Sektor haben im Gegensatz zu Unternehmen in anderen Produktkategorien entscheidende Vorteile gegenüber Amazon. Amazons Marktplatz wird zwar auch für Modehändler und -marken zunehmend wichtig, er ist jedoch nicht der alles entscheidende Distributionskanal und wird dies aller Voraussicht nach in absehbarer Zeit auch nicht werden. Denn – wie unser aktueller E-Commerce Germany Report zeigt – ist Amazon in der Kategorie Bekleidung strukturell schwach. Eine Analyse von Marcel Weiß, Strategy Analyst bei digital kompakt, aus dem E-Commerce Germany Report.

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Hierfür gibt es einen simplen Grund: Amazon ist als allgemeine Plattform mit einem Marktplatz, der alles für alle sein will, ein „Everything-Store“. Jede Produktart wird in das gleiche Muster gepresst. Dies funktioniert für manche Produktkategorien besser, für andere schlechter. Im Bereich Mode zeichnet sich bisher Letzteres als Entwicklung ab.

„Kunden kennen Amazon und kaufen auf der Plattform Produkte aus Gewohnheit ein – darunter auch Kleidung.“

(Marcel Weiss | Strategy Analyst bei digital kompakt)

Was für Amazon ein Problem darstellt, begreifen andere als Chance: Anbieter wie Stitchfix in den USA oder auch Vente Privée, ASOS und Zalando in Europa erobern mit unterschiedlichen Discovery-Modellen den Online-Modemarkt. Amazon weist ihnen gegenüber kaum Stärken bei Branding und Inspiration auf. Die Erfolge von Amazon Fashion, wie etwa ein signifikanter Marktanteil, sind im Wesentlichen auf die generelle Popularität des Marktplatzes zurück zu führen. Kunden kennen Amazon und kaufen auf der Plattform aus Gewohnheit ein. Sie machen dies nicht, weil Amazon ein Vorzeige-Online-Modehändler mit gutem Kauferlebnis ist, sondern weil die Plattform ihre erste Anlaufstelle für Shopping im Netz darstellt.

Aus diesen Fakten lassen sich zwei wesentliche Erkenntnisse für Modehändler und -hersteller zusammenfassen, welche das Verhalten gegenüber Amazon bestimmen sollten:

  1. Nicht für jeden Händler oder Hersteller ist es zwingend notwendig, auf Amazons Marktplatz zu agieren. Wird eine Entscheidung gegen Amazon gefällt, sollten hierfür jedoch gute Gründe vorliegen. Beispielsweise können etwa Luxusmarken argumentieren, dass der Amazon Marktplatz kein hochwertiges Verkaufsumfeld darstellt.
  2. Aus strategischen Gründen ergibt es nur für wenige Hersteller und Händler Sinn, einzig auf dem Amazon Marktplatz tätig zu sein. Im Mode-Sektor gilt dies noch stärker als in anderen Bereichen: Aufgrund der relativen Schwäche von Amazon kann der Marktplatz maximal ein Baustein von vielen in der Online-Strategie sein.

Strategie ist alles: So klappt es mit Amazon

Vier sich gegenseitig ergänzende Teilstrategien sind sowohl für Modemarken als auch -händler auf Amazon zu empfehlen.

 

I. Die eigene Marke im Amazon-Suchschlitz

Für Fashion-Hersteller und Modehändler mit Eigenmarken gilt gleichermaßen: Die eigene Marke ist ein missionskritisches Asset für Verkauf und Kundenbindung. Es ist möglich, Marken auf Amazon aufzubauen – Unternehmen wie Anker haben dies im Elektronikbereich bewiesen – allerdings passt Elektronik sehr viel besser in den auf Vergleichbarkeit und bereits bekanntes Kaufinteresse ausgerichteten Shoppingkontext des Amazon Marktplatzes. Mode demgegenüber funktioniert als Produktkategorie, die anhand von Inspiration Verkäufe generiert, deutlich schlechter für einen wie Amazon positionierten Akteur.

Es stellt sich also die Frage: Wie finden Kunden meine Produkte? Dafür gibt es drei allgemeine Verhaltensmuster:

  1. Die Kunden suchen konkret nach einer Marke. Sie kennen diese also bereits und wollen sie via Amazon kaufen.
  2. Die Kunden suchen nach einer bestimmten Kleidungsart (Jeans, Krawatte) und entdecken darüber Modeangebote.
  3. Kunden, die viel Mode auf Amazon kaufen, bekommen auf der Startseite Fashionprodukte angeboten. Dies lässt sich jedoch nur bedingt und anhand von Metadaten-Optimierung beeinflussen.

Besonders im Bereich Mode ist der dritte Weg zu vernachlässigen, da er Kunden überaus selten zum Produkt führt. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle finden diese ihre Produkte über den Suchschlitz. Somit sollte das eigene Engagement auf Amazon ausgehend vom Amazon-Suchschlitz geplant werden.

Zur Planung ihrer eigenen Amazon-Strategie sollten Sie u.a. folgende Fragen beleuchten:

  • Möchte ich meine Marke auf Amazon aufbauen?
  • Wer sind die Marktführer und Hauptkonkurrenten in meinem Segment?
  • Kann ich bei ihren Suchergebnissen auf Amazon nachhaltig Werbung für meine eigenen Produkte setzen?
  • Wie kann ich funktionale, nicht branding-intensive Kleidung gut in den Suchergebnissen auf Amazon platzieren?
  • Welche Marktplatz-Anbindung ist sinnvoll?
  • Brauche ich eine Eigenlösung oder einen Dienstleiser wie Tradebyte?
  • Sollte ich als Seller, Vendor oder Hybrid auf dem Marktplatz agieren? (siehe hierzu Fallstudie 2: Vertriebswege und Kundentypen im digitalen Modemarkt)

 

II. Eigenmarken auf Amazon positionieren

Des Weiteren ist es möglich, eine Submarke exklusiv für den Amazon Marktplatz (und/oder andere Marktplätze) zu konzipieren. Auf diesem Weg lassen sich die „exklusiven“ Produkte kompromisslos für den Marktplatz optimieren, bestehende Produktionsprozesse und Einkaufsexpertise können aber voll ausgeschöpft werden. Der wohl größte Vorteil ist jedoch, dass das Risiko für eine Schädigung der bestehenden Marke sehr gering ist. Im Extremfall kann eine Submarke auch komplett inkognito mit einem neuen Tochterunternehmen umgesetzt werden.

Auf diese Weise lässt sich mit überschaubarem Risiko und Ressourceneinsatz der Amazon Marktplatz und andere Marktplätze analysieren, im kleinen Rahmen bespielen und schließlich das eigene Marktplatz-Angebot im laufenden Betrieb weiterentwickeln.  Hierbei sollte jedoch nicht die Hauptmarke aus den Augen verloren werden. Ob Eigen- oder Submarke: Modemarken und -händler müssen sich bei Amazon auf den Suchschlitz einstellen und Dinge anbieten, die auffindbar sind bzw. gesucht werden. Denn darüber entscheidet sich, was auf dem Amazon Marktplatz sinnvollerweise angeboten werden sollte und sich potenziell nicht lohnt.

 

III. Multihoming – Auf mehreren Marktplätzen stattfinden

Die Größe und damit Marktmacht des Amazon Marktplatzes birgt ebenso viel Wachstumspotenzial wie Risiko zur Abhängigkeit. Eine Abhängigkeit etwa, bei der zwar die Umsätze explodieren, aber Amazon den Großteil der Marge für sich behält, muss vermieden werden. Neben einer Strategie für das Verhalten auf Amazon ist deshalb Multihoming für das langfristige und lukrative Überleben zwingend notwendig. Wer gerade im Modesektor ausschließlich auf Amazon setzt, begibt sich in eine unnötige Abhängigkeit. Der Fashionmarkt bietet den Vorteil, dass sowohl unterschiedliche Online-Anbieter als auch Marktplatzansätze miteinander konkurrieren.

So hat etwa Zalando erst 2019 eine aggressive Marktplatzstrategie ausgerufen. Wer sein eigenes Potenzial online voll ausschöpfen will, kommt dementsprechend mit Amazon und Zalando bereits auf mindestens zwei (Mode-)Marktplätze, die sinnvoll bespielt werden wollen. Für den Multihoming-Ansatz lohnt es sich deshalb oftmals, auf spezialisierte Anbieter für Marktplatzanbindungen zu setzen. Tradebyte, das 2016 von Zalando übernommen wurde, Mirakl aus Frankreich, Channel Pilot und Plentymarkets sind etwa Kandidaten, die hierfür zu evaluieren sind.

Im Backend, also auf der eigenen Datenbankseite, sind folgende Punkte zu beachten:

  • Gestalten Sie die API (Programmierschnittstelle) so, dass Dienstleister für Marktplatzanbindungen (oder In-House-Anbindung), Logistik etc. nicht nur leicht implementiert, sondern im Zweifel auch mit überschaubarem Aufwand ausgetauscht werden können.
  • Setzen Sie die API-Architektur so auf, dass nicht nur die Datenanalyse des Dienstleisters genutzt werden kann, sondern auch eigene oder andere Datenanalyse-Tools integriert werden können. Hierfür gibt es mehrere Gründe: Bei einem Dienstleisterwechsel müssen historische Daten weiterhin nutz- und vergleichbar bleiben. Außerdem muss bei einer externen Datenanalyse dienstleisterunabhängig, strategisch und taktisch gehandelt werden. Etwa, wenn für einen besonders wichtigen Marktplatz auf eine Eigenentwicklung mit speziellen Funktionen gesetzt wird, während alle anderen Marktplätze via Dienstleister bespielt werden.
  • Besonders wichtig sind Aufbau und Pflege der organisatorischen Strukturen, die Insights aus den Marktdaten ziehen und daraus Handlungsoptionen ableiten und umsetzen (siehe hierzu Punkt 4 weiter unten).

Je nach Markenstärke sollte auch eine eigene Website/Webshop/mobile App gepusht werden. Der Direct-2-Consumer-Ansatz ist der schwerste, aber gleichzeitig potenziell ertragreichste Weg. Er benötigt die stärkste Markenbindung bei den Kunden und signifikantes technisches Know-How, um erfolgreich zu sein. Er bietet jedoch dank direktem Kundenkontakt das stabilste, weil von anderen Unternehmen unabhängigste, Modell.

Wichtig ist es, die Marktplätze als eigene Welten zu verstehen, auf die es sich einzustellen gilt, um erfolgreich zu sein. Sie sind keine austauschbaren Kanäle. Wer beispielsweise jeden Marktplatz undifferenziert mit einmal produzierten Produktbeschreibungen flutet, wird immer hinter dem eigenen Marktpotenzial zurückbleiben. Im Zweifel, etwa bei Ressourcenknappheit, sollte lieber auf die Anbindung des einen oder anderen Marktplatzes verzichtet und dafür der Fokus auf die reichweitenstärksten Marktplätze gelegt werden.

 

IV. Auf die neue Onlinewelt mit einem Chief Marketplace Officer einstellen

Bis auf sehr wenige Ausnahmen benötigt jeder online erfolgreiche Modeplayer eine dedizierte Online-Strategie für Social Media und Online-Marktplätze. Denn: Gerade der Amazon Marktplatz ist eine Welt für sich. Um ihn herum hat sich ein rasant wachsendes Ökosystem an Technologiedienstleistern und Agenturen entwickelt, die bei der Marktplatzanbindung helfen wollen. Gleiches gilt für eBay und wird künftig auch für Zalando, Farfetch, Instagram oder Pinterest gelten.

„Wer bei Amazon, Zalando und co. verkauft, braucht einen Chief Marketplace Officer.“

(Marcel Weiss | Strategy Analyst bei digital kompakt)

Außerdem entwickelt sich die Onlinewelt rasant weiter. Neue Spielwiesen für Fashionplayer, können dank exponentiellem Wachstum durch Netzwerkeffekte in kurzer Zeit an Bedeutung gewinnen. Daneben arbeiten die bereits erwähnten Social Networks Instagram und Pinterest an der Optimierung ihrer direkten Handelsanknüpfungen und können aus Marken- und Händlersicht dadurch künftig wie Marktplätze betrachtet werden. Sie unterliegen jedoch völlig anderen Dynamiken auf der Endkundenseite und bedürfen einer intensiven Auseinandersetzung.

Aus diesen Gründen empfiehlt sich die Schaffung einer organisatorischen Einheit, die sich ausschließlich mit dem Marktplatz-Thema beschäftigt. Kleine Unternehmen sollten mindestens eine Vollzeitstelle für dieses Thema schaffen: den Chief Marketplace Officer. Der Chief Marketplace Officer bzw. seine Abteilung übernimmt zum einen die strategische Planung bezüglich der Positionierung auf dem Amazon Marktplatz und anderen Marktplätzen, zum anderen übernimmt oder koordiniert sie die operative Umsetzung der Strategie und gibt Entwicklungsabteilung wie Marketing die Stoßrichtung vor.

Der Aufgabenbereich des Chief Marketplace Officers sollte konkret folgende Punkte umfassen:

  • Etablieren von Business Intelligence (Analyse von Marktfeedback und Konkurrenz auf den Marktplätzen sowie Evolution der Marktplätze und der Dienstleister)
  • Koordinierung und/oder Umsetzung des Tagesgeschäftes (Schalten von Werbung auf den unterschiedlichen Marktplätzen, Verteilung der Produkte, Distribution, Kooperation, D2C)
  • Ausarbeiten und Umsetzen/Koordinieren von Marktplatz-Strategien. Mit entsprechend aufgestellten Logistikpartnern ist außerdem eine Internationalisierung über den Amazon Marktplatz und andere Marktplätze auch für bisher nur national tätige Modemarken im Vergleich zum stationären Geschäft vergleichsweise ressourcenschonend umsetzbar. Für diesen Internationalisierungsweg lohnt es sich, die verschiedenen Integrationsmodelle des Amazon Marktplatzes genau zu studieren und zu evaluieren.
  • Neue Plattformen wie beispielsweise Instagram und Pinterest in Verhältnis zum eigenen Engagement bei Amazon setzen und davon abhängig z. B. gezielte Influencer-Kampagnen für das Marketing initiieren.
  • Evaluierung weiterer Optionen wie Shoppingclubs.

Je nach Größe und Organisation des Unternehmens wird das Aufgabenspektrum des Chief Marketplace Officers unterschiedlich ausfallen. In der Regel umfasst es eine Mischung aus Sales, Marketing, operativem Geschäft, Business Development im Marktplatz- und das D2C-Segment. Eine explizite Stelle für diese Themen ist auch deshalb sinnvoll, weil das Marktplatzgeschäft in den nächsten fünf bis zehn Jahren volatil sein wird und temporär große Chancen für First Mover bestehen. Wer sich frühzeitig auf einem aufstrebenden Marktplatz positioniert, kann auf der Welle mitreiten, statt getrieben zu werden.

 

Fazit: Bewusst strategische Entscheidungen treffen

Für jedes Unternehmen muss die tatsächliche Umsetzung dieser vier Punkte zwangsläufig anders ausfallen. Aber jedes Modeunternehmen muss:

  1. eine konkrete und vor allem bewusste, also mit Prämissen zur eigenen Gesamtposition unterfütterte, Entscheidung auf strategischer Ebene bezüglich Positionierung (oder Nicht-Positionierung) auf Amazon fällen.
  2. sich auf mehreren Marktplätzen und mit eigener Präsenz positionieren und
  3. für die operative Umsetzung eine dedizierte Stelle in der Organisation schaffen.

Denn diese Entscheidungen müssen konstant evaluiert und feinjustiert werden. Amazon entwickelt seinen Marktplatz besonders schnell weiter und auch das Ökosystem wächst entsprechend. Wer organisatorisch Prozesse aufbaut, um den größeren Marktkontext im Blick zu behalten und beweglich genug ist, um auf Umweltveränderungen schnell und strategisch sinnvoll zu reagieren, hat die besten Karten für die ungewisse Zukunft.

Die Online-Marktplätze sind nicht die spirituellen Nachfolger der Modeläden, sie sind die Nachfolger der Innenstädte und Einkaufszentren. Welche Modemarke kam ohne Innenstädte und Einkaufszentren aus? Wer morgens keine funktionierende Onlinestrategie hat, ist schon abends für die Kunden unsichtbar und deshalb morgen bankrott.

 

Diese und weitere spannende Analysen findest du in unserem E-Commerce Germany Report

>>> www.digitalkompakt.de/reports <<<


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