Transkript zu:

Deep Dive

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Februar 28, 2017
In seinem Unternehmer-Podcast Deep Dive spricht digital kompakt mit Maximilian Viessmann über die Digitalisierung eines 100 Jahre alten Familienunternehmens, das zukünftig nicht nur als Heizungshersteller und Wintersport-Sponsor, sondern vor allem auch als schlauer Investor auftreten will.

Inhaltsübersicht

Transkript zu:

Deep Dive

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Februar 28, 2017

Die Digitalisierung der Traditionsmarke Viessmann

In seinem Unternehmer-Podcast Deep Dive spricht digital kompakt mit Maximilian Viessmann über die Digitalisierung eines 100 Jahre alten Familienunternehmens, das zukünftig nicht nur als Heizungshersteller und Wintersport-Sponsor, sondern vor allem auch als schlauer Investor auftreten will.

Maximilian Viessmann über Digitalisierung

Digital kompakt: Wir sitzen hier in einem mollig warmen, aber wirklich sehr gemütlichen und fast schon romantisch eingerichtetem Serverraum bei einem alteingesessenen Unternehmen. Stell dich doch mal ganz kurz vor und beschreib uns was du machst.

Maximilian Viessmann: Mein Name ist Max Viessmann und ich bin Chief Digital Officer [auch CDO] im 100-jährigen Familienunternehmen Viessmann. Wir befinden uns hier gerade in unseren heiligen Hallen, ein wenig im Auge des Sturms unserer digitalen Aktivitäten. Wir sind dabei, unser Unternehmen nachhaltig zu erneuern und links und rechts zu digitalisieren.

Digital kompakt: Gib uns mal ein Gefühl von deinem Unternehmen: Im Vergleich zu einem Internetunternehmer ist ein Unternehmen mit einer hundertjährigen Geschichte ja beinahe schon ein Relikt aus dem Dinosaurierzeitalter. Was für ein Unternehmen führst du da eigentlich, was macht ihr im Kern, wie groß seid ihr und was ist euer ganzes Spektrum?

Maximilian Viessmann: Die Ursprünge unseres Unternehmens liegen in der Heiztechnik. Wir haben das Unternehmen in den letzten Jahren sehr stark internationalisiert und das Wachstum sehr stark vorangetrieben. Wir machen jetzt etwa 2,3 Milliarden Euro Umsatz mit etwa 11.500 Mitarbeitern als Teil unseres Familienunternehmens. Der Hauptfokus liegt nach wie vor auf den Heiz-, Energie-, Industrie- und Kühlsystemen. Wir sind hier in Summe sehr solide aufgestellt und erschließen jetzt für uns völlig neue Möglichkeiten – nicht nur aus dem Serverraum heraus.

Digital kompakt: Vielleicht kannst du auch mal einen Satz zu dir und deinem Job als Chief Digital Officer sagen – im Übrigen habe ich gelesen, ist deine Position bis 2017 befristet…

Maximilian Viessmann: Der Hintergrund ist, dass man, ähnlich wie in Early-Stage-Startups, in Familienunternehmen einen sehr bereinigten Captable hat. Das heißt, es ist ein sehr fokussierter Gesellschafterkreis, der es mir und der restlichen Familie ermöglicht, sehr unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Wir haben in der Vergangenheit das Glück gehabt, dass wir in den vorangegangenen drei Generationen immer Gründer-Unternehmer gehabt haben; also Gründungen im Jahr 1917, Gründungen nach dem Zweiten Weltkrieg und in gewisser Weise auch die Neuerfindung des Unternehmens in den 1990er Jahren. Und letztendlich stehe ich zu einem gewissen Teil jetzt ebenfalls vor derselben Herausforderung, dass wir das Unternehmen ein Stück weit neu erfinden bzw. neue Opportunitäten für uns erschließen müssen. Und da steht natürlich die Verantwortung für die 11.500 Mitarbeiter zunächst über allem.

Digital kompakt: Was machst du als Chief Digital Officer?

Maximilian Viessmann: Im Wesentlichen besteht meine Aufgabe aus drei Teilen: Der Großteil besteht darin, das bestehende Geschäft besser zu machen. Das heißt größere Skalierbarkeit in die Prozesse hinein zu bringen und digitale Touchpoints aufzutun; also alles das, was sich auf Basis der bestehenden Plattformen schneller erschließen lässt. Der zweite Teil beinhaltet angrenzend an das bestehende Geschäft neue digitale Geschäfte für uns zu erschließen. Der dritte Teil umfasst, dass wir sehr stark diversifizieren, über Company-Building-Vehikel, über einen Venture-Capital-Fonds etc. So schaffen wir für uns Möglichkeiten, eher breit an Deep-Tech-Themen zu partizipieren und weniger nur auf unseren strategischen Kern zu schauen.

Digitalisierung in einem Familienunternehmen

Digital kompakt: Wie begreift jemand wie ihr eigentlich Digitalkompetenz?

Maximilian Viessmann: Es ist wichtig, die Digitalisierung nicht der Digitalisierung willens voran zu treiben. Das ist sicherlich auch ein Unterschied für ein 100-jähriges Familienunternehmen, wie wir es sind. Wir müssen keine Story für den Kapitalmarkt bauen, sondern das was wir tun, tun wir aus Überzeugung heraus und weil wir konkrete Opportunitäten sehen. Wenn man versucht, die digitalen Kompetenzen herunter zu brechen, dann unterscheiden sie sich sehr stark, ob man in der Transformation des Kerngeschäfts unterwegs ist oder im Aufbau oder in der Diversifikation. Schaut man auf das Kerngeschäft: da geht es in der ersten Phase darum, den Leuten die Möglichkeit zu geben, zunächst erst einmal zu verstehen, was eigentlich die konkreten Anknüpfungspunkte sind. Das heißt, man geht letztendlich durch alle Prozesse und Wertschöpfungsketten hindurch und schaut, was in anderen Aktivitäten und Unternehmen vorhanden ist und überträgt dies dann auf unser Kerngeschäft.

Digital kompakt: Wie geht ihr hierbei vor: versucht ihr das Geschäftsmodell „digital-tauglich“ zu machen und auf diesem Wege „zu retten“ oder versucht ihr digitales Neugeschäft zu erzielen? Wie viel Prozent eures Fokus fallen auf Neugeschäft und wie viel fallen darauf, das Altgeschäft „digital-sicher“ machen?

Maximilian Viessmann: Viele der etablierten Unternehmen befinden sich im Moment noch in einer Realisierungsphase. Sie setzen sich damit auseinander, ob es Unternehmen gibt, die ihr Kerngeschäft angreifen oder die eine potenzielle Bedrohung darstellen und versuchen dies dann auf ihr Kerngeschäft zu adaptieren. Das ist im ersten Schritt auch ganz gut, aber es stellt noch keine eigentliche Wertgenerierung dar. Die nächste Phase besteht darin, dass man sich damit auseinandersetzt, warum man das eigentlich macht bzw. wie setzt man das Ganze auch um.

Ich glaube, hier sind wir bereits an dem Punkt, dass wir deutlich besser verstanden haben, dass es nicht nur darum geht, die Halbwertszeit unseres bestehenden Geschäftsmodells zu reduzieren, sondern eher ein bisschen kreativer zu sein. Also was für Dinge kann man drum herum entwickelnt, auf die nicht unbedingt jeder kommt, und hier unsere eigenen Cases zu bauen. Und hier verwenden wir schon eine signifikante Zeit darauf herauszufinden, was man in Frage stellt bzw. was sich lohnen würde, weiter auszubauen.

Digital kompakt: Was sind die Ziele, die du konkret setzt, wenn ihr digitalisieren wollt?

Maximilian Viessmann: Ich glaube die Kernbotschaft ist: wir wollen und können deutlich konzentrierter sein in dem was wir vorantreiben und in unseren Lösungen, die wir anbieten. Und wir können die Aktivitäten, die wir entwickeln, durch Technologiegetriebenheit deutlich skalierbarer machen. Das Ganze tun wir natürlich nicht, weil wir Spaß daran haben, sondern weil wir am Ende des Tages auch ein Stück weit der Nachhaltigkeit verpflichtet sind, sowohl als Familienunternehmen als auch in der Bereitstellung von Energie und Wärme. Und da ist Digitalisierung für uns ein riesiger Hebel, um auf dieses Ziel stärker einzuzahlen.

Digital kompakt: Wenn man es ganz sachlich betrachtet, erscheint es, dass jeder Euro, den du statt in die Transformation des Alten in die Innovations-Pipeline Richtung Neugeschäft investierst, einen größeren Hebel darstellt, oder?

Maximilian Viessmann: Wenn man sich anschaut, wie transformiert wird, spielt es eine sehr wichtige Rolle, welchen Grad an Effektivität man erreicht. Wenn man beispielsweise nur gegen politische Strukturen arbeitet, dann reibt man sich an diesen Strukturen auf. Der riesige Vorteil in unserem spezifischen Fall ist, dass wir ein sehr unpolitisches Unternehmen sind und stark inhaltsgetrieben arbeiten. Das macht es deutlich leichter, eine erfolgreiche Transformation anzustoßen, weil die Leute am Ende des Tages total committed sind und verstanden haben, dass es für uns eine große Opportunität ist und nicht nur eine reine Bedrohung darstellt.

Digital kompakt: Ich glaube das ehrlich gesagt nicht so richtig. Also ich glaube dir, dass ihr als Familienunternehmen nicht die gleichen Restriktionen habt, wie ein börsennotiertes Unternehmen, aber bei 11.500 Mitarbeitern nebst allen Zwischenleveln hat man doch immer Politik – zumal es bei der Digitalisierung auch Verlierer gibt. Ich stelle mir das nicht so einfach vor, eine so große Anzahl an Mitarbeitern in Richtung „digital“ zu bewegen.

Maximilian Viessmann: Das ist sicher auch die vereinfachte Variante. Es ist natürlich so, dass wir in den letzten zwei Jahren sehr viel in Kommunikation, vor allem intern, investiert haben. Wir haben zahlreiche Plattformen geschaffen, auf denen sich die Leute mit Hilfe eines Deep-Learning-Programms aufschlauen können. Es handelt sich dabei um ein digitales Enable- und Education-Programm, das wir gestartet haben, um über verschiedene Mobile-first entwickelte Apps die Kommunikation anzukurbeln und bei den Leuten überhaupt erstmal das Wissen aufzubauen.

Und ich glaube, dann schaffst du schnell Verständnis dafür, dass jeder grundsätzlich die Möglichkeit hat, daran zu partizipieren. Und diese Chance musst du den Leuten auch einräumen, wenn es vielleicht auch einmal etwas länger dauert. Aber letztendlich auch um die Anzahl der Verlierer möglichst klein zu halten und da wo es sich nicht vermeiden lässt, entsprechend transparent damit umzugehen. Und das tun wir sehr aktiv bzw. dafür haben wir bewusst im Vorhinein sehr viel Zeit aufgewendet und das zahlt sich aktuell auch aus.

Digital kompakt: Hast du eine Art des Umgangs gefunden, wie man mit diesen Ängsten und Widerständen, die sich so ergeben, am besten umgeht?

Maximilian Viessmann: Ich glaube, du musst einfach eine Bühne für einen offenen Austausch schaffen. Beispielsweise habe ich mit Beginn meiner Tätigkeit als Chief Digital Officer das TGIM-Meeting eingeführt, das sogenannte „Thank God it´s Monday“-Meeting, in dem ich mich mittels Livestream eine Stunde vor die versammelte Mannschaft hingestellt und angeboten habe, dort offen Inhalte zu präsentieren und alle möglichen Fragen zu beantworten. Das wirkt jetzt trivial, weil du in einem Early-Stage-Unternehmen deine All-heads-Meetings auch hast. Aber bei 11.500 Mitarbeitern ist das eine andere Herausforderung. Ich glaube das hat signifikant dazu beigetragen, dass diese Ängste auch öffentlich artikuliert wurden. Es hat ein wenig gedauert, bis wir da maximale Transparenz hatten, aber mittlerweile sind wir an einem Punkt, dass es in Summe sehr gut funktioniert.

Digital kompakt: Hast du noch andere Werkzeuge, die du dafür benutzt?

Maximilian Viessmann: Wir haben sehr viel über digitale Tools gemacht, wie die Einführung von Slack (Webseite) in den Teams zur Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten und Asana (Webseite) für das einfachere Management der ganzen Entwicklungs-Pipelines. So haben wir eine gewisse Skalierbarkeit hergestellt und den Leuten gezeigt, dass es für sie einen effektiven Mehrwert stiftet. Aber ich glaube auch, in Summe ist es die Mischung aus „Menschen-zentriert“ zu sein (denn wir sind nun mal ein „People Business“) und auf der anderen Seite eine maximale Transparenz zu ermöglichen, sodass niemand das Gefühl hat, dass es irgendwo eine versteckte Agenda gibt, die bloß noch nicht kommuniziert wurde. Und da haben wir gerade als Familie natürlich eine andere Glaubwürdigkeit als das in jedem anderen Unternehmen der Fall ist.

Digital kompakt: Wie lange macht ihr dies schon?

Maximilian Viessmann: Wir haben vor ungefähr zwei Jahren gestartet und im Grunde die Transformation von innen heraus- und von außen eingeführt. Wir sind gestartet mit einem Venture-Capital-Vehikel mit Vito Ventures (Webseite) in München, wo wir in IoT- [Internet of Things] und Deep-Tech-Firmen investieren – post-seed [nach der ersten Seed-Finanzierungsrunde] und aufwärts. Dies hat uns letztendlich die Möglichkeit für einen breiten Austausch mit Early-Stage-Unternehmen geboten, aber keinen strategischen Deal Flow [der Zugang eines Investors zu Investitionsmöglichkeiten] dahinter gesetzt, sondern rein finanziell getriebene Investments. Und auf der anderen Seite haben wir die ganzen Kommunikations- und ersten Gehversuche im Kerngeschäft vorangetrieben und dann peu à peu angefangen, darum herum unsere ersten digitalen Produkte zu bauen. Die eigentliche Beschleunigung kommt jetzt in den letzten Wochen und Monaten auf und dies wird jetzt noch einmal deutlich über den Serverraum hinausgehen.

Digital kompakt: Lass uns sagen, man gibt nur 2.000 Menschen ein neues Tool in die Hand. Selbst dies ist schon unfassbar komplex…

Maximilian Viessmann: Oder anders herum gesagt, ist es unfassbar, wie schnell die Sachen skalieren. Wenn man an eine Großorganisation im klassischen Sinne denkt, dann sagt man immer, das ist viel Legacy [Altlasten] und alles dauert sehr lange. Aber ich glaube, wenn man die Kommunikation und den Wissenszugang smart genug baut und die Strategie entsprechend kommuniziert, skaliert dies extrem. Man muss dafür zwar auch bisschen kämpfen, aber ich glaube das ist für uns ehrlicherweise eine riesige Opportunität.

Digital kompakt: Vielleicht sollten wir mal einen Satz zum Thema Thermondo sagen: Das ist ja eher ein Ansatz, der dahin geht, euer Kerngeschäft in eine digitale Welt zu transformieren. Wie ist hier euer Blick auf solch ein Vorgehen? Ihr könntet euch mit solchen Akteuren intensiver austauschen, über Beteiligung nachdenken. Ist es auch ein Aspekt, solche wirklich kerngeschäftsnahen Vorgänge zu verfolgen, wenn ihr über Digitalisierung nachdenkt?

Maximilian Viessmann: Ja, ich glaube, dass Philipp [Pausder, Geschäftsführer von Thermondo] hier einen guten Job macht und wir auf einem guten Weg sind . Und letztendlich zahlen sie ja auch auf ein übergeordnetes Ziel ein, nämlich das die gesamte Wertschöpfungskette sich stärker digitalisiert und skalierbarer wird. Letztendlich kämpfen wir zu einem gewissen Grad an denselben Fronten in dem Sinne, dass wir unsere Partner in Summe digital stärker befähigen und so gute Voraussetzungen schaffen, dass das Handwerk den Schritt in Richtung eines digitalen Handwerks schafft. Thermondo als digital-born Handwerksbetrieb setzt hier und da sehr gute Beispiele, wie man das erreichen kann. Von daher ist es eine sehr gute Zielkongruenz, wie wir am Markt unterwegs sind.

Digital kompakt: Gib uns doch mal ein Gefühl wie ihr eine Heizung verkauft: Bringt ihr diese selbst direkt an den Mann und die Frau oder arbeitet ihr mit den ganzen Gewerken, die bei der Installation beteiligt sind? Worauf ich hinaus will ist: Habt ihr die Unabhängigkeit, um euch selbst zu erlauben, diese Kette weiter digitalisieren zu wollen und ggf. sogar weitere Schritte dieser Prozesskette selbst zu übernehmen?

Maximilian Viessmann: Das ist ganz unterschiedlich. Man vergisst schnell, wie groß das Unternehmen heute ist. Wir sind in 75 Ländern aktiv und haben sehr unterschiedliche Go-to-Market-Strategien. Schaut man auf so ein schnell wachsendes Land wie China, dann betreiben wir dort gemeinsam mit unseren Partnern über 500 Retail Stores. Das heißt, hier hat man sowohl online als auch offline sehr konkrete Customer Touchpoints, was sehr gut zu unserem dortigen Geschäftsmodell und unseren Aktivitäten passt. In Deutschland zahlen wir sehr stark auf die über 100 Jahre lang gewachsenen partnerschaftlichen Strukturen ein und tragen letztendlich dazu bei, dass wir gemeinsam einen starken Weg in Richtung Digitalisierung bestreiten können. Das variiert natürlich sehr stark über die verschiedenen Länder hinweg.

Digital kompakt: Aber könntest du dir trotzdem vorstellen, diese Prozesskette noch weiter zu erschließen und zu digitalisieren?

Maximilian Viessmann: Ich glaube, das ist ähnlich wie die Frage „Warum mache ich eigentlich Digitalisierung?“ Es ist kein Selbstzweck. Das ist der einfache VC-Pitch. Ich muss end-to-end die Wertschöpfungskette kontrollieren. Ich glaube nicht, dass das in sich ein Ziel ist, sondern die Frage ist, wie gestaltest du in Summe eine positive Kundenerfahrung für den Nutzer unserer Produkte. Und mit dieser Frage setzen wir uns vor allem mit den Berliner Teams sehr intensiv auseinander, sodass wir am Ende eine tolle Customer Experience anbieten können. Dazu trägt auch bei, dass wir links und rechts digitale Touchpoints haben bzw. unsere Geräte deutlich smarter gemacht werden, als das vielleicht in der Vergangenheit der Fall war.

Digitalisierung ins Management bringen

Digital kompakt: Ich erinnere mich an eine Geschichte von einem Pizza-Hersteller, wo ein Mitarbeiter die Schnittbreite der Salamischeiben um einen Millimeter zu hoch eingestellt hat. Dieser kleine Fehler kostete das Unternehmen in einer Stunde 30.000 Euro. Skalierende Faktoren dieser Art werden bei euch ähnlich sein, habt ihr dort auch ein gewisses Risiko in der Organisation?

Maximilian Viessmann: Ja, absolut. Ich glaube, du wirst eine Organisation niemals mobilisieren, wenn du Angst davor hast, Fehler zu machen und bei uns ist sicherlich auch eine Menge runtergefallen links und rechts,. Aber das ist eben ein Teil dieses iterativen Prozesses. Ein riesiger Hebel für uns war in der Transformation zum Beispiel die Umstellung auf SCRUM. Die ganzen Transformationaktivitäten laufen in einem zweiwöchentlichen Sprint und das ist ein sehr guter Weg, um in so einer großen Organisation die Kommunikationsbarrieren über Hierachien hinweg zu ziehen. Alle sitzen in Sprint Plannings mit drin, alle zahlen darauf ein, dass die Planung für die nächsten zwei Wochen gewährleistet und nicht irgendeine Hierarchiegrenze eingehalten wird. Und das versetzt sowohl die Mittel- als auch die Topmanager in die Lage, die Mitarbeiter entsprechend zu unterstützen.

Digital kompakt: Wie läuft das von der Organisation her ab? Ihr verfügt zum Beispiel über ein „Digital Steering Committee“. Was verbindet sich damit?

Maximilian Viessmann: Ich bin ja nicht der erste CDO [Chief Digital Officer] in der Viessmann-Gruppe. Mein Vorgänger ist heute CEO. Das heißt, es gibt also Aktivitäten, die auch schon ein bisschen weiter zurückreichen. Und dadurch haben wir in unserem Führungsgremium mittlerweile eine sehr starke Digitalkompetenz, sowohl auf der CEO- als auch auf der CDO-Position und auch in den anderen Ressorts. Wir haben einen Modus gefunden, dass wir in den einzelnen Initiativen alle aktiv sind und da gibt es niemanden, der sich dem entziehen kann in seinen einzelnen Disziplinen. Wir haben wöchentliche Abstimmungszyklen, wo wir sehr gut nachhalten, wie wir mit den Transformationsativitäten voran kommen.

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Digital kompakt: Ohne despektierlich klingen zu wollen, aber wenn ich mir eure Führung anschaue, siehe etwa Martin Viessmann und Joachim Janssen, dann sind die beiden ja klassische Silberrücken und gefühlt deutlich jenseits der 40. Da ist es doch vermutlich nicht so einfach, denen Digitalisierung nahe zu bringen.

Maximilian Viessmann: Man unterstellt ja immer, dass es da eine Alterskorrelation gibt. Aber ich glaube, das ist für mich das größte Learning dieser Zeit, dass dies überhaupt nicht der Fall sein muss. Es gibt in so großen Organisationen häufig Leute, die einfach per se sehr smart sind und sich auf neue Themen einstellen können, die sind vielleicht nicht digital-born oder Digital Natives, aber sie haben eine hohe Auffassungsgabe und können sich mit den Themen intensiv auseinander setzen. Du hast gerade meinen Vater angesprochen. Er ist letztendlich der Initiator der Initiative gewesen. Bei mir hat irgendwann mal das rote Telefon geklingelt mit dem Hinweis, dass ich die Transformation doch bitte ein wenig aktiver als von der Seitenlinie vorantreiben soll. Das habe ich gerne gemacht, aber auch deswegen, weil wir beide dasselbe Verständnis davon hatten, wie wir uns diesem Thema nähern sollten.

Digital kompakt: Kommen wir zurück zur Digitalkompetenz: Florian Heinemann hat mit uns einen spannenden Podcast zum Thema Digitalisierung aufgenommen und hier zwei Sachen herausgehoben: Für ihn bedeutet Digitalkompetenz einerseits Verständnis rund um das Thema IT und Produkt und andererseits das Thema Daten. Sind dies Dinge, die ihr auch auf der Agenda habt?

Maximilian Viessmann: Wenn du die zweite Seite unserer niedergeschriebenen Strategie aufschlägst, findest du zwei Elemente: Das eine ist Skalierbarkeit durch Technologie-Insight und die andere Komponente sind Daten. Ich glaube, das ist total naheliegend, dass man sich damit auseinandersetzt. Man kann nicht „auf Teufel komm raus“ riesige Data Warehouses aufbauen, aber wir haben natürlich super spannende Themen auf der Produkt-Machine-Learning-Seite als auch auf der Kunden-Interaktionsseite. Und das versuchen wir der bestehenden Plattform entsprechend zuzuführen, um damit für unsere Kunden entsprechenden Mehrwert zu generieren.

Digital kompakt: Lass uns sagen, dies sind zwei Fokusbereiche von euch: Behandelt ihr diese eher wie einen Tanker mit Beibooten, die sich zwar nah an, aber nicht direkt in der Organisation befinden oder ist das eigentliche Ziel das Know-how in die Organisation hinein zu diffundieren? Also arbeitet ihr zentral oder dezentral?

Maximilian Viessmann: Ein Riesenproblem, das viele große Organisationen haben, ist die fehlende Aufbau- und Ablauforganisation. Damit meine ich, dass es keine klar abgesteckten Zielsetzungen und Verantwortlichkeiten gibt, sondern diese Fragestellung ist eher nebulös. Das ist ja auch häufig, was zu späteren Finanzierungsrunden im Venture-Bereich sichtbar wird. Und dann fängt man an, stärker zu fokussieren – und das ist genau das, was wir machen.

Ich habe mir irgendwann das Motto angeeignet „Focus is saying ‚No’“, also auch mal ‚Nein‘ zu bestimmten Themen zu sagen, und das gibt dir die Möglichkeit, innerhalb dieses großen Konstrukts sehr strukturiert Aktivitäten aufzubauen. Wenn du zum Beispiel bei uns unter die Motorhaube auf der Technologieseite guckst, dann findest du eine supermoderne Microservices-Architektur, wie du sie wahrscheinlich nicht bei einem etablierten Unternehmen vermuten würdest. Da haben wir einfach für uns den Fokus gesetzt, um am Ende darauf einzuzahlen, dass wir tatsächlich die Skalierbarkeit haben, die wir mittelfristig anstreben.

Digital kompakt: Das läuft ein Stück weit auf die Frage hinaus: wenn ich mich als Corporate digitalisiere, habe ich zwei Möglichkeiten: Entweder ich mache dies nahe an der Bestandsorganisation und nehme in Kauf, dass ich Reibung wie Politik etc. habe oder aber ich starte auf der grünen Wiese komplett neu und versuche mir so diese ganze Legacy zu ersparen. Was hältst du hier für den vielversprechenderen Weg?

Maximilian Viessmann: Das ist die rein akademische Trennung, die heute herrscht. Ich glaube, wir sind die sortenreine Mitte, das heißt wir sind deutlich kooperativer an der Stelle unterwegs als das Ganze entsprechend zu trennen. Es gibt einen sehr guten und fundierten Austausch sowohl zwischen dem Venture-Capital-Vehikel und dem Company Builder mit den bestehenden Viessmann-Digitalaktivitäten als auch mit der Kernorganisation. Wir haben hier für uns eine gute Bühne gefunden, auf der keine stoische Trennung erforderlich ist, da wir die Politik so im Griff haben, dass in den schnell drehenden Einheiten keine Verluste entstehen.

Digital kompakt: Wie gehst du denn mit dem Thema Mindset um? Frei nach dem Motto von gerne einmal in der Transformation gehörten Aussagen wie „Die da drüben geben das Geld aus, das wir verdienen und dann können die auch noch arbeiten wie sie wollen!“

Maximilian Viessmann: Lass uns hier am besten den Punkt betrachten, wie wir die Transformation im Kern begonnen haben: Wir haben an unserem Kernstandort in Mitteldeutschland 4.500 Mitarbeiter und dort gibt es einen zentralen Ort: die Kantine. Und direkt neben der Kantine befindet sich ein Glaswürfel, der vormals das Verwaltungsrats-Casino war und heute von den digitalen Teams besetzt ist. Das heißt, diese sitzen dort sehr prominent. Was aber viel wichtiger ist, es gibt dort keine verschlossenen Türen. Jeder Mitarbeiter kann jederzeit hinein gehen; jeder Mitarbeiter sieht unsere Dashboards und Scrumboards und die Themen, an denen wir momentan arbeiten. Es ist daher einfach sehr anfassbar und nicht versteckt.

Man hat da natürlich auch manchmal den Effekt, dass das Mitarbeiter am Anfang argwöhnisch betrachten, aber das klingt nach zwei bis drei Wochen ab und sorgt eher dafür, dass das Ganze eine hohe Identifikation gewinnt. Und genauso ist das mit unseren Berliner Aktivitäten. Wenn du heute hier durchs Büro läufst, triffst du eine Menge Leute von anderen Standorten aus der Kern-Organisation, die heute Workshops haben, sich entsprechend austauschen. Das heißt da gibt es nicht diese „Die da drüben“-Barrieren.

Gründen, Beteiligen, Kaufen – was macht Viessmann?

Digital kompakt: Wenn man auf die Berührungspunkte zwischen Startups und Corporates schaut: hier hat man oft das Problem, dass, wenn ein Corporate mit einem Startup zusammen arbeiten möchte, dieses aufgrund der Prozessstrukturen und Hierarchien des Corporates, komplett ausbremst wird. Wie schafft ihr es, dass man sich trotz der bestehenden Prozesse und Strukturen nicht das Tempo nimmt?

Maximilian Viessmann: Ich glaube, da muss man sehr genau unterscheiden, wie die Zielsetzung ist, die man in der Zusammenarbeit zwischen der Early-Stage-Aktivität und dem etablierten Unternehmen verfolgt. Leider ist es häufig so, dass es sich vor allem bei den etablierten Unternehmen um einen Erkenntnisprozess handelt, das heißt, wie arbeiten die Unternehmen und was kann ich von ihnen lernen.

Bei uns ist es eher so, dass wir auf der einen Seite von Anfang an strukturiert darüber nachgedacht haben, wie wir zum Beispiel im B2B-Kontext als ein guter Lead-Customer für das Produkt fungieren und so für ein etabliertes Unternehmen ein entsprechend repräsentatives Feedback geben können, um das Produkt besser zu gestalten bzw. die Sales-Aktivitäten besser zu strukturieren. Und auf der anderen Seite haben wir, wenn es irgendwo einen strategischen inhaltlichen Fit gab, einen klar strukturierten Prozess und eine sehr starke Tool Box angeboten, so dass man dem Venture einen entsprechenden Mehrwert bringen kann.

Digital kompakt: Ich habe gelesen, dass ihr mit dem Companybuilder Wattx, den ihr aktuell aufbaut, nicht darauf abzielt, digitale Themen in das Unternehmen zu bringen. Was steckt dahinter?

Maximilian Viessmann: Als Familienunternehmen hat man den Vorteil, dass es keinen Konglomeratsabschlag [ein im Börsenumfeld typischer Abschlag auf den Wert eines großen Unternehmens, das in verschiedenen Sparten tätig ist] gibt und man sich eine gewisse Diversifikation leisten kann. Wir sehen gerade am Standort Deutschland und Zentraleuropa sehr spannende Themen im Deep-Tech- und IoT-Bereich und dort wollen wir spannende unternehmerische Aktivitäten schaffen und spannende Unternehmer unterstützen. Und klar, wenn du in der Gebäudeinfrastruktur im Energiekontext steckst, gibt es immer wieder eine Schnittmenge, aber das ganze klare Ziel ist es, dort losgelöste Aktivitäten aufzubauen. Das, was auf das Kerngeschäft einzahlt, ist sehr viel stärker auch an der Marke Viessmann orientiert und sehr tief in der DNA der Viessmann-Organisation verwurzelt.

Digital kompakt: Wie arbeitet ihr bei Wattx genau und was ist der Fokus?

Maximilian Viessmann: In Summe ist Wattx (Webseite) sehr UX-getrieben [UX = User Experience = Nutzererfahrung oder Nutzungserlebnis]. Im Prinzip gibt es kaum eine Aktivität, wo wir nicht innerhalb der ersten ein bis zwei Tage wissen, was das eigentliche Kernproblem ist, das es zu lösen gilt und dann entlang dieses Problems iterieren, ob das Ganze am Ende auch nachhaltig zu monetarisieren ist. Du wirst nie von uns eine Aktivität sehen, wo wir irgendwo einen Businessplan gesehen haben und diesen dann einfach nachbauen. Uns geht es eigentlich immer darum, die Essenz herauszufinden, was das effektive Problem ist, das so vielleicht noch niemand gesehen und adressiert hat.

Das heißt aber im Endeffekt auch, dass wir viele Sachen wieder verwerfen. Der grundsätzliche Ansatz ist es aber, das Ganze sehr unternehmerisch aufzubauen. Das bedeutet, das sowohl das Team X als auch die Gründer der einzelnen Ventures signifikante Equity-Shares haben und damit tragen wir natürlich dazu bei, dass es auch längerfristig eine sehr gleichgeschaltete und gemeinsame Interessenslage gibt.

Digital kompakt: Was habt ihr mit Wattx bereits gestartet? Ihr sagtet mal, ihr wollt eine IoT-Plattform für Großgewerbe entwickeln, aber so richtig zu sehen ist davon noch nichts. Wann kommen die ersten sichtbaren Dinge?

Maximilian Viessmann: Es gibt einen riesigen Unterschied zwischen dem, was man macht, und dem, was man zeigt. Und wir haben in Summe, sowohl in der Kernorganisation als auch in den Vehikeln, sehr viel umgesetzt und diese Sachen kommen jetzt nach und nach ans Licht. Da kann jeder gespannt sein, was dort kommt. Und ja, es ist so, dass auch breitere IoT-Plattform-Themen für uns im Fokus stehen, weil es letztendlich die Basis für viele unserer Cases ist.

Digital kompakt: Eure Konditionen laut Website sind folgende: 50% der Anteile hält der Company Builder und 50% hält der Gründer, der die Gründung mit euch umsetzt. Und ihr gebt zwischen 150.000 bis 250 000 Euro Kapital hinein. Habe ich das so richtig verstanden?

Maximilian Viessmann: Ja, das ist grundsätzlich nicht falsch.

Digital kompakt: Nun mag IoT-Hardware ein besonderer Fall mit einem anderen Gründertypus sein. Aber grundsätzlich hätte ich gesagt, 50% der Anteile für einen Gründer ist im Prinzip wie eine teure Seed-Runde, in welcher der Gründer für ein finanzierungsaufwändiges, lange dauerndes Thema die Hälfte seiner Anteile (und damit sehr viel) abgibt. Und das, wo man eigentlich auch sagt, dass gute Gründer sich einen Strategen nicht an Bord holen. Sprich: Löst dieses Vorgehen wirklich euer Problem, bekommt ihr die dort entwickelten Kompetenz de facto in eure Kernorgnisation und helfen euch diese Konditionen auch die richtigen Gründer am Markt zu finden?

Maximilian Viessmann: Man muss drei Sachen unterscheiden. Erstens betreiben wir explizit dort Aktivitäten, die nicht an das Kerngeschäft gekoppelt sind. Von daher sind wir quasi ein Finanzinvestor mit einer sehr ausgeprägten IoT-Kompetenz, in der die Viessman-Organisation auch als Lead Customer fungieren könnte, aber nicht muss.

Zweitens sind wir in Deutschland manchmal sehr akademisch unterwegs was Equity-Share-Verteilungen betrifft. Betrachtet man sich unseren Ansatz bei Wattx, dann gibt es eine sehr lange Ideation-Phase, ein sehr tiefes Testing der Hypothesen, das klare Verständnis dafür, dass dort ein Thema zu lösen ist und dass es sich um ein effektives, funktionierendes Modell handelt. Das heißt, wenn du dies mit einer Seed-Runde vergleichst, bist du eigentlich schon deutlich weiter im Prozess. Zudem hast du eine Organisation, die ein sehr besonderes Skill-Set hat, was gerade im IoT- oder Deep-Tech-Bereich für junge Gründer bzw. Akteure, die dort aktiv werden wollen, schwer zu erschließen ist.

Und drittens kannst du das Ganze in einer Kultur, die sich komplett auf Inhalte fokussiert, vorantreiben und das gilt ebenso für Wattx.

Digital kompakt: Aber ziehst du mit dem Inkubationsansatz bzw. Company-Building-Ansatz auch Top-Gründer an, obwohl sie relativ viele Shares abgeben müssen und recht früh einen Strategen an Bord haben? Aus meiner Erfahrung heraus hat man da eigentlich oft ein adverses Selektionsthema.

Maximilian Viessmann: Das muss sich noch beweisen. Momentan kommen wir auf der Recruitingseite sehr gut voran, weil es einfach eine große Begeisterung für dieses Thema gibt, wie wir den industriegeprägten Standort Deutschland oder Zentraleuropa, gerade im industriellen IoT-Bereich nach vorne bringen. Und da ist der Pool auch international sehr hoch, aus den USA und aus Israel gibt es ein riesige Nachfrage.

Digital kompakt: Sind das nicht eher Angestellte als Unternehmer?

Maximilian Viessmann: Ich glaube nicht, dass du anhand der Equity-Verteilung definieren kannst, ob jemand unternehmerisch ist oder angestellt. Ich glaube das ist eine Persönlichkeitsfrage. Und am Ende des Tages sind wir ein Unternehmen für Unternehmer und das gilt auch für die Kernorganisation. Du kommst halt nicht weit, wenn jemand nur Dienst nach Vorschrift macht, sondern die Leute müssen schon eine eigene Agenda haben und einen eigenen Spirit hinein bringen. Und das gilt natürlich auch für die Company-Building-Aktivitäten.

Digital kompakt: Müsst ihr sehr intensiv in die Ideenfindung hinein gehen und diesen langen Prozess begleiten? Denn euer Hardware-Geschäft in den digitalen Bereich zu bewegen ist ja sicher eine enorme Aufgabe…

Maximilian Viessmann: Man schafft es nicht, wenn man nicht die Synergien zwischen dem Domänenwissen herstellt. Und da haben wir natürlich schon jetzt durch die gewonnenen Lerneffekte und auch die Talente, die uns zunehmend verstärkt haben, einen großen Hebel, den wir auch anderen Unternehmen zur Verfügung stellen. Dieses kollaborative Element, das im Valley total ausgeprägt ist, ist das was sich gerade auch in der Hardware-IoT-Community sehr stark ausbildet. Und da ist Wattx eine gute Umgebung, in der man viele Themen diskutieren und dann entsprechend vorantreiben kann.

Digital kompakt: Und warum habt ihr bei Wattx als primäres Ziel ausgegeben, dass ihr Exit-Gewinne erzielen wollt?

Maximilian Viessmann: Ich glaube, wenn du ein professioneller Family Equity Investor bist, dann hast du die gemeinsame Zielsetzung mit dem Gründerteam hier Cases zu bauen, die am Ende des Tages den Unterschied machen, die aber auch einen Financial Return erwirtschaften. Deswegen ist das Thema ein Stück weit anders zu sehen, als das was wir im Kerngeschäft von Viessmann Digital veranstalten.

Kooperationen und Acceleration bei Viessmann

Digital kompakt: Demnach solltet ihr eigentlich als Ziel Nummer eins haben, die Branche als Ganzes zu digitalisieren und dafür benötigt ihr letztlich auch Co-Investoren an Bord der Ventures. Und damit bist du doch fast schon wieder beim Thema „Acceleration“. Warum acceleriert ihr also nicht, anstatt so tief mit in die Entwicklung einzusteigen?

Maximilian Viessmann: Wenn du das Portfolio aufspannst, dann hast du zwei Achsen: die eine Achse ist wie nah sind deine Aktivitäten an deinem jetzigen Kerngeschäft oder an dem Kern, den du für dich in Zukunft definieren willst. Und die andere Achse ist, wie artverwandt ist das mit deinem mitgenrachten Kompetenzprofil. Und wenn du jetzt in Themen wie Künstliche Intelligenz hinein gehst, dann wirst du feststellen, dass du eine relativ große Entfernung zu unseren jetzigen Kompetenzprofilen findest und die Use Cases, die wir dort ausgestalten, auch eine gewisse Distanz zu unserem Kerngeschäft haben. Als Familienunternehmer sieht man hier eine tolle Diversifikation des Gesamtportfolios, also ist es sinnvoll, sich damit auseinander zu setzen, mit dem Ziel nachhaltige Business Cases zu bauen.

Digital kompakt: Künstliche Intelligenz ist ein perfektes Beispiel: Eigentlich wäre es für euch ein großartiger Fall, wenn ihr es schafft, die Branche zu digitalisieren, dann ein funktionierendes, erfolgreiches Unternehmen aufzubauen, das ihr anschließend kauft, um vor allem Know-how-seitig, das ganze KI-Wissen auf euer Heizungs-Thema zu applizieren, wo ihr garantiert Tausende von Sensoren habt, die ihr so nutzbarer machen könnt.

Maximilian Viessmann: Wenn man sich Tensorflow von Google ansieht, merkt man relativ schnell, dass auf der Technologieseite im KI-Kontext bereits eine Kommodisierung einsetzt. Und dann ist eher die Frage, was baut man abstrakt hierauf für Applikationen und dafür braucht man kein generisches KI-Unternehmen bauen, um dies zu gewährleisten. Damit will ich nicht sagen, dass wir uns nicht mit Künstlicher Intelligenz auch in unserem Kerngeschäft auseinandersetzen, aber wir würden halt kein Business bauen, was in einer anderen Industrie unterwegs ist, sondern das ist dann vielmehr eine Aktivität für die Diversifikation.

Digital kompakt: Lass uns nochmal auf das Thema „Accelerieren“ blicken. Würde es für euch nicht auch sinnvoll sein, ein großes Portfolio aufzubauen, Leute an Bord zu holen und aufzuschlauen und diese dann rauszugeben?

Maximilian Viessmann: Wir haben einen super Kooperations- und Kollaborationsmodus mit Early-Stage-Unternehmen aufgebaut und sind deswegen auf ein reines Accelerator-Programm nicht unbedingt angewiesen. Es läuft vielmehr so, dass wir einen spannenden Use Case , eine große Viessmann-Plattform mit internationaler Reichweite und gute Teams im Kerngeschäft haben und wir erarbeiten gemeinsam eine Lösung, die für beide Seiten Vorteile hat. Und daran ist nicht automatisch geknüpft, dass man im Captable auftaucht, das ist eine Diskussion, die kann man an anderer Stelle führen, aber wir sind da nicht so akademisch unterwegs, wie man es vielleicht aus dem Valley oder aus Boulder, Colorado kennt.

Digital kompakt: Also denkt ihr eher problemlösungsorientiert als in konkreten Startups?

Maximilian Viessmann: Ja, weil wir am Ende des Tages darauf einzahlen wollen, eine bessere Customer Experience zu ermöglichen.

Digital kompakt: Kannst du dir trotzdem vorstellen, dass ihr aus eurer Organisation heraus eure DNA einbringt und eine neue Gründung startet? Beispielsweise so, wie es Otto mit About You gemacht hat.

Maximilian Viessmann: Ich würde das nicht ausschließen.

Digital kompakt: Aber es ist kein Thema, das dir große Freude bereitet, wie ich in deinem Gesicht lese.

Maximilian Viessmann: Nein, nein, du liest in meinem Gesicht ein großes Schmunzeln. Ich glaube schon, dass wir gute Voraussetzungen haben, um an den Serverraum angedockt, eine Menge anderer Aktivitäten zu pushen und ich glaube, wie bereits am Anfang angesprochen, wenn das richtige Mindset, das richtige Verständnis für die Themen und die notwendigen Erfahrungswerte wie damit umzugehen ist, vorhanden sind, dann kann man auch eine gewisse Breite des Portfolios bespielen. Und das haben wir uns mittlerweile angeeignet und versuchen nicht die Fehler anderer noch einmal zu machen.

Die Investitionsstrategien von Viessmann

Digital kompakt: Jetzt hast du schon viel über eure Beteiligungsfaktoren erzählt. Wie geht ihr denn hier vor: wann haben Startup-Investments für euch Sinn?

Maximilian Viessmann: Vito Ventures explizit ist ein BaFin-reguliertes Fonds-Vehikel mit einem eigenen Investment-Team, das nur auf den Venture Case blickt und Investments macht. Wir sind in Firmen zum Teil im Valley investiert, aber auch hier in Zentraleuropa. Und wir haben dort eine Kompetenz aufgebaut, die es uns ermöglicht, mit den Gründern auch auf Augenhöhe zu sprechen, wenn es um IoT- und Deep Tech-Themen geht. Und das ist ein Alleinstellungsmerkmal, weil wir uns ein sehr klares Profil gegeben haben.

Was muss gegeben sein dafür, dass wir ein Investment machen: es muss ein super spannender Venture Case sein. Wenn man jetzt darüber nachdenkt, wo würde aus strategischer Sicht für einen Corporate ein Investment Sinn haben, da gibt es sicherlich hier und da Übereinstimmungen im Energie- oder im Gebäudeinfrastruktur-Kontext wo wir sagen, das ist ein guter Add-on zu unserem Kerngeschäft. Am Ende des Tages muss man aber auch festhalten, dass, wenn es das Kerngeschäft nachhaltig angreift, nicht klar ist,wie groß der Gefallen ist, den man sich mit einem Ein-Prozent-Share holt.

Digital kompakt: Habt ihr den Fonds eigentlich nur mit eigenem Geld aufgebaut oder habt ihr auch Limitied Partners [Geldgeber, die in Fonds investieren] mit dabei?

Maximilian Viessmann: Aktuell ist es ein Single-Limited-Partner-Fonds. Aber ich würde mal unterstellen, dass das nicht ewig so bleiben wird.

Digital kompakt: Hast du dir auch mal Alexander Samwers Aktivitäten angeschaut? Dieser macht ja relativ viele Energie-Investments für die Samwers.

Maximilian Viessmann: Ich finde, dass Alexander Samwer ein sehr gesundes Portfolio aus klassischen Energie-Themen und guten Venture Cases hat, die einen Gebäude- oder Energiebezug haben. Da gibt es auch durchaus Schnittmengen in den Investment-Hypothesen.

Digital kompakt: Wie ist das generell mit deinen Investment-Hypothesen: wonach haltet ihr Ausschau und wann liegt für euch ein guter Venture Case vor?

Maximilian Viessmann: Das hängt sehr davon ab, welches Problem das Unternehmen versucht zu lösen und wie groß das Problem ist. Aber es hängt natürlich auch sehr stark von den handelnden Personen ab. Genauso wie unser Kerngeschäft ein People-Business ist, trifft dies auch im Venture-Capital- sowie im Company-Building-Kontext zu. Und dort setzen wir auf starke Charaktere, die die Sachen umgesetzt bekommen. Da haben wir für uns sehr klare KPI-Strukturen [„KPI“ steht für Key Performaces Indicators und meint Leistungskennzahlen], nach denen wir unseren Deal Flow managen bzw. am Ende auch eine Investment-Entscheidung treffen.

Digital kompakt: Könntest du dir auch vorstellen Themen zu hedgen? [Beteiligungen, welche das Risiko einer anderen Aktivität reduziert] Dass, wenn ihr zum Beispiel mit Wattx eine IoT-Plattform baut, ihr euch parallel noch an einem Relayr beteiligen könnt. Oder an einem Thermondo, wenn ihr das Heizungsgeschäft im Blick habt. Oder habt ihr eine Marktposition, die euch das eher erschwert?

Maximilian Viessmann: Ich glaube, du musst dir die Frage stellen, wie schwer verteidigbar dein Geschäft an dieser Stelle ist. Und ich denke, dort wo aktuell Probleme gelöst werden, ist es sehr gut verteidigbar. Denn im Hinblick auf gute Technologien, guten Prozessaufbau und Nachhaltigkeit ist die Magic Source sehr überschaubar. Wir selber haben da einen sehr guten Blick darauf, dass wir mit den Unternehmen partnerschaftlich zusammen arbeiten. Aber das ist letztendlich eine Thematik, die du nicht über einen Captable lösen kannst, sondern die du eigentlich nur in einer potenziellen Zusammenarbeit bekommst.

Digital kompakt: Bei deinem Heizungsgeschäft glaube ich dir das sofort. Bei den ganzen IoT-Themen hingegen sind die Karten jedoch noch nicht verteilt, auch wenn sich das gerade heraus differenziert.

Maximilian Viessmann: Ich finde, Joseph [Brunner, Geschäftsführer von Relayr] baut mit dem Team in Summe eine sehr spannende Company mit vielen spannenden industrie-agnostischen Use Cases und hat jetzt mit der jüngeren Runde nochmal einen ganz guten Schritt nach vorne gemacht. Da kann man sehr offen und entspannt zusammenarbeiten und muss keine digitale Entscheidung treffen.

Digital kompakt: Wie ist es generell: Kommt ihr als Corporate gut an Deal Flow? Insbesondere im Hinblick darauf, dass die Art und das Tempo der Zusammenarbeit mit einem Corporate schwierig sein können.

Maximilian Viessmann: Ich glaube, zwei Sachen musst du machen: du musst klar positionieren, wie und warum du hier Investments machst. Wenn du das über ein strukturiertes professionelles Venture-Capital-Vehikel machst, dann sendest du bereits die klare Botschaft, wie deine Agenda ist, um dich dort zu platzieren und die ist eben nicht strategisch, sondern eher ein Investment mit Benefit. Und der zweite Aspekt ist, wie managst du deinen Deal- Flow. Und es ist sicher jedem bewusst, dass ich den Deal Flow nicht über meine Inbox manage, sondern durch eine gute Vernetzung im Ökosystem bzw. einen sehr offenen und strukturierten Austausch auch mit anderen VCs und Startups . Die Beteiligungen, die wir gemacht haben – sowohl ich auf der Angel-Seite als auch in der Vergangenheit im Venture-Capital-Konstrukt – sind nachhaltig. Da haben wir eine klare Historie, auf die wir zurückblicken können. Dementsprechend sind wir dort positioniert.

Zukunftsperspektiven und Learnings

Digital kompakt: Welche Phasen schaut ihr euch konkret an? Du erwähntest vorhin post-seed. Ich habe immer etwas den Eindruck, es macht für einen Corporate eigentlich nicht so viel Sinn, in der Seed-Phase zu investieren, weil einfach die Entwicklungszyklen zu lang sind, ehe man Know-How-Zuwachs hat und Erfolge sichtbar werden.

Maximilian Viessmann: Wir haben für uns einen Framework entwickelt, ob wir akquirieren, bauen oder kollaborieren. Und da sieht man, dass strategische Investments im Early-Stage-Bereich nicht unser Fokus sind, weil wir finden, dass wir nur dann dem Startup einen Mehrwert stiften können, wenn wir nicht der einzige Stratege im Captable sind. Hier akquirieren wir dann eher an der einen oder anderen Stelle Aktivitäten und schauen uns diese in Ruhe an. Ich glaube, in unserem Kernbereich gibt es eher wenig Unternehmen, die momentan in diese Kategorie fallen. Unser momentaner Fokus liegt daher auf den anderen zwei Aktivitäten „selber bauen“ oder „kollaborieren“. Von daher gebe ich dir Recht: für einen Corporate macht es nicht viel Sinn, in einer Seed-Stage zu investieren. Aber ich würde generell in Frage stellen, inwieweit ein Zwei-Prozent-Share an einer Early Stage Company einen Mehrwert stiftet.

Digital kompakt: Ich glaube, man muss unterscheiden wo der Fokus liegt. Eigentlich sagt man ja, eine Mischkalkulation aus eher Spätphasen-Investments plus Kaufen ist das, was dich aufschlaut. Das heißt, du hast einen Kompetenz-Aspekt und einen Geschäftsaspekt.

Maximilian Viessmann: Genau. Letztendlich kann man ab einer gewissen Stage entsprechende Akquisitionen diskutieren. Aber ein Micro-Share-Investment in einer frühen Phase ist, glaube ich, nicht so wertstiftend. Außer für’s eigene Ego.

Digital kompakt: Wie würdest du bei Akquisitionen vorgehen?

Maximilian Viessmann: Ich glaube, im Deep-Tech-Bereich geht es eher um Talent als um reales Business und die notwendige Fantasie, was du damit machen kannst. Da schauen wir nicht nur auf Deutschland, sondern sind internationaler unterwegs, also auch mit Blick in Richtung USA bzw. Asien.

Digital kompakt: Viele große Corporates haben bei dem „Kaufen“ von Unternehmen ja unterschiedliche Integrationsherausforderungen zu bewältigen: das Kaufobjekt so in die Organisation einzuführen, dass es auch Management Attention bekommt, zu evaluieren, inwieweit der Impact auf Umsatz, EBIT usw. groß genug ist, ob es gelingt, gute Leute in der Organisation aufzunehmen usw. Wie geht ihr mit diesen Themen um?

Maximilian Viessmann: Hinsichtlich der Management Attention ist das bei uns sehr gut austariert, weil ich da meine persönliche Zeit sehr stark investiere und es dadurch ziemlich hoch aufgegangen ist bzw. unser gesamtes Management Board sehr nahe an den Themen dran ist. Aber wir sind auch sehr strukturiert in der Zusammenarbeit über unsere Tool Kits bzw. über eine saubere Integration. Da muss man auch professionell genug sein, sich im Vorhinein Gedanken zu machen, wie dies eigentlich gestaltet werden soll. Das haben wir getan und dies hilft uns natürlich, dass uns die Themen nicht durch die Lappen gehen.

Digital kompakt: Was sind denn deine Hypothesen, welche Thematiken für euch noch spannend werden könnten?

Maximilian Viessmann: Das ist eine sehr spannende Frage und es gibt bestimmt auch viele Leute, die sich sehr dafür interessieren würden, das zu erfahren. Ganz klar ist, dass wir momentan mit dem Spirit, mit den Teams und mit den Units, die wir hier in Berlin aufgebaut haben, extrem gut fahren, eigene Aktivitäten zu bauen und uns nicht zu sehr in Akquisitionsgesprächen verlieren. Und solange der Strom nicht abreisst und uns die Fantasie nicht ausgeht, sind wir in Summe auf einem ganz guten Weg.

Digital kompakt: Kannst du uns zum Schluss deine drei bis fünf Key-Learnings für die Digitalisierung einer Großorganisation zusammen fassen?

Maximilian Viessmann: Das erste Learning ist die sehr realistische Einschätzung dafür zu haben, was konkret möglich ist und sich da nicht zu sehr von Pitch Decks oder Beraterfolien verleiten zu lassen. Das zweite Learning ist Kommunikation, d.h. ich kann gar nicht zu viel kommunizieren, weil einfach die Wissensstände so unterschiedlich sind. Und der dritte Aspekt ist Authentizität wagen und/oder finden. Und das ist, glaube ich, für viele etablierte Unternehmen einfach eine Herausforderung zu verstehen, dass ich nicht mit einem Hoodie durch Berlin laufen muss, um irgendwie akzeptiert zu werden, sondern dass es darum geht, sich authentisch untereinander auszutauschen, nicht zu verstellen und auf der anderen Seite sehr strukturiert zu sein und die besten Anknüpfungspunkte zu definieren. Das vierte Learning ist andere Gleichgesinnte zu suchen, sowohl auf der etablierten Seite als auch auf der Early-Stage-Seite, wo du einfach ähnliche Probleme löst und an den gleichen Themen arbeitest.

Digital kompakt: Ich danke dir für deine Zeit und dass du uns aus der Akademikerdenke in die Praxis eines Unternehmens mit 11.500 Mitarbeitern gezogen hast. Wir wünschen euch weiterhin viel Erfolg.

Maximilian Viessmann: Ich danke euch.

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