Digital kompakt: Herzlich willkommen zu einem neuen Podcast von digital kompakt. Mein Name ist Joel Kaczmarek und wir reden heute über eine Krise bei Amazon. Wir starten heute in ein ganz spannendes neues Format, dem wir den schönen Namen „Mayday!“ [=intern. Notsignal im Sprechfunk] gegeben haben. In diesem Format wollen wir immer über Krisen reden
Ich habe hier einen krisenerprobten Mann neben mir sitzen, die größte Drecksau des PR-Geschäfts. Hallo Marcus Johst. Was machst du? Wie ist dein Background? Wofür bezahlen dich Leute und wie arbeitest du?
Marcus Johst: Mein Background ist jahrelange Erfahrung im Boulevardjournalismus, dem ich im Jahr 2000 abgesagt habe um meine eigene kleine Agentur zu gründen, die sich seitdem vom ersten Tag an auf beinahe unlösbare Aufgaben konzentriert. Ein großer Teil davon sind schleichende Krisen, bevorstehende Krisen oder bereits explodierte Krisen, bei denen es ganz schnell zu handeln gilt.
Digital kompakt: Heute wollen wir den Kick-off machen mit einer Krise bei Amazon. Es grassierte dieser Tage, dass Amazon im Prinzip diesem Bombenbauer in Schwerin geholfen habe, indem er seine Teile über Amazon selbst bezogen hat. Amazon hat ja diese Empfehlungsfunktionen und in diesem Fall hat man einem Bombenbauer noch weitere Bauteile für seine Bombe vorgeschlagen. Das wurde von der Presse aufgegriffen. Gib mal mit eigenen Worten wieder, wie ein Journalist narrativ so eine Story betrachtet?
Marcus Johst: Die Meldung kam am Wochenende in einer Vorabmeldung des aktuellen Spiegel auf und machte Ende der Woche die Runde, um den Samstag erscheinenden Spiegel zu bewerben. Die Nachricht hat sich blitzschnell über sämtliche Medien und Medienformate verbreitet. Ich habe es erstmals im Radio gehört. Bitte um Verzeihung, aber ich musste schallend auflachen. Die Geschichte ist so absurd, dass man erst mal gar nicht glaubt, dass sie wahr ist. Aber nein, es war tatsächlich so. Über das Wochenende scheint es den Zuständigen von Amazon gelungen zu sein, das ganz gut einzufangen. Wie das genau passierte, wissen wir nicht. Aber es ist ein Zeichen, dass sie das gut gemacht haben.
Digital kompakt: Wir haben eigentlich zwei Elemente bei so einer Krise. Das eine ist die Helferschaft, dass man einem vermeintlichen Terroristen Werkzeuge an die Hand gibt. Diese Algorithmen funktionieren ja so, dass man basierend auf Käufen Interessen herstellt. Das heißt in der Konsequenz, dass das schon 15, 20 andere Nutzer auch bestellt haben müssen. Wer ist der Adressat dieser Krise und vor wem oder was muss Amazon Angst haben?
Marcus Johst: Der Endkunde ist erst mal extrem geschockt, bewegt und emotionalisiert. Wenn aber kein inhaltlicher Nachschub kommt, dann wird er das alles nach wenigen Tagen wieder vergessen haben. Tatsächlich ist diese Geschichte aber die Verwirklichung einer altbekannten Dystopie. Umso dramatischer ist, dass die Roboter inzwischen die Herrschaft über die Menschen übernehmen. Ein Algorithmus lernt, an der Aufmerksamkeit der Amazon-Leute vorbei, wie man Bomben baut.
Das ist die Story, die zu meiner Verwunderung noch gar nicht richtig umgesetzt wurde. Ich frage mich, wann der erste Jens Spahn – ein PR-schlauer Politiker, der es liebt, in die Schlagzeilen zu kommen – das Potenzial dieser Story erkennt. Und auf den allgemeinen Zug ‚Nehmt die Giganten der Wirtschaft in den Schwitzkasten‘ aufspringt. Amazon würde hier der Politik ein hervorragendes Opfer bieten, um dem Wählermarkt eine Aktivität vorzuspielen und zu zeigen, dass sie was für euch tun, während sie euch in die Tasche greifen. Ich sehe die Krise eher auf der politischen Ebene.
Digital kompakt: Also muss ich weniger befürchten, dass meine Verkäufe einbrechen oder die Leute auf die Straße gehen. Aber beim Politisieren von einem Prozess als große Zielscheibe, großes Unternehmen und sowieso immer in der Diskussion, zu zeigen, dass man ein Macher ist, dass man Aktivität suggeriert und sich Gedanken über die Zukunft macht, ist das das eigentliche Risiko?
Marcus Johst: Ja. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Lobbyisten von Amazon in Berlin bereits hoch alarmiert sind und schon die ersten Gespräche in der Angelegenheit geführt haben.
Digital kompakt: Jetzt wollen wir versuchen, solche Konflikte und Krisen trotzdem auch auf Startups und Jungunternehmen zu übertragen. Was steckt in dieser Krise, was man auch als junges Unternehmen für sich mitnehmen kann?
Marcus Johst: Lass uns das Thema mal schematisieren. Welche Krise? Kann mir diese Krise auch passieren? Auf seinen Kern reduziert ist diese Amazon-Bombenbastler-Krise ein Produktfehler bei außergewöhnlicher Beanspruchung. Wie der Elchtest 1997.
Digital kompakt: Das heißt, ein Produkt wird in einer Weise benutzt, an die man gar nicht denkt und in einer extremen Weise, die dann einen Konflikt hervorruft, an den man als Macher des Produktes gar nicht gedacht hat?
Marcus Johst: Genau. Keiner bei Amazon hat jemals an die Möglichkeit dieser Funktionalität gedacht. Man muss sich vorstellen, dass man als Unternehmer mit einer Dienstleistung und Produkten sowohl einem Käufermarkt als auch einem Medienmarkt, der ständig nach Sensationen giert, gegenübersteht. In diesem Markt werden regelmäßig Skandale provoziert, indem man Produkte und Anwendungen auf eine außergewöhnliche Weise benutzt.
Die schlagzeilenhungrige Stiftung Warentest ist ein gutes Beispiel dafür. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie die Stiftung Warentest Testanordnungen konstruiert. Nicht um einen alltäglichen Produkt- oder Dienstleistungsgebrauch zu simulieren, sondern um Schlagzeilen zu produzieren. So entstehen Schlagzeilen, so landet man in der Bild-Zeitung oder inzwischen in den sozialen Medien. Die Stiftung Warentest ist ein Medienunternehmen und kein Testunternehmen. Die Stiftung Warentest lebt von Klicks und Zeitschriftenverkäufen. Und womit macht man ein Geschäft mit Klicks und Auflage?
Digital kompakt: Man kriegt schon so das Gefühl, dass die generelle Medienlandschaft in Deutschland und speziell die öffentlich-rechtliche nicht unbedingt Unternehmerfreunde sind?
Marcus Johst: Gerade die Knallmagazine in den öffentlich-rechtlichen Sendern sind traditionell unternehmerfeindlich. Sie arbeiten mit niederen Instinkten des Publikums, was okay ist, und werden dabei in vielen Fällen von Seiten der Gewerkschaften bedient, die gerade irgendwelche Tarifkonflikte ausleben bzw. PR-Punkte für die Mitgliederwerbung brauchen. Um die Reichweite hinzukriegen, muss man den kleinen Angestellten in seiner beschränkten Welt, die traditionell auch unternehmerfeindlich ist, stimulieren und an sich binden. Dabei stehen diesen Formaten oft sehr kooperative Komplizen aus den Gewerkschaften zur Seite. Hervorragende PR-Leute, die darauf bedacht sind, die eigene Gewerkschaftsmarke im Sinne der Mitgliederwerbung in den Medien zu platzieren oder, gerade bei aktuellen Tarifkonflikten, dem Gesprächspartner elegant eine rein zu würgen.
Digital kompakt: Um unsere Thesen bei dieser Krise nochmal zu rekonstruieren. Es ist vor allem eine Krise, die politisch aufschlagen kann, weil die Politiker sich inszenieren. Journalisten machen sich diese Instinkte zu Nutze und testen ein Produkt so abwegig auf Herz und Nieren, dass irgendwas zum Vorschein kommen muss. Du hast interessante Hintergründe geschildert, dass dann vielleicht Interesse, Auflage, Reichweite oder das Überbringen einer Message von einer Gewerkschaft dahintersteckt.
Jetzt ist die Frage, was ich dagegen tun kann, wenn ich auch Opfer eines vergleichsweise abwegigen Tests werde. Das kann durchaus auch ganz kleinen Unternehmen passieren. Wie kann ich mich dagegen wehren?
Marcus Johst: Also mein erster Rat in der Stunde der höchsten Not ist der Grundsatz: Nicht impulsartig dagegen reden, nicht abstreiten und Zeit gewinnen. Das Wichtigste ist es, Zeit zu gewinnen, sich zu sammeln, sich zu beraten und in der gebotenen Eile eine Strategie aufzubauen. Diese Strategie kann in den meisten Fällen eine Transparenzsimulation sein, die Gesprächsbereitschaft und Offenheit demonstriert.
Digital kompakt: Offenheit und Transparenz höre ich raus. Was heißt das und wie sieht so etwas aus?
Marcus Johst: Du fragst mich, wie so etwas aussieht. Das ist schon das kluge Stichwort. Es geht darum, dass das, was du tust, wie Offenheit aussieht. Es muss nicht Offenheit sein. Ich habe vorhin von Transparenzkulisse gesprochen und die muss glaubwürdig inszeniert werden. Das heißt, man muss sich ganz schnell und gut darüber beraten, welche Inhalte man den Journalisten anbietet, damit sie das erst mal anschauen können. Die kritischen Elemente aus deinem unternehmerischen Narrativ müssen dabei tunlichst ausgeblendet werden.
Digital kompakt: Also kommen zwei Sachen zusammen. Ich suggeriere Offenheit und Transparenz, was erst mal die Feindseligkeit aus der Kommunikation nimmt und beim Gegenüber das Gefühl von Kooperation weckt. Dann muss ich ihn mit Informationen zuwerfen, sodass er daran dann die Lust verliert. Nur, dass es davor jemanden wie dich gibt, der die brisanten Akten nach Möglichkeit sortiert und gar nicht in die Kommunikation rein gibt. Wie geht man da vor?
Marcus Johst: In diesem Fall kann ich nur dringend empfehlen, einen Berater zuzuziehen, weil der Unternehmer oder die Beteiligten im Unternehmen oft gar nicht wissen, welche Brisanz im Sinne der Medienmacher ihre Inhalte überhaupt haben. Diese Dinge auszusortieren bedarf einer gewissen Erfahrung um Schlagzeilengeschäft. Das können nur Leute machen, die bereits solche Unternehmen in der Zange haben.
Digital kompakt: Kann das auch ein interner PR-Experte von einer Firma machen, der da angestellt ist?
Marcus Johst: Wenn der interne Berater erfahren ist und vielleicht selber schon mal in einer schlagzeilengetriebenen Redaktion gesessen hat, dann ist es der perfekte Mitarbeiter des Monats, der die Firma retten kann.
Digital kompakt: Also du kommst in eine Firma rein, das Geld ist überwiesen, es gibt ein Zeitraum und das Ziel. Wie fängst du dann an zu arbeiten, wenn so ein Konflikt im Extremfall passiert?
Marcus Johst: Ich stelle dieselben Fragen wie ein aggressiver Journalist, versetze mich in seinen Auftrag, finde auf diese Weise meistens die kritischsten Stellen und mache die Menschen im Unternehmen darauf aufmerksam. Da kann man dann gemeinsam beratschlagen wie wir das eine verpacken, das andere komplett vergraben und das dritte freundlich und hilfsbereit anbieten und entsprechend ausgestalten. Das Ziel ist es, mit Fakten zu langweilen.
Digital kompakt: Wie geht man vor, wenn man Informationen vergräbt? Es kann ja passieren, dass nachgefragt wird und man eine Antwort geben muss.
Marcus Johst: Viele Informationskrisen in Unternehmen entstehen auch durch pures Verplappern. Ein geschickter Journalist kommt mit dir ins Plaudern und zeigt viel Empathie, sodass man irgendwann aus seinem Alltag erzählt. Und schon liegen Details auf dem Tisch, aus denen sich Stories machen lassen.
Digital kompakt: Und was heißt das im Umkehrschluss für die Verhinderung? Sechs-Augen-Gespräche?
Marcus Johst: Die Anwesenheit eines Medienberaters ist oft nicht sehr hilfreich, um eine Krise elegant abzubiegen. Der Sprecher des Unternehmens bzw. der Verantwortliche braucht ein gutes Skript. Dieses Skript kann man relativ schnell mit ihm gemeinsam erstellen. Dann empfehle ich das Prinzip der Wiederholung. Die Endlosschleife mit den Fakten, die wir bereits eingepackt haben. Freundlich, empathisch und geduldig.
Digital kompakt: Funktioniert es auch, wenn man mit dem Finger auf andere zeigt?
Marcus Johst: Das nutzt in den meisten Fällen nichts. Der Journalist, der zu dir in die Firma kommt, hat seine fertige Geschichte im Kopf. Es wird nicht einfach sein, ihn davon abzubringen, indem man ihm einfach dieselbe Geschichte an einer anderen Adresse anbietet. Warum soll er sich den Aufwand machen?
Digital kompakt: Wenn du in eine Firma gehst und die Bestandsaufnahme der Leichen im Keller machst, worauf achtest du da? Wann ist etwas brisant?
Marcus Johst: Das ist Instinkt. Fast 20 Jahre Schlagzeilen machen gibt mir und vielen anderen, die das getan haben, einfach das richtige Gefühl, wo ein gefährliches Potenzial verborgen liegt.
Digital kompakt: Gibt es also Narrative, die immer wiederkehren? Ungerechtigkeit den Mitarbeitern gegenüber zum Beispiel?
Marcus Johst: Natürlich. Das sind die altbekannten Klischees, die – seitdem es Medien gibt – immer wieder strapaziert werden. Die übliche Schwarz-Weiß-Malerei, Unterdrückung, Ausbeutung und Gier.
Digital kompakt: Kann ich so etwas als Unternehmen auch selber erkennen?
Marcus Johst: Doch. Danke für die Frage. Das ist etwas, was ich Leuten, die nicht in der Krise stecken, in beiläufigen Smalltalk-Gesprächen gerne mal mitteile. Nutzen Sie Medien und fragen Sie bei jeder Geschichte wo sie her kommt. Qui bono? [= Wem zum Vorteil?]
Digital kompakt: Wie ist denn generell die Genese von solchen Geschichten? Das passiert ganz oft über Verplappern, aber gibt es noch andere typische Elemente, auf die ich aufpassen sollte? Leiche im Keller bedeutet ja, dass jemand absichtlich Schlechtes gemacht hat. Wir reden ja eher über das Ausschlachten eines Umstandes, der ohne böse Absicht erfolgt ist.
Marcus Johst: Die bekannten Leaks: Unglückliche, enttäuschte, wütende Mitarbeiter oder ehemalige Mitarbeiter. Gerade in der Startup-Szene ist das ein sehr beliebtes Szenario.
Digital kompakt: Wir können noch mal zusammenfassen. Also die politische Ebene dieser Krise war Amazon. Aber spannend ist ja die Alltagsanwendung, indem du sagst, dass das ein typisches Beispiel der Verwendung eines Produktes in einer übersteigerten Form ist. Bei dem eine Anwendung zustande kommt, die gar nicht realistisch ist und woraufhin ich gucken muss, wie ich in so einer Krise nicht in die Schlagzeilen gerate. Wie ist das in deiner Erfahrung? Wendet man es eher ab, wenn das Kind schon im Brunnen gefallen ist oder kann man manchmal noch früh gegensteuern?
Marcus Johst: Die Prävention ist zwar für viele Berater ein gutes Geschäft, aber im Endeffekt kann man sich nicht wirklich auf so etwas richtig gut vorbereiten.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es bei Amazon eine Vielzahl von Managertrainings, auch in der Krisenkommunikation, gab. Aber keiner hatte die Phantasie, um diese Krise vorauszusehen. Man kann Krisen schematisieren und hier haben wir es getan – Produktfehler bei außergewöhnlicher Beanspruchung. Darauf kann man sich im Prinzip schon vorbereiten. Ansonsten habe ich zwei wichtige Ratschläge, die kriegsentscheidend sind: Nicht dagegenreden und nicht zu viel Zeit verstreichen lassen.
Digital kompakt: Den Faktor Zeit haben wir noch gar nicht in der Tiefe thematisiert. Zeit ist wichtig, weil das Hochkochen sehr schnell geht, oder warum?
Marcus Johst: Zeit ist der entscheidende Faktor in der Krisenbewältigung. In dem bisschen Zeit muss man in der Lage sein innezuhalten, sich intern zu beraten und eine klare Strategie zu haben. Außer die ersten Reaktionen wie „Wir sind bereit zur Kommunikation.“, „Was wünschen Sie?“, „Geben Sie uns ein bisschen Zeit.“, „Wen wollen Sie sprechen?“ und so weiter. Zeit gewinnen und sich schnell über die nächsten Schritte klar werden.
Digital kompakt: Kann es ein funktionierender Mechanismus sein, meinen direkten Wettbewerber mit so einer Thematik anzuschießen? Ich weiß, wenn ich ganz abwegig mein Produkt nutze, dann könnte ich daraus eine Story bauen. Der Wettbewerb macht das genau so. Dann flicke ich das schnell bei mir und gehe dann zur Presse und platziere das dort.
Marcus Johst: Natürlich. Das ist sogar teilweise allgemein bekannt. Der Diesel-Skandal wurde von Wettbewerbern kommunikativ nach vorne gebracht.
Digital kompakt: Vielen Dank für diese Konstruktion. Wir haben gar keine feste Frequenz bei dem Format. Immer wenn eine Krise kommt, dann springen wir da einfach auf.
Marcus Johst: Wenn es knallt, sind wir da.
Digital kompakt: Das ist dann unser Motto. In diesem Sinne, danke dir und „Over and Out“.