Transkript zu:

Design, Digital Innovation, Digitale Transformation, Digitalisierung, Innovationsentwicklung

Digital by Design

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Mai 24, 2017
Joel Kaczmarek und Christopher Böhnke sprechen über die Stärken und Schwächen von Design Thinking als Innovationsmethode und warum es sich lohnt, Kreativität als elementaren Bestandteil eines Geschäftsmodells zu betrachten.

Inhaltsübersicht

Design, Digital Innovation, Digitale Transformation, Digitalisierung, Innovationsentwicklung

Transkript zu:

Digital by Design

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Mai 24, 2017

Design Thinking ist tot, lang lebe Design Thinking

Joel Kaczmarek und Christopher Böhnke sprechen über die Stärken und Schwächen von Design Thinking als Innovationsmethode und warum es sich lohnt, Kreativität als elementaren Bestandteil eines Geschäftsmodells zu betrachten.

Die Funktionsweise von Design Thinking

digital kompakt: Wir haben es heute mit einem Hyperkreativen zu tun. Stell dich doch mal vor.

Chris Böhnke: Mein Name ist Chris Böhnke. Ich bin Business Design Director bei Fjord in Berlin und finde es interessant, dass ihr mich einen Hyperkreativen nennt. Das wird für heute und auch für alle späteren Gespräche sicher ein Thema sein. Ich komme zwar ursprünglich aus den Kommunikationswissenschaften, habe danach aber „Hardcore“ Business studiert und mich sechs Jahre lang als strategischer Berater verdingt.

digital kompakt: Da müssen wir gleich ein bisschen tiefer eintauchen. Kannst du ein, zwei Sätze zu Fjord und deinem Berufsprofil sagen?

Chris Böhnke: Sehr gerne. Fjord ist eine Service Design Agentur, wobei ich den Titel Innovationsberatung passender finde. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich dort gelandet bin. Wir versuchen, Unternehmen dabei zu helfen, herauszufinden, wie ihre Zukunft für ihre Kunden aussehen soll und welche menschlichen Werte die Unternehmen ihren Kunden liefern wollen – und zwar nicht nur heute sondern auch in zehn, 15 oder 20 Jahren.

Von der Unternehmensstrategie von Pharmakonzernen über die Schaffung bestimmter Dienstleistungen für einen Automobilkonzern bis hin zur Gestaltung verschiedener Touch Points [Schnittstellen, Berührungspunkte] von einer Bank mit ihren End- oder Geschäftskunden. Wir versuchen, dies alles mit Hilfe eines gestalterischen Ansatzes abzubilden.

digital kompakt: Kannst du bitte noch einen Satz zu dir und deiner Rolle sagen? Was genau ist deine Aufgabe innerhalb des Konstrukts Fjord?

Chris Böhnke: Als Business Design Director kümmere ich mich vor allen Dingen darum, dass neben dem gestalterischen Prozess, den wir durchführen, um am Ende zu einer Innovation zu kommen, auch der geschäftliche Aspekt betrachtet wird. Das heißt nicht, dass ich mich rein um die Business Cases kümmere, sondern dass ich und das Team meiner Business Designer versuchen sicherzustellen, dass das Team unseres Kunden bereit ist für den Wandel, der da kommt.

Wir kümmern uns zum Beispiel um das operative Modell und die neuen Werte in einem neuen Geschäftsmodell. Wer kann das liefern? Wen müssen wir dazu holen, um es besser liefern zu können? Woran wollen wir uns messen lassen? Sind das rein monetäre Zahlen oder sind das Zahlen, die wesentlich näher am Menschen ausgerichtet sind? Ich und mein Team sind also zuständig für die Aufstellung des Unternehmens im Hintergrund und die Machbarkeit bzw. die Validität der neuen Idee oder des neuen Geschäftsmodells.

Wo steht Deutschland in der digitalen Transformation?

digital kompakt: Genau das könnte das Takeaway unseres Gesprächs heute werden. Wir wollen nämlich das Zusammenspiel von Business Case und Design Innovation beleuchten und uns ansehen, wie sehr Kreativität und die Umsetzungsfähigkeit des Geschäftsmodells zusammenhängen. Heute geht es um Design Thinking, also den Prozess, den gerade jedes Unternehmen bis hin zum Dax-Konzern initiiert. Wir wollen den Prozess etwas dekonstruieren nach dem Motto „Design Thinking ist tot, lang lebe Design Thinking“.

Aber fangen wir zuerst einmal mit deinem ganz persönlichen Why, deinem „Purpose“, wie ihr im Agentur-Umfeld sagen würdet, an. Was bedeutet die Arbeit mit Digitalisierungsthemen für dich? Worauf möchtest du langfristig hinaus?

Chris Böhnke: Mir wäre wichtig, dass am Ende dabei herauskommt, dass Unternehmen und Entscheidungsträger in Unternehmen verstehen, dass „digital“ – dieses große, wichtige Wort – keine Technologie ist, die von Aliens auf die Erde gebracht wurde, sondern letztendlich eine Veränderung im Nutzerverhalten. Also eine Veränderung darin, wie wir mit der Welt und den Dingen und Dienstleistungen um uns herum umgehen.

Außerdem würde ich gerne großen Wert darauf legen, dass wir dabei herausarbeiten können, dass eine andere Art des Arbeitens notwendig ist, um in so einer Welt zu leben, dass das aber eben nicht bedeutet, alle Technologien auswendig zu können oder bestimmte Methodenkästen einfach abzufahren.

Da sich nämlich die digitale Welt gar nicht mehr so industriell verhält und Fließbandarbeit erfordert, wie wir das wahrscheinlich gerade hier in Deutschland noch brauchen, ist es für mich wichtig, herauszufinden, was notwendig ist, um erfolgreich in einer digitalen Welt zu arbeiten, und nicht, was notwendig ist, um digital zu arbeiten.

digital kompakt: Was ist denn deine Vorstellung vom typisch deutschen Unternehmen dieser Tage, wenn es um digitales Arbeiten geht? Wir wollen ja schließlich eine Bestandsaufnahme machen: Wo stehen wir gerade? Wie ist das Herangehen, wenn es um solche Themen wie digitales Arbeiten und Innovation geht?

Chris Böhnke: Ich glaube, das Problem in Deutschland ist, dass wir herauskommen aus einer Phase, wo wir mit der Industrialisierung sehr erfolgreich gewesen sind. Das heißt, dass wir Deutsche mit unserem Effizienzgedanken sehr gut darin waren, Dinge mit hoher Qualität schnell abzuliefern und wir haben uns auf der Welt auch einen großen Namen gemacht, was das angeht. Und jetzt kommen wir in eine Zeit hinein, in der Kapital und auch die Erstellung von Gerätschaften nicht mehr so schwierig sind.

Auf einmal zählen nur noch die Ideen. Und gute Ideen zu erzeugen, damit tun wir Deutsche uns nicht schwer. Wir tun uns aber sehr schwer damit, Ideen das richtige Gewicht zu geben. Wir haben ein Problem damit, zu entscheiden, was mit der Idee geschieht und ob der Business Case wichtiger ist oder die Idee selbst.

Digitales Arbeiten an sich ist in Deutschland auch oft fehl verstanden worden. Viele denken, sie müssen auf einer Social Collaboration Platform im Intranet [Plattform für die Zusammenarbeit von Menschen in Projekten, Gruppen oder auch Teams] arbeiten, um ins digitale Zeitalter zu kommen. Social-Media-Kanäle wurden dann eingeführt, um nach außen zu sprechen. Es wurde erwartet, dass auf einmal jeder ein „Data Literate“ ist, also Daten verstehen, lesen und Analytics nutzen kann.

Jeder soll verschiedene Dinge mit einbringen, ohne das Fundamentale zu tun, nämlich die Fragen zu stellen, was denn der Wert ist, den das Unternehmen in einer digitalen Zukunft liefern möchte. Und ob wir auch in einer digitalen Welt mit unseren alten Prozessen einen sehr gut Wert schaffen können, ohne unsere Belegschaft damit zu überfrachten, so zu tun, als käme da etwas, was ganz anders ist als das, was sie als Mensch gelernt haben.

Da komme ich zu dem zurück, was uns bei Fjord ganz wichtig ist und warum ich letztendlich aus der Beratung von Prozessen – einer Strategieberatung – zu Fjord gekommen bin: Es ging mir darum, wo wir menschlich betrachtet zusammen hin wollen, um am Ende dann zu versuchen, durch gute Ideen den größten Wert zu schaffen – und das muss nicht zwingend immer durch eine digitale Technologie geliefert werden.

digital kompakt: Wir werden hier wohl ein paar Mythen der Digitalisierung dekonstruieren und uns durch die Buzzwords zum eigentlichen Kern der Sache graben müssen. Für mich ist das Wesentliche bei der Digitalisierung die sehr starke Ausrichtung am Nutzer und am Nutzerverhalten. Ist das etwas, was einen Großteil deiner kreativen Arbeit ausmacht?

Chris Böhnke: Das Thema Customer Centricity [Kundenorientierung] ist schon mindestens zehn bis 15 Jahre alt. Ein erster Effekt von Customer Centricity war die Entwicklung von CRM-Systemen [Systeme zum Managen von Kundenbeziehungen] und gegenwärtig findet dieses Thema auch oft wieder zurück zum gestalterischen Tisch.

Genau daran orientieren wir uns bei Fjord. Wir arbeiten in interdisziplinären Teams. Wir haben Kollegen, die nennen wir Service Designer. Das sind also Menschen, die Gestaltung in Interaktion und in visueller Sprache gelernt haben. Dann haben wir unsere Business Designer, die wissen, wie man sich an den Menschen und an dem menschlichen Ziel bezüglich des Geschäftsmodells orientiert. Und wir haben kreative Technologen, das sind Kollegen, die in der Lage sind, eine digitale Lösung für eine Idee auch wirklich schnell auf die Straße zu bringen.

Warum mir das so wichtig ist, ist vielleicht ein bisschen verbunden mit meiner persönlichen Geschichte, die mich am Ende zu Fjord geführt hat. Ich habe für Automobilhersteller während meiner beratenden Zeit auch Händler-Coachings gemacht, in denen ich vor Ort versucht habe, Menschen dabei zu helfen, Autos zu verkaufen. Und da ist mir relativ schnell klar geworden, wie wenig vor allem deutsche, aber auch internationale Unternehmensstrategien den Kunden tatsächlich mit einbeziehen. Es wird wenig beachtet, was der Kunde wirklich braucht und wer am besten mit wem sprechen sollte.

Der Verkäufer bekommt dann eine fertige Geschichte auf den Tisch, die er den potentiellen Kunden erzählen soll, die aber für die Kunden komplett irrelevant ist und aus diesem Grund auch keine Gesprächsbereitschaft bei den Kunden weckt. Das ist natürlich nicht nur schlecht für das Unternehmensergebnis, sondern es wirkt sich auch schlecht darauf aus, wie gut aufgehoben sich die Mitarbeiter im Unternehmen fühlen.

Dementsprechend ist dann in einem solchen Szenario der Verkäufer nach zehn Gesprächen dieser Art mehr als demotiviert und nicht mehr in der Lage, ein Gespräch mit einem Kunden, der tatsächlich ins Autohaus kam, um ein Fahrzeug zu kaufen, zu einem guten Abschluss zu bringen.

Die Frage „Warum tun wir was für wen?“ ist der Grundgedanke unserer Arbeit. Wir wollen verstehen, was derjenige braucht, und dann nicht nur gestalterisch denken, sondern auch innovationsseitig. Es geht also nicht nur darum, was die Person heute braucht, sondern auch darum, was sie zukünftig noch brauchen könnte.

digital kompakt: Dann lass uns mal zum Thema Design Thinking kommen. Das ist ja zurzeit ein ziemlicher Hype. Jeder bietet gerade Workshops an und jedes Unternehmen behauptet, das jetzt auch zu betreiben, alleine schon um den Anschein von Innovation zu wecken und der Außenwelt zu zeigen, dass man ganz vorne mitmischt.

Ich weiß, dass du Design-Thinking-Skeptiker bist. Ich glaube, für dich ist das ein Werkzeug aus einer Tool Box, bei dem man wissen muss, wie man es einsetzt, aber es ist kein Allheilmittel. Kannst du bitte für alle, die Design Thinking noch nicht so gut kennen, mit eigenen Worten wiedergeben, was der Kern dieser Methode ist?

Chris Böhnke: Gerne. Ich werde sogar herausheben, was als Design Thinking verkauft wird und was es tatsächlich ist. Verkauft wird, dass alle Mitarbeiter des Unternehmens X nach einer Schulung in Design Thinking mit einem stärkeren Fokus auf den Nutzer all das tun, was sie tagtäglich betrachten und sich nach Möglichkeit ständig eine neue Vision davon auferlegen können, wie sie Mehrwert sowohl für externe als auch für interne Kunden bzw. Kollegen schaffen können. Das Allheilmittel für die Problematik, dass man nicht weiß, was man eigentlich tun soll. Das ist gerade symptomatisch für eigentlich alle deutschen Industrien. Und so wird versucht zu suggerieren, dass Design Thinking als eine Lösung, die schnell zugänglich ist und auch sehr stark auf Spielen basiert, da helfen kann, sich zu positionieren.

Was ist Design Thinking eigentlich wirklich? Ich glaube, ich bin eher skeptisch der aktuellen Situation gegenüber, nicht der Methodik. Design Thinking selbst ist nämlich der gestalterische Prozess, den es schon seit mehreren hundert Jahren gibt. Es geht nicht nur darum, in die Vergangenheit zu schauen und zu versuchen, die damaligen Lösungen für Probleme zu verbessern (oder sogar zu verschlimmbessern), sondern zu sagen, dass nicht Repräsentativität wichtig ist, sondern Validität. Es handelt vielmehr davon, ein bestimmtes Problem genau zu verstehen und nicht nur Lösungen aus der Vergangenheit, sondern auch andere valide Lösungen, wo man eben nicht auf vergangene Erfahrungen zurückgreifen kann, zu finden.

All dies lässt sich in dem gestalterischen Prozess immer nur herausfinden, wenn man mit Menschen redet. Wir Deutschen sind sehr quantitativ und lassen gerne außen vor, dass jede quantitative Prüfung einer Hypothese vorher eine induktive qualitative Erörterung dessen hatte, was man sich eigentlich anschaut. Und Design Thinking ist genau das. Design Thinking heißt, mit Menschen qualitative Gespräche führen, um unterliegende Bedürfnisse, die vielleicht gar nicht im ersten Schritt verbalisiert werden können, herauszufinden, um darauf basierend Lösungen zu schaffen, die auch außerhalb des Raumes liegen können, was zuvor als Lösung sinnvoll gewesen wäre.

digital kompakt: Da stellt sich gleich die spannende Frage, ob man eine Hypothese braucht, wenn man so etwas tut. Ich habe Design Thinking schon ein bisschen kennengelernt und ich breche das immer vereinfacht herunter, wenn ich jemandem erkläre, dass das für mich ein Prozess ist, bei dem ich mich bemühe, wie ein Designer zu denken, also nutzerzentriert. Wenn ich zum Beispiel ein Glas designe, dann denkt man immer nutzerzentriert. Wie benutzt man es? Wie setzt man an? Wie trinkt man? Das hat also sehr viel zu tun mit beobachten und sich hineinversetzen ins Gegenüber.

IDEO, eine große Design Agentur aus den USA, vergleichbar zu FROG in Deutschland (FROG steht für Federal Republic of Germany) diese Methode mit dem Fokus entwickelt, Innovationen hervorzubringen, und macht das sehr prozessgetrieben. Es ist im Prinzip ein Prozess, indem man sich eine gewisse Frage stellt, dann in die Nutzerbefragung geht und versucht, nah an der Zielgruppe zu sein.

Da ist manchmal schon die erste Identifikationsaufgabe, herauszufinden, wer eigentlich die Kunden sind und ob es unterschiedliche Typen gibt. Das Schlagwort der Persona ist jetzt auch in die Innovationsentwicklung gelangt, wobei man sich prototypische Benutzer und deren Bedürfnisse vorstellt. Auf Basis der Erkenntnisse, die man mit diesen Menschen gewinnt, macht man Brainstormings und entwickelt Produkte in ersten Prototypen. Wichtig ist hierbei, dass man nur prototypisiert und dann wieder iteriert. Das ist mein Basisverständnis von Design Thinking.

Diese Nähe zum Nutzer ist etwas, was vielen Unternehmen fehlt. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann ist deine Kritik an diesem Modell, dass Design Thinking ein Werkzeug ist, um herauszufinden, was die Nutzer beschäftigt und wie man sich vielleicht kundenfreundlicher ausrichten kann, aber ohne die nötigen Hypothesen und das Strategieverständnis nutzt auch diese Methode nichts. Ist es das, was dir an der Methode Bauchweh macht oder ist es eher etwas anderes?

Chris Böhnke: Mich stört daran vor allem, dass es alle einfach nur kurz tun, weil sie glauben, es hilft ihnen, den richtigen Weg zu finden. Die Punkte, die du gerade genannt hast, werden ja im Normalfall, wenn ein Unternehmen jemanden beauftragt, ihnen Design Thinking zu zeigen, gar nicht ernsthaft besprochen, sondern es geht immer darum, anders zu denken und bunt zu sein.

Wir versuchen, herauszufinden, wie ein Tag für eine Frau über 60 Jahre wäre und wie wir diesen Tag schöner gestalten könnten. Dann gucken wir ein paar Fotos an und stellen uns ein paar empathische Fragen, z.B. was die Frau in einer bestimmten Situation wohl denkt. Dazu denken wir uns anschließend tolle Services aus. Dann machen wir einen kleinen Prototypen, vornehmlich mit Knete und mit Legosteinen, und klopfen uns hinterher alle auf die Schulter, dass wir darüber nachgedacht haben, was diese Frau wohl brauchen könnte.

Das ist auch gar nicht schlecht, weil das eine Trainingssituation ist. Es wird nur nicht mehr als Training verkauft, sondern als normale Vorgehensweise von allen. Mein Punkt dahinter war auch, dass es Design an sich ja schon sehr, sehr lange gibt und dass es viele Leute gibt, die darin ausgebildet sind, gestalterisch zu arbeiten. Diese Leute haben, genauso wie die betriebswirtschaftlichen Kollegen, eine jahrelange Ausbildung durchlaufen, um die richtigen Fragen zu stellen.

Was macht man dann mit diesen Fragen? Ist es nur ein Brainstorming oder nutzt man andere kreative Methoden, um den Blumenstrauß größer zu machen? Wie testet man denn, ob Nutzer das, was sie vorgesetzt bekommen, wirklich wollen oder nicht. Da gibt es sehr große Unterschiede. Und genau dieses Spiel von „Ich finde heraus, wohin ich möchte, ich bilde Hypothesen basierend auf einem Prototyp, ich teste sie und tue es dann“ – das ist ein Spiel, das selten zu Ende gespielt wird.

Das ist, was ich gefährlich daran finde, Design Thinking als tolles Buzzword zu nennen. Wenn dabei nämlich kein Ergebnis herauskommt, wird das auch ganz schnell wieder eingestellt. Dann werden die Kollegen im Unternehmen, die sich getraut haben, kreativ zu sein, relativ schnell wieder in ihre Schranken gewiesen. In Deutschland muss jede gute kreative Idee einen Business Case haben, aber nicht jeder Business Case muss eine gute kreative Idee haben.

Und je öfter Design Thinking die Möglichkeit verbrennt, etwas anderes zu machen, weil es nicht zu Ende gebracht wird, desto mehr wird genau das ja letztendlich immer weiter verstärkt. Auf einmal muss sich jede gute Idee sofort rechnen und darf nicht ausprobiert werden. Andersherum müssen aber andere Lösungen überhaupt gar keinen kreativen Ansatz haben, weil es ausreicht, einen guten Case zu haben, weil man damit vermeintlich bewiesen hat, dass es funktioniert.

digital kompakt: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Was ist die logische Konsequenz daraus, wenn du sagst, Design muss immer einen Business Case haben, aber ein Business Case oft kein Design? Heißt das, dass wir dem Design zugestehen sollten, dass es auch mal nicht Business-orientiert ist? Oder heißt das, dass das Business einfach mehr Design-Faktor mit aufnehmen und das in seine Erwägungen mit einbeziehen muss?

Chris Böhnke: Das letztere finde ich spannender. Ich glaube, die Emanzipation des gestalterischen Prozesses im Unternehmen wird nicht dadurch stattfinden, dass wir uns darüber ärgern, dass jede gute Idee auch sinnvoll sein muss. Die Emanzipation muss vielmehr daher kommen, dass jeder Business Case, also jede Geschäftsentscheidung, daran orientiert sein muss, ob das wirklich eine gute Idee ist, die gerade verfolgt wird. Eine gute Idee ist nicht deshalb gut, nur weil die höchst bezahlte Person sie für gut hält. Sondern eine Idee ist dann gut, wenn die Endkunden sie wirklich haben wollen.

Das funktioniert nur über User Testing. Wenn man nicht fünf Jahre damit verbringen möchte, eine Idee bis zum fertigen Produkt zu bringen, ohne dieses dem Kunden zu zeigen, nur um später festzustellen, dass der Kunde es gar nicht möchte, dann kommt man näher an den gestalterischen Prozess, wo man Feedback schnell und früh einbinden möchte.

digital kompakt: Ich war Teil des ersten Jahrgangs der School of Design Thinking in Potsdam und da hatte ich einen Moment, den ich hochspannend fand. Bei der allerersten Übung dort hat jeder ein Blatt bekommen und musste beschreiben, was sein perfektes Portemonnaie ausmacht. Wie sieht es aus? Was muss es können? Was tut ihr dort rein? Wie benutzt ihr es? Bei der zweiten Aufgabe sollte dann das perfekte Portemonnaie für den Nebenmann designt werden. Man hat ihn unter anderem gefragt, wie er es benutzt, was es können soll usw.

Hinterher hat man erstens die Erkenntnis gewonnen, dass man selbst völlig anders ist als der Nebenmann, der zum Beispiel Sachen in seinem Portmonee aufbewahrt, an die man selbst nie gedacht hätte. Zweitens wurden die Ideen zum Aussehen des Portemonnaies für jemand anderen wesentlich kreativer. Sie waren viel besser, viel intelligenter gemacht. Ist das eine Stärke von dieser Methode? Wie kann ich diesen Nutzer-Fokus in meine Organisation bringen, ohne dass es ein Einmal-Feuer wird, was schnell in der Organisation verbrannt ist?

Chris Böhnke: Ich glaube, da müssen wir ein bisschen dekonstruieren, was du da gesehen hast. Die Übungen, die ihr da gemacht habt, sind Empathie-Übungen. Es ist letztendlich ein Spiel, um dich in die Lage zu versetzen, dich zu öffnen und anzuerkennen, dass andere Menschen andere Dinge wollen. Das ist übrigens etwas, was wir auch in unseren Workshops ganz am Anfang als Eisbrecher einbinden.

Wenn ich mit einem Kunden in der Phase bin, wo es erst einmal darum geht, herauszufinden, was die Bedürfnisse sind, nutze ich so eine kleine Methode, um den Leuten zu zeigen, dass wir uns in andere Leute hineinversetzen können. Das ist etwas, was man auch zeigen muss. Außerdem ist es einfach zu verbalisieren und man liegt zu 80 Prozent richtig. Der wichtigste Teil ist eigentlich der Punkt, dass man zu 80 Prozent richtig liegt und es nicht schlimm ist, dass man zu 20 Prozent daneben liegt. Es ist ein ganz wichtiger Bestandteil vom gestalterischen Prozess zu sagen, dass das Feedback früh kommen muss, man sich aber an die Lösung heranrobbt.

Wie schlägt sich das über wirklich anfassbare und wirklich nutzbare Prozesse im Unternehmen nieder? Nachdem man mit diesem Eisbrecher begonnen hat, erklärt man, wie ethnografische Forschung funktioniert. Das bedeutet, dass es eigentlich besser wäre, dich einen Tag lang zu beobachten, wie du dein Portemonnaie benutzt, als dich nur zu fragen, was dein Portemonnaie für dich macht. Denn die Annahme, dass du verbalisieren kannst, wozu du wirklich dein Portemonnaie benutzt, hat wiederum die Fehlerquelle, dass das natürlich deine eigene Meinung ist und sich auch mit deinem Selbstbild vermischt, wie du sein möchtest.

Nachdem das Eis gebrochen ist und ich versucht habe, mir ein Bild vom Kunden zu machen, setzen wir sehr, sehr schnell einen Fragebogen mit maximal zehn Fragen auf und holen uns die Leute her, mit denen wir dann diese Fragen durchgehen möchten. Hier geht es nicht mehr nur darum, in einer tollen Agenturumgebung und einfach nur anders und kreativ zu sein. Jetzt muss man sich wirklich mit jemandem unterhalten über das, was er möchte.

Und das muss man auch so gestalten, dass man Motivationen heraushören kann, ohne dass derjenige sie direkt nennt. Wenn Unternehmen das verstehen, dann kommen sie weg davon, nur Design Thinking einzukaufen und eine lustige bunte Bespielung und Post-its dazu zu bekommen. Wenn sich ein Team um ein Problem herum bildet, müssen alle Leute aus diesem Team in Interviews entweder präsent sein oder diese Interviews sehen, um zusammen die Konsequenzen daraus zu ziehen, was die befragten Personen brauchen.

Das bringt mich zurück zu der Geschichte mit den Autohäusern. Ich hatte nach fünf Monaten bei den Händlern in Summe mehr, als fünf bis sechs Mitarbeiter der Zentrale zusammen, die da aber auch schon seit zehn Jahren arbeiten. Wenn das der Wandel ist, den Design Thinking Trainings bringen kann, bin ich happy.

Wenn allerdings der Impact von Design Thinking Trainings da endet, wo man einen spaßigen Tag und sich gegenseitig ein Portemonnaie entwickelt hatte, dann halte ich das für sehr gefährlich, weil die Leute sich dann ja mit dem Thema beschäftigen durften, dann aber enttäuscht sind, weil sie es nicht zu Ende bringen können.

Mit Empathie zu echten Nutzerbedürfnissen

digital kompakt: Auch wenn die Frage jetzt fast ein bisschen technokratisch oder kleingeistig anmutet: wie viel Feedback muss ich einholen, um diese 80 Prozent, die du gerade beschrieben hast, erreichen zu können? Muss ich mit fünf Nutzern reden oder eher mit 20? Muss ich mit ganz vielen verschiedenen Typen reden? Hast du Faustregeln, wie du vorgehst, wenn du versuchst den Nutzer-Fokus zu erzeugen?

Chris Böhnke: Das ist witzig, dass du von Faustregeln sprichst. Der Gestaltung wird immer unterstellt, dass sie kein wissenschaftliches Feld sei. Letztendlich gibt es sogar Studien dazu, wie viele Leute du interviewen musst, um den Punkt zu erreichen, an dem die Erkenntnistiefe basierend auf deinem semi-strukturierten Fragebogen niedriger wird. Der Sweet Spot [optimaler Bereich] liegt da so zwischen sieben und zehn Menschen.

Wenn du dich auf nur einen Themenkomplex konzentrierst, fängst du nach sieben bis zehn Interviews zu dem, was du da vorschlägst, an, die gleichen Dinge zu hören. Dann kannst du noch 20 oder auch noch 30 machen, weil in Deutschland die Repräsentativität so wichtig ist und es sich gut anhört, 30 Interviews gemacht zu haben. In Wirklichkeit hast du aber nach der siebten oder zehnten Befragung nichts Neues mehr gehört und 30 Leute sind noch keine repräsentative Stichprobe. Wenn du jetzt quantitativ bzw. investmentseitig denkst, befindest du dich im Niemandsland.

Ich kann jedem dazu raten, wenn er eine Frage erschließen möchte, erst einmal mit mindestens sieben Leuten zu sprechen und sich nach zehn Leuten zu fragen, ob er wirklich noch neue Dinge erfahren hat. Wenn er neue Dinge hört, sollte er sich fragen, ob er vielleicht mit zwei verschiedenen Typen Menschen spricht, was auch eine wichtige Information für die Richtung der Lösung ist.

digital kompakt: Kommen wir zum weiteren Prozess. Was soll ich als nächstes tun, wenn ich diese Nutzer-Fokussierung bei der Recherche realisiert habe? Was kann man beim Design-Thinking-Ansatz für seine Organisation und deren Arbeitsweise mitnehmen?

Chris Böhnke: Wenn ich herausgefunden habe, welche Bedürfnisse die Leute haben, versuche ich erst einmal abzugleichen, wie viel denn die aktuelle Dienstleistung auf das einzahlt, was die Leute wirklich wollen, und ob das Problem, das wir uns zunächst angeschaut haben, am Ende auch wirklich das Problem der Menschen ist.

Als ganz plakatives Beispiel kann ich von einem Pharmaunternehmen berichten, das uns gebeten hat, eine 360-Grad-Marketingstrategie [integrierte Nutzung aller verfügbaren Kommunikationskanäle und passgenaue Abstimmung aller Marketingaktivitäten] zu entwerfen, weil sie der Meinung waren, die Leute hören nicht genug von ihnen. Sie wollten also noch mehr Ärzte und Krankenschwestern wissen lassen, dass es sie gibt, damit sie deren Medikament verschreiben.

Nach vielen Interviews mit Patienten, Ärzten, Krankenschwestern und der Familie von den Menschen kam dann letztendlich heraus, dass das Problem nicht die Frequenz oder die Erreichbarkeit ist, sondern das Niveau an Vertrauen innerhalb dieser Interaktionen. Im Prinzip ist das Pharmaunternehmen in diesen Interviews wirklich als böse wahrgenommen worden und so haben wir diese Problemstellung zur eigentlichen Designchallenge gemacht: Das Problem, das wir lösen wollten, war eigentlich nicht, dass wir mehr mit den Menschen über coole und nett aussehende Kanäle reden sollten, sondern dass wir es schaffen mussten, uns so aufzustellen, dass wir Vertrauen aufbauen.

Und plötzlich war das, was wir mit den Kollegen erarbeiten wollten, etwas ganz anderes und hat dazu geführt, dass wir eine Art Bewertung des aktuellen Teams gemacht haben. Wie wird heute Vertrauenswürdigkeit geliefert und, wenn Vertrauenswürdigkeit viel über Kommunikation kommt, wer aus dem Team kann denn überhaupt schreiben? Wer von den Kollegen hat gelernt, generell Text- oder Audio-Formate so zu gestalten, dass dabei ein gewünschtes Ergebnis herauskommt, sprich Vertrauensaufbau? Im nächsten Schritt wollten wir herausfinden, wie das, was sie heute lebten und ihre Involvierung als Dienst zu dem passte, was sie eigentlich brauchten.

digital kompakt: Bei Design Thinking nimmt der Prozess des Brainstormings einen sehr großen Stellenwert ein. Gerne startet man mit „How might we“-Fragen, also mit „Wie könnten wir…“. Dabei ist es gar nicht so einfach, eine gute Brainstorming-Frage zu erstellen, hier macht sich echte Erfahrung bemerkbar. Die Frage darf nicht zu weit sein, sodass in tausend Richtungen abgedriftet werden kann, und sie darf nicht zu klein bzw. eng sein, damit die Lösung nicht schon mit der Frage vorgegeben wird.

Der Kern ist also die „How might we“-Frage und dann gibt es bestimmte Regeln, nach denen dieses Feedback oder diese Ideenfindung abläuft. Regeln wie „Man unterbricht sich nicht“, „Keine Ideen bewerten“ usw. Ist dies in etwa das, was du gerade beschrieben hast, dass man mit diesem Wissen dann in den Prozess des Brainstormings geht? Und was ist dabei eigentlich wichtig?

Chris Böhnke: Diese Übung mit den „How might we’s“ kommt aus der agilen Entwicklung. Die Idee dahinter ist, dass, wenn man schnell Prototypen machen möchte, oft digitale Entwicklungen dahinter stehen. Und die agilen Jungs und Mädels, die gelernt haben, dass Wasserfall [eine unidirektionale Entwicklung] blöd ist und wir agiler arbeiten müssen, gerne anhand von User Stories [bewusst kurz gehaltene Software-Anforderungen] und Epics [Beschreibungen einer Anforderung an eine neue Software auf einer hohen Abstraktionsebene] haben dann eine ganze Klaviatur, einer Nomenklatur, die man lernen kann. Und dieses „How might we“ ist eigentlich nichts anderes als die Ausgestaltung von den Funktionen, die geliefert werden sollen.

In der Phase, wo du herausgefunden hast, wie der Prozess heute läuft und was die Leute eigentlich wollen, hast du schon eine gute Quelle für Ideen. All die Punkte, wo es mittelmäßig oder schlecht läuft oder – und das ist für mich der interessanteste und schlimmste Punkt – wo die Leute verwirrt sind und gar nicht wissen, was läuft, sind Chancen für Lösungen und die würde ich erst einmal aufnehmen als Probleme oder als Dinge, die man besser machen kann. Da endet das aber nicht.

Wir gönnen unseren Kunden dann auch mal ein Durchschnaufen. Nachdem wir aufgenommen haben, was nicht so gut läuft, machen wir einen Ja-Tag. Dabei vergessen wir, wie wir die Dienstleistungen erbringen und überlegen uns, wie man das auch ganz anders machen könnte. Das wiederum ist dann kein Brainstorming zur Verbesserung der aktuellen Situation, sondern es geht darum, wie man den gleichen Wert auch anders liefern kann.

Und da gibt es verschiedene kreative Methoden, die du anwenden kannst. Welche anderen Lebensbereiche könnten wir zum Beispiel für so eine Person regeln? Wie würde das aussehen? Wie würde der Wert, den derjenige daraus ziehen möchte, von anderen Unternehmen geliefert werden? Was passiert, wenn ich aus der aktuellen Vorgehensweise bestimmte wichtige Aspekte komplett herausstreiche? Es gibt also verschiedene Anreize, um am Ende die Blume, die man geöffnet hat, noch viel größer zu machen.

Da kommen wir zu dem Punkt zurück, den wir anfangs angesprochen hatten. In diesem ersten Teil geht es nicht darum, nur ein Problem zu lösen, sondern valide Lösungsansätze für das große Problem zu finden, um dann zu schauen, welche Aspekte von diesen validen Lösungen, die wir interessant finden, wir mit Endkunden oder, wenn man etwas für Kollegen macht, mit Kollegen erproben können. Und wenn wir wissen, was diese spannend finden, kommen wir zurück zu unserer „How might we“-Liste, um zu schauen, was wir davon jetzt eigentlich noch tun müssen, um zu einem Prototypen zu gelangen.

Ich bin ein großer Fan von der Strukturierung, die in dem Prozess liegt, den du gerade besprochen hast. Ich würde aber auch eine gewisse Zäsur in der Mitte treffen, um am Ende eine Verbindung zu schaffen zwischen dem, wie es heute läuft, und dem, wie es auch ganz anders gehen könnte. Das bringt nämlich einen dritten Aspekt mit ein. Da kommen wir jetzt dazu, weshalb wir keine Design- sondern Innovationsberatung machen.

Innovation läuft immer über Zeit ab. Und jetzt müssen wir uns fragen, wie wir das Problem, das wir heute haben, in weiter Zukunft lösen wollen und wie wir über verschiedene Punkte auf der Zeitachse dahin kommen. Das heißt, das „How might we“ heute oder in einem Jahr mag anders aussehen als das „How might we“ in fünf Jahren. Es mag aber schon die Lösung, wie es in fünf Jahren sein soll, in sich tragen. Das ist die Kür von dem, wie Innovationsberatung funktioniert und wie man den gestalterischen Prozess benutzen kann, um zu einer Art Roadmap zu gelangen.

digital kompakt: Lass uns doch noch ein bisschen in das ganze Thema Prototypisierung eintauchen. Das ist ja etwas, was sich Design Thinking auf die Fahnen schreibt: Schnell testen, schnell iterieren und dies wieder mit Nutzer-Fokus.

Der Gedanke ist also genau nicht, wasserfallartig etwas zu bauen, ewig daran zu werkeln und dann zu merken, „Ich habe alle Eier in einen Korb gelegt, aber der Korb hat einen Riss“. Sondern man versucht, schnell seine Körbe zu testen und dann zu gucken, in welchen man seine Eier hinein legen und wie man sie verteilen könnte. Wie geht man dazu vor? Was ist ein valides Vorgehen für Prototypen-Entwicklung? Muss ich das jedes Mal wieder direkt auch am Nutzer testen?

Chris Böhnke: Mein Vorgehen richte ich tatsächlich daran aus, wie viel Zeit ich mit unserem Kunden habe, und vor allen Dingen auch daran, wie der innere Geschmack in dem Unternehmen ist, Dinge zu tun, die sie sonst nicht tun. Es hängt oft auch davon ab, was unser Kunde bereit ist zu unternehmen. Für mich würde es vollkommen reichen, bestimmte Dienstleistungen durch eine Landing Page auszuprobieren, zu skizzieren, was das sein kann, und zu sagen „Interessiert dich das, dann schreib dich doch mal hier auf unsere Mailingliste. Wir geben dir Bescheid, wenn es das gibt“. Im Prinzip ist das nichts anderes als eine Kickstarter-Kampagne, nur dass es sich schmerzhafter für das Unternehmen anfühlt, weil das eine offizielle Seite von ihnen ist.

Wir haben bei einem Projekt den Instagram-Account eines Automobilherstellers für einen Tag gekapert und haben unser neues Angebot einfach online versucht darzustellen und dann geguckt, wie die Leute darauf reagieren, was sie dazu sagen, ob sie es mögen oder ob sie es nicht mögen. Die Frage, was ein guter Prototyp ist, hängt immer davon ab, wie weit dich dein Kunde auch wirklich das machen lässt. Der Service des Automobilherstellers wird jetzt so ausgerollt werden, obwohl vorher alle ganz viel Angst vor dem Projekt hatten, weil die Leute dann sehen können, dass sie etwas ändern wollen.

Das ist dann der Moment, wo sie selbst merken, was sie gerade gesagt haben. Sie bezahlen uns, damit wir etwas ändern, aber die Leute sollen nicht sehen, dass sie etwas ändern. Die Leute haben dies dann geliket, was auf einmal zu einer Übersprungshandlung vom Management geführt hat, nach dem Motto „Wenn das auf Instagram funktioniert hat, dann muss das ja eine sehr gute Idee und hochvalide sein“. Dies war dann aber der Zeitpunkt, wo wir gesagt haben, dass wir jetzt erst einmal weiterdenken und weiter ausprobieren müssen.

Was ein guter Prototyp ist, hängt immer davon ab, in welchem Teil des Prozesses du dich befindest. Ich habe zum Beispiel gar nichts geben Lego oder Knete, solange es darum geht, etwas ganz grob auszuprobieren – wohlwissend, dass jemand, nur weil ich ihm per Knete zeige, wie der Prozess abläuft, nicht sagen kann, dass er jetzt auch kaufen würde. Es gibt nur eine Indikation, ob sie das generell interessant finden oder nicht.

Wenn ich herausfinden möchte, ob jemand wirklich etwas kaufen will, muss ich ihm ein Szenario bieten, ein Mockup [Entwurfsmodell], was sich so real anfühlt, dass er sagen kann, dass er den Link dafür haben will, sobald es rauskommt. Das ist dann aber wiederum damit verbunden, dass man sich gestalterisch vorher überlegen muss, wie die Interaktions- und die visuelle Gestaltung aussehen sollen. Und da kommt nämlich der Casus knacksus für uns Deutsche.

Das ist etwas, was in der Strategieentwicklung und der Projektwelt meiner Kunden oft als etwas wahrgenommen wird, das sie als letztes machen wollen – als letztes kommt dort das Schön-machen. Leute finden etwas schön, weil es ihnen Wert bringt, weil sie es gerne tun. Unsere Designer schauen sich Dinge auch nicht an, um sie schön zu machen, sondern damit sie für dich in der Interaktion funktionieren und damit du verstehst, worum es hier geht.

Deswegen wird dann oft gesagt, wenn bestimmte Systeme noch nicht integriert sind, dann machen wir das nicht. Und so wird viel Innovation quasi im Keim erstickt, weil das Geld dafür nicht freigegeben wird, das reine Aussehen darzustellen und auszuprobieren, wenn man nicht gleichzeitig noch bestimmte Systeme anbindet, die für die Kunden letztendlich total irrelevant sind.

digital kompakt: Jetzt haben wir viel zu Design Thinking gesagt und die wesentlichen Aspekte hervorgehoben: Nutzer-Fokus, Brainstorming, Prototypisierung, Iterationscharakter. Wie soll ein Unternehmen die Methode aber anwenden? Oder gibt es alternative Vorgehensweisen, die vielleicht besser oder in Kombination damit vielversprechend sind?

Chris Böhnke: Ich glaube, da kommen wir zurück zu dem, was wir anfangs gesagt haben: Ich muss mir erst einmal klar werden, was ich machen möchte. Wenn ich in einer bestimmten Lösung nicht innovativ sein möchte, dann muss ich das auch nicht. Es gibt sehr gute Lösungen, die man sich, wenn sie nicht Kernkompetenz der eigenen Strategie sind, auch woanders holen kann. Man sollte ehrlich sein und sagen, dass es Dinge gibt, die sich sehr gut machen lassen, auch ohne dass man auf den kreativen Pfad aufsteigt oder Design Thinking oder irgendeine Form der Gestaltung nutzt.

Es gibt einfach Sachen, bei denen in der Vergangenheit gut durch Daten beweisbar ist, dass es besser läuft, wenn man diese so umsetzt. Also können wir dies auch so machen. Ich glaube, wenn jemand innovativ im Unternehmen sein möchte, sollte er zuerst einmal anfangen zu hinterfragen, ob die Marktforschungsergebnisse, die man zugespielt bekommt, wirklich neue Einblicke ermöglichen oder nur dafür da sind, um sich selbst zu beweihräuchern.

Es geht also nicht darum, zu fragen, ob man etwas gut macht, sondern zu hinterfragen, was eigentlich die Bedürfnisse sind, die wir bespielen wollen, und wie die Menschen diese Bedürfnisse verbalisieren, wenn man sie richtig fragt. Ich glaube, jeder der Design, Gestaltung oder Innovation generell lernen möchte und das in seinem Unternehmen auch umsetzen will, sollte sich und seine Mitstreiter um ein Problem herum zusammenbringen und dann Leute suchen, die dieses Problem haben und persönlich mit ihnen sprechen.

digital kompakt: Du hast jetzt ganz oft schon von „gestalterisch“ gesprochen. Das ist dein Mantra-Wort dieses Gesprächs. Kannst du einmal zusammenfassen, was das für dich eigentlich bedeutet?

Chris Böhnke: Ich erkläre erst einmal, warum ich so viel „gestalterisch“ sage. Ich möchte damit dem Wort „Design“ ausweichen, und zwar nicht, weil ich Design nicht mag, sondern weil es das Stigma hat, als wären wir alle Karl Lagerfeld und müssten uns Sachen einfach aus dem kreativen Saft herausgreifen. Design steht immer so ein bisschen unter der Idee, dass da verrückte Menschen sitzen, die mit der tollen Lösung ankommen. Deswegen nutze ich lieber „gestalterisch“.

Der Prozess bedeutet für mich, dass man nicht damit startet, ein Problem anzuschauen, das Risiko, das ich vor mir sehe, zu definieren und das Risiko dann runter zu managen auf die beste Lösung. „Gestalterisch“ heißt für mich, dass ich mir das Problem anschaue und dann mit den Leuten spreche, die dieses Problem haben, um festzustellen, ob das Problem vielleicht anders gelagert ist. Anschließend versuche ich, valide Ideen zu finden und nicht nur das, was ich weiß, runter zu managen auf das, was das Beste wäre. Ich schaue, wie man das auch noch ganz anders machen könnte und was noch andere Möglichkeiten wären, und ich sage nicht, dass es nur eine von diesen Ideen ist.

Gestaltung ist vielmehr oft Synthese. Das heißt, dass man plötzlich statt fünf möglichen Lösungen vielleicht 20 hat. Die Kombination aus zehn von diesen 20 Lösungen ist am Ende möglicherweise etwas ganz anderes als das, was andere aktuell tun, und das kann ich dann schnell testen. Statt einfach nur zu sagen, dass das die Ultima Ratio ist und Zahlen dahinter stehen, die das als richtig belegen, verlangt die Gestaltung von dir, dein Werk den Leuten ins Gesicht zu halten und zu fragen, ob sie es gut finden.

Wenn der Sehende dann sagt, dass er das nicht gut findet, dann muss man nach den Gründen fragen. Es kann zum Beispiel passieren, dass du jemandem draußen im Freien ein Bild zeigst. Dessen Meinung von dem Bild wird dadurch negativ beeinflusst, dass ihm draußen kalt ist. Deswegen brauchst du vielleicht eine Galerie, um dein Bild zu zeigen. Das heißt aber nicht, dass du das Bild ändern musst.

Die Gestaltung lässt zu, zu verstehen, was die Einflussfaktoren sind. Ich glaube, was anders ist als bei dem aktuell dominanten Ansatz in unserer Wirtschaft, ist tatsächlich zuzulassen, auf eine andere Lösung zu kommen und echtes Feedback einzuholen, anstatt sich politisch mit Zahlen für eine Lösung abzusichern, die vielleicht doch nicht funktioniert.

Handlungsempfehlungen für Unternehmen

digital kompakt: Jetzt müssen wir uns abschließend fragen, wenn deine Forderung ist, dass der gestalterische Aspekt mehr in den Business-Kontext bzw. in den Business Case Einzug halten sollte, was muss ich dann tun? Heißt das in der Konsequenz, dass ich intern gestalterische Positionen aufbauen muss?

Oder heißt es vielleicht in erster Instanz auch, dass ich gezwungen bin, am Anfang auf Agenturen wie euch zuzugreifen, um in diesen Prozess reinzukommen? Wenn die Denke nicht dort ist, wo sie sein sollte, um innovativ gestalterisch zu sein, muss ich mir entsprechendes dann von extern holen oder muss ich es intern aufbauen oder eine Mischung aus beidem?

Chris Böhnke: Ich glaube, es hängt tatsächlich mehr davon ab, welche Fähigkeiten man schon im Unternehmen hat. Es gibt durchaus deutsche Unternehmen, etwa ein Verlag, die ja schon gestalterisch arbeitende Menschen haben. Da gibt es bereits Leute, die schreiben, die kuratieren, die auch vom Ausbildungshintergrund her gestalterisch denken. Wenn diese stark sind, man ihnen den Freiraum lässt und ihnen die Möglichkeit gibt, zu verstehen, wie man das, was sie gelernt haben, auch für Geschäftsprobleme nutzen kann, dann braucht man keine Innovationsberatung. Ich glaube, dass es bei der Geschwindigkeit, mit der wir aktuell in Deutschland arbeiten müssen, aber durchaus Sinn macht, sich einen Partner zu nehmen, der weiß, wonach man suchen muss. Dann kann man schauen, ob man das selbst könnte.

Der erste Schritt ist also, rauszufinden, ob wir gestalterisch denkende Menschen haben und ob diese auf diesem Problem arbeiten können. Im zweiten Schritt geht es dann darum, ob die Entscheidungsstruktur und das Unternehmensgefüge (was in Deutschland meistens gleichzusetzen ist mit einer echten Hierarchie) bereit sind, so einen Prozess mitzumachen. Denn am Ende des Tages fragen immer alle, was der Return on Investment ist.

Und genauso gibt es auch einen Return on Innovation. Der lässt sich nur am Anfang an anderen Dingen messen als zum Beispiel an dem Fünf-Jahresprogramm, um ein neues CRM-System einzuführen, wo sowieso vorher entschieden wurde, dass man eines braucht. Und hinterher wird nur geguckt, wie man die Zahlen so drehen kann, dass es so aussieht, als hätte das auch gut funktioniert.

Ich würde sagen, dass der erste Schritt wäre, selbst wenn man keine gestalterisch denkenden Menschen im Unternehmen hat, die Leute noch einmal daran zu erinnern, dass im Studium schon jeder gute Professor bei der Diplomarbeit oder bei den Bachelor- und Master-Arbeiten über das Gleichgewicht aus qualitativer und quantitativer Forschung gesprochen hat. Jeder, der so eine Arbeit geschrieben hat, weiß, wie diese zwei Bereiche funktionieren, und muss sich dann fragen, ob er stark genug in dem qualitativen Bereich ist.

Um echte Fragen zu stellen, gibt man das Verständnis der eigenen Kunden nicht zu sehr an Marktforschungsunternehmen ab, die nicht Teil des Unternehmens sind und kein Interesse daran haben, dass das Unternehmen besonders erfolgreich wird, sondern daran, dass ihre Erkenntnisse möglichst zu dem passen, was der Kunde hören möchte.

Und wenn man das alles gemacht hat, kann man sich selbst überlegen, ob das etwas ist, was man alleine oder mit Hilfe von Außen stemmen möchte. Das Einzige, was ich jedem raten würde, ist: sucht euch ein Problem. Bringt eure Leute um ein Problem zusammen und versucht nicht, Design zu machen um des Designs willen.

digital kompakt: Herzlichen Dank, man merkt, dass hier um die Ecke gedacht und die schmerzende Wahrheit angesprochen wird. Vielen Dank für deinen praxisnahen Input und in diesem Sinne „Auf bald!“.

Chris Böhnke: Danke euch.

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