Deutsche VCs haben kein Verständnis von Software – ist das ein Problem?

Verfügen deutsche Wagniskapitalgeber über ein ausreichendes Softwareverständnis? Ein Blick in die Praxis lässt anderes vermuten und offenbart, dass viele Investoren sich offenbar mehr für Kennzahlen als für Technologie und Produkt interessieren. Ab wann wird dies zu einem Problem?
Deutsche VCs und ihr Softwareverständnis
Ein Austausch mit Unternehmern der deutschen Digitalbranche offenbart schnell und regelmäßig, dass es hierzulande eher die Ausnahme zu sein scheint, dass sich deutsche Risikokapital-Investoren auch wirklich mit Produkt- und Technologiefragen auseinandersetzen. Lauscht man den Ausführungen junger Technologiegründer, klingt es vielmehr so, als würden alleinig Kennzahlenbetrachtungen, Excel-Tabellen, Investorenpräsentationen und Konkurrenzvergleiche das Bild an der Finanzierungsfront beherrschen.
Sogar Investoren höchst selbst machen mitunter keinen Hehl daraus, dass sie von der technischen Seite des Geschäfts kein wirkliches Verständnis haben und den Blick unter die Haube daher häufig anderen überlassen. Doch ist eine solche Haltung noch zeitgemäß, da Software praktisch allgegenwärtig und für nahezu jedes Unternehmen zum missionskritischen Faktor geworden ist?
Interessant für den Versuch, sich vom Software-Verständnis deutscher Investoren ein Bild zu machen, ist der Blick auf die Ausbildung und den Erfahrungsschatz der Partner deutscher VC-Fonds. Schließlich sind sie es, die am Ende des Tages die Investmententscheidungen treffen. Was haben deutsche VCs also studiert? Verfügen sie selbst über Berufserfahrung als Unternehmer in technischen Rollen? digital kompakt hat die Xing- und LinkedIn-Profile deutscher Fonds dazu einer Betrachtung unterzogen.
VC-Fonds der älteren Generation
Fonds | Partner | Abschluss? | Software-Erfahrung? |
---|---|---|---|
Earlybird | Hendrik Brandis Fabian Heilemann Ferry Heilemann Christian Nagel | Raumfahrttechnik Jura Finance Wi. Ing., Economics | Nein Nein Nein Nein |
eVentures | Andreas Haug Christian Leybold | k.A. Elektrotechnik | Nein Nein |
Holtzbrinck Ventures | Sven Achter Christoph Jung David Kuczek Lars Langusch Rainer Maerkle Christian Saller Martin Weber | Computer Science Business Administration Business Administration Business Business Administration Business Administration Marketing, Finanzen Law | Ja Nein Nein Nein Nein Nein Nein |
Target Partners | Berthold von Freyberg Waldemar Jantz Kurt Müller Michael Münnix | Physik, MBA k.A. Jura, MBA, Computer Studies Physik | Nein Nein Ja Ja |
Wellington Partners | Eric Archambeau Frank Böhnke Christian Reitberger | Elektrotechnik Economics Physik | Ja Nein Nein |
VC-Fonds der jüngeren Generation
Fonds | Partner | Abschluss? | Software-Erfahrung? |
---|---|---|---|
Capnamic Ventures | Jörg Binnenbrücker Olaf Jacobi Christian Siegele | Jura k.A. Physik, Int. Beziehungen | Nein Nein Nein |
Cherry Ventures | Filip Dames Daniel Glasner Christian Meermann | Business Administration Jura, Business Administration Business Administration | Nein Nein Nein |
GFC / Rocket Internet Capital Partners Fund | Oliver Samwer Marc Samwer Daniel Jones | Business Administration Jura Economics & Finance | Nein Nein Nein |
Lakestar | Nicolas Brand Manu Gupta Oliver Heimes Klaus Hommels Mark Schmitz Michael Stuenkel | Business Administration, Finance Computer Science, MBA k.A. Business Administration, Finance Jura Business Administration, Finance | Nein Ja Nein Nein Nein Nein |
Picus Capital | Alexander Samwer | Business Administration | Nein |
Paua Ventures | Christian Buchenau Moritz Poewe | Finance, Business Administration k.A. | Nein Ja |
Point Nine Capital | Christoph Janz Pawel Chudzinski | k.A. Business Administration | Ja Nein |
Project A | Florian Heinemann Uwe Horstmann Thies Sander | Business Administration Entrepreneurship Business Administration | Nein Nein Nein |
First Time Funds & Micro VCs
Fonds | Partner | Abschluss? | Software-Erfahrung? |
---|---|---|---|
BlueYard Capital | Ciarán O'Leary Jason Whitmire | Diplomkaufmann k.A. | Nein Nein |
Cavalry Ventures | Rouven Dresselhaus Markus Fuhrmann Marcel Hollerbach Dominik Matyka Claude Ritter Stefan Walter | Business Administration Strategic Management IT Business Diplom-Kaufmann Business Information Systems Finance, Media & Entertainment Management | Nein Nein Ja Nein Nein Nein |
Fly Ventures | Gabriel Matuschka Stephan Seyboth | Business Administration Computer Science | Nein Ja |
Join Capital | Jan Borgstädt Tobias Schirmer | Marketing, Business Administration Business Administration | Nein Nein |
Wirtschaftshintergründe dominieren
Es überrascht nicht wirklich, dass es vor allem Business Administration-Studiengänge und Wirtschaftszweige sind, die im VC-Umfeld dominieren. Ein analoges Bild zeigt sich bei der Berufserfahrung, wo es häufig Finanz-, Investmentbanking, Business Development oder Marketingstellen sind, die den Sprung in den VC-Bereich ermöglichen. Nur vereinzelt zeigen sich Investoren mit technischer Ausbildung und/oder entsprechenden Praxiserfahrungen – und wenn dann in der ehemals IT-lastigen Branche sogar eher aus Bereichen wie Physik.
Nun ist eine solche Betrachtung allenfalls bedingt aussagekräftig, beispielsweise stellt Target Partners einen der VCs mit der höchsten Technologieexpertise dar, hat in der Vergangenheit aber definitiv nicht die viel versprechendsten Deals gemacht. Auf der anderen Seite gibt es Investoren in der obigen Liste, die als stark produktorientiert und technologiefokussiert gelten, jedoch dennoch keinen technischen Background aufweisen. Bei aller Verzerrungsanfälligkeit darf aber festgehalten werden, dass deutsche VCs bei der Ernennung ihrer Partner eher ein kennzahlengetriebenes Signal senden.
Ist fehlendes Softwareverständnis ein Problem?
Nun stellt sich die Frage, was aus dieser These abzuleiten ist. Stellt es ein Problem dar, wenn deutsche VCs kein Software-Verständnis aufweisen? Beispiele wie Target Partners, Neuhaus oder Wellington zeigen, dass Technologieverständnis in der Vergangenheit nicht zwangsläufig der Garant für gute Deals war. Vielmehr war es eine Timingfrage, dass ein VC die richtigen Fähigkeiten zum richtigen Zeitpunkt aufbrachte.
Das heißt, die Ausrichtung des Geschäfts (und damit die Notwendigkeit bestimmter Fähigkeiten) verändert(e) sich mit der Zeit. War das Venture-Geschäft vor acht bis zehn Jahren noch stark IT-geprägt durch Themenfelder wie Halbleiterei oder Netzwerkinfrastruktur, wandelte sich die Branche sukzessive in Richtung softwarebasierter Modelle, wo es in Deutschland aber zunächst ausreichte, auf den Nachbau bewiesener Geschäftsmodelle mit geringer Softwarekomponente zu setzen.
Mittlerweile genügt solch ein Anspruchsdenken jedoch nicht mehr. Die Branche ist nunmehr vollends auf Software ausgerichtet und hat durch Entwicklungen wie SaaS, Cloud Computing usw. einen Schub erfahren. Technologische Lösungen müssen nun unmittelbar global arbeiten können und vor allem eines leisten: Schnelligkeit. Für VCs könnte dies bedeuten, dass nun ein Zeitpunkt gekommen ist, da auch sie ein ausgeprägteres Technologieverständnis aufbauen müssen.
Tech-Stack-Verständnis erforderlich
Was heißt dies konkret? Grundsätzlich muss ein Investor nicht derart technologisch bewandert sein, dass er den Source Code einer Gründung vollends verstehen kann. Um etwa eine technische Due Dilligence akkurat durchführen zu können, veraltet technisches Wissen deutlich zu schnell, als dass ein VC sein technisches Wissen auf aktuellem Stand halten und gleichzeitig Deals machen könnte. Der Einsatz externer Experten ist hier vollkommen gerechtfertigt.
Doch als VC grundsätzlich kein Software- und Produkt-Verständnis aufzuweisen und mit den Tech Stacks junger Unternehmer nichts anfangen zu können, dürfte für die kommende Generation VC-Fonds zum Problem werden. Es zeichnet sich ab, dass gerade First-Time-Funds eher dazu tendieren, kleinere Fondsgrößen aufzusetzen, weil der Markt die attraktive Verzinsung großer Fondsvolumen nur bedingt hergibt und sich damit keine attraktivere Incentivierung für den Fondsbetreiber ergibt. Wer jedoch vor allem kleine Tickets investieren kann und keine allzu signifikante Verwässerung fürchten will, tut gut daran, auf technologisch skalierbare Geschäftsmodelle zu setzen. Und soll dies ermöglicht werden, bedarf es einem soliden Verständnis von Software und idealerweise operativer Erfahrung bei deren Implementation.
Entsprechend ist zu beobachten, dass junge Fonds auch zusehends Software-Expertise in ihren Reihen aufzubauen versuchen. Ein Beispiel dafür ist etwa der junge Geldgeber Fly Ventures, der mit Stephan Seyboth einen Ex-Google Executive auf Partnerebene führt. Und auch von Holtzbrinck Ventures oder Lakestar ist zu hören, dass man zusehends auf einen Ausbau der technologischen Kompetenzen setzen will. Man darf also gespannt sein, ob sich das Profil deutscher Technologie-Geldgeber zeitnah nicht zusehends in Richtung mehr Softwareverständnis wandeln wird.
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Bildmaterial: Pixabay, Pixabay, Pixabay, Pixabay (Montage)
Spannende Analyse, Joel. Wäre cool, wenn Du zusätzlich den Unterbau der Fonds durchleuchtest, also auf Level der Analysten, Associates, Principals. Das wäre sehr spannend um mal zu sehen inwieweit die Fonds sich auf einen Wechsel hin zu mehr Technologieverständnis wandeln. Ich vermute nämlich, dass es dort viel mehr Tech-Talent gibt als der Artikel vielleicht vermuten lässt. Bei uns ist Jonathan z.B. „gebürtiger“ Coder und unser Analyst Abhishek ist ebenfalls Programmierer.
Just for the record: Leybold kann im Übrigen auch coden. Zumindest rudimentär 😉
Viele Grüße und weiter so!
Ja, hast du tendenziell Recht. Mein Gedanke war, dass es am Ende die Partner sind, die entscheiden, wo investiert wird und welche Profile für das eigene Team rekrutiert werden. Deshalb ist es schon interessant, dort mal nach der Technikdurchdringung zu schauen. Aber ich gebe dir Recht, man sieht, dass auf den anderen Ebenen die Technikinteressiertheit merklich zunimmt. Zumindest fühlt es sich subjektiv so an.