Digital kompakt: Herzlich willkommen zu einem neuen „Deep Dive“-Podcast von Digital Kompakt. Ich bin Joel Kaczmarek und neben mir sitzt heute eine TV-Bekanntheit. Stell dich doch einmal kurz vor.
Frank Thelen: Hallo, ich bin Frank. Ich gründe seit vielen Jahren Startups und bin Investor.
Digital kompakt: TV ist ja eigentlich nur ein Mittel, das du nutzt, um den Leuten dein tägliches Business näher zu bringen, das darin besteht, Unternehmertum zu fördern. Da es in eurer Show „Die Höhle der Löwen“ darum geht, Werte auszuhandeln, Ideen zu präsentieren und Investoren zu finden, möchten wir heute mit dir über das Thema „(Firmen-)Bewertungen“ sprechen.
Nun muss man die Sendung natürlich auch ein bisschen abstrahieren und akzeptieren, dass wir von einer inszenierten Show sprechen, die verzerrt und sicher nicht alles der Realität entsprechend wiedergibt. Vor allem diejenigen, die nicht tagtäglich mit Bewertungen zu tun haben, werden sich wahrscheinlich fragen, was deine Erwartung an eine Firmenbewertung, aber auch an ein Unternehmen ist, das sich dir vorstellt und erläutert, für wie viel Geld sie wie viele Anteile abgeben möchten.
Frank Thelen: Als ich mich dazu entschlossen habe, bei der Sendung „Die Höhle der Löwen“ mitzumachen, habe ich es mir zum Ziel gemacht, der Masse näherzubringen, wie Startup-Produkte und -Teams überhaupt funktionieren. Das haben wir meiner Meinung nach mit der Sendung auch geschafft. Mein zweites Ziel war es, meinen Investitionsscope zu erweitern. All die Jahre zuvor habe ich einen sehr klaren Tech-Fokus mit Startups wie „Wunderlist“, „kaufDA“, „myTaxi“ und „Doo“ verfolgt.
Nachdem ich mir die amerikanische Schwester- bzw. Brudersendung angesehen hatte, wurde mir aber bewusst, dass es bei „Die Höhle der Löwen“ auch um Kühlschränke, Socken und allerlei andere Dinge gehen kann. Das hieß für mich, dass ich meinen Scope deutlich erweitern und mich für neue Dinge öffnen musste. Auch wie man bewertet, musste ich noch einmal neu lernen. Ich war in meiner eigenen Tech-Bubble unterwegs, wusste um Plattformen, gute App Store Promotions und Daily-Active-Userzahlen, wurde in der Show dann aber auf einmal mit jemandem konfrontiert, der mir Verkaufszahlen von Bio-Suppen präsentierte, obwohl mich Bio zu diesem Zeitpunkt ganz und gar nicht interessiert hat. Das heißt, dass auch ich sehr viel lernen musste.
Bei Bewertungen versuche ich nicht in Schubladen zu denken, teile die Startups aber, wenn ich ehrlich bin, meistens doch immer einem von zwei Typen zu: den klassischen Startups oder ganz neuen Welten, in die auch ich mich erst einfinden muss. Unter normalen Umständen würde kein VC [= Venture Capitalist] in Dinge wie Bio-Suppen oder Sockenanzieher investieren.
Digital kompakt: Nun könnte man ja auch bei einer Tütensuppe klassische E-Commerce-Denkweisen anwenden. Woran hältst du dich denn, was sind deine Prämissen, wie gehst du vor und wann ist deiner Meinung nach eine Bewertung fair?
Frank Thelen: Ich glaube, dass bei Bewertungen das Bauchgefühl eine große Rolle spielt. Was mich und meine Partner von anderen unterscheidet, ist, dass es unsere Vollzeitbeschäftigung ist, Unternehmen aufzubauen. Das ist kein Hobby für uns, womit wir uns nur nebenbei beschäftigen. Wir als Team machen das Vollzeit, leben mit den Gründern, bauen das Unternehmen und das Team mit auf, helfen bei der Erarbeitung des Finanzplans und der Webseite. Das können die Gründer, mit denen wir arbeiten, auch bestätigen. Neben der Geldfrage, was im Übrigen oftmals der kleinere Anteil ist, muss ich mir im Voraus überlegen, wie viele Anteile wir brauchen, damit es sich für uns lohnt und wir uns als Co-Founder fühlen. Vor allem bei frühphasigen Unternehmen bauen wir zudem das Fundament mit auf: Wir kümmern uns um Team, Miete und Verträge und packen zusammen mit den Gründern an.
In diesem Zusammenhang haben wir uns eine Größenordnung von zwanzig Prozent gesetzt, die natürlich aber variieren kann. Wichtig ist, dass die Relation immer passt. Bei frühphasigen Unternehmen, bei denen wir zwanzig Prozent halten können, fühlen wir uns am Wohlsten, weil wir das Unternehmen dann stark prägen und mit aufbauen können.
Digital kompakt: Ich beobachte überraschend oft, dass Investoren teilweise rückwärts denken und sich nicht dafür interessieren, was ein Unternehmen wert ist, sondern sich ausschließlich nach einem bestimmten Raster richten. Ich selbst habe in der Vergangenheit einmal nach einem Wert gefragt und als Antwort bekommen: „Der liegt bei mir immer zwischen 1,5 und 2,5 Millionen“, und zwar ohne dass ich erläutert hatte, wie das Team zusammengesetzt war, welchen IP wir hatten oder was überhaupt gebaut wurde. Macht man sich damit nicht selbst das Leben schwer? Ist man als Investor in einem solchen Fall dann nicht eher auf einer Einflugschneise, die sich zwar für dich optimal gestaltet, aber nicht für das Unternehmen?
Frank Thelen: Ich kann nicht sagen, ob ich für mich optimiert bin. Manchmal versuchen mich meine Partner auch davon zu überzeugen, dass ich in Relation zu unserer geleisteten Arbeit viel zu wenig Anteile hätte, weil ich das Unternehmen ja von Grund auf mit aufgebaut habe. Das ist die eine Sichtweise.
Nehmen wir aber zum Beispiel das Unternehmen „Little Lunch“, das sich bei „Die Höhle der Löwen“ vorgestellt hat. Zwei Neulinge ohne Management-Studium oder vergleichbare Abschlüsse, die noch nie zuvor ein Startup gegründet hatten, kein Wagniskapital kannten, noch nie ein Team aufgebaut oder irgendwo für Venture Capital gepitcht hatten, standen plötzlich mit einer leckeren Suppe vor uns und hatten noch keine Lösung, wie man eben jene Suppe massenhaft produzieren könnte. Mit Judith Williams zusammen haben wir meiner Erinnerung nach dreißig Prozent genommen, haben das Unternehmen aufgebaut und machen derzeit zweistellige Millionenumsätze.
Ich finde den Deal ehrlich gesagt ziemlich fair. Wir gehen sogar so weit, dass wir, weil wir mit ihnen in einem Boot sitzen, im Food-Bereich keinen neuen Investor dazu holen, sondern dass wir das über eine Bank oder Factoring abbilden, damit weder die Gründer noch wir Anteile verlieren. Ich weiß nicht mehr, was genau ich bei „Math 42“ angeboten habe, weiß aber, dass wir in dem Fall auch schon für einen kleineren Betrag relativ viel Kapital geboten haben, weil die Idee sehr eindrucksvoll und weit von bereits existierenden und vergleichbaren Apps auf dem Markt entfernt war. In einem solchen Fall kann ich dann auch schon einmal eine Bewertung über zehn oder zwanzig Millionen akzeptieren. Bei frühphasigen Food-Startups oder bei Sockenanziehhilfen finde ich die zwanzig Prozent sehr fair.
Digital kompakt: Ich würde fast noch einen Schritt weitergehen. Bei manchen eurer Deals fände ich es ehrlich gesagt nicht schlimm, wenn sie abgelehnt würden. Manchmal habe ich nämlich das Gefühl, es geht eher um das Subventionieren von Unternehmertum anstatt um das Investieren in Unternehmertum. Ich bin bei den Debatten oft hin und her gerissen. Man hat ja manchmal gerne eine Art Tunnelblick, der vorgibt, dass es sich nur dann lohnt, Zeit zu investieren, wenn zwanzig Prozent an einer bestimmten Firma mit einer bestimmten Wertentwicklung gegeben sind. Ich hatte jedoch das Gefühl, dass viele der Unternehmen nicht die Kriterien erfüllt haben, um als ein „Angel“ im Frühstadium gesehen zu werden. Das heißt ja, dass wir fast schon von Inkubation reden und von Investoren mit Co-Founder-Status. Das ist das Kräftefeld, über das ich nachdenken muss, wann immer ich diese Bewertungen sehe. Mir stellt sich dabei die Frage, ob Ideen wie Pannenfächer oder Suppen, so wie sie teils bei euch vorgestellt werden, überhaupt schon reif genug sind, um gepitcht zu werden. Tut man diesen Startups einen Gefallen, wenn man finanziert, obwohl sie sich noch nicht auskennen? Gerät man dann nicht in einen Konflikt, wenn man nur an seine zwanzig Prozent denkt?
Frank Thelen: Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass viele Deals für mich nicht passen. Ralf Dümmel zum Beispiel ist aber jemand, der sich auch für Dinge wie Pannenfächer oder blinkende Fahrradaufkleber interessiert. Das ist nicht negativ gemeint. Das liegt einfach daran, dass er ganz anders denkt als ich. Er ist weniger Venture Capitalist, sondern eher Produktmensch. Dass wir so viele verschiedene Leute haben, ist vielleicht auch das, was den Reiz der Show ausmacht. Neben Ralf Dümmel, der sich aus unseren Augen eher auf billige Produkte konzentriert, und das meine ich überhaupt nicht abwertend, gibt es Carsten Maschmeyer, der ähnlich denkt wie ich, der ein professioneller Venture Capitalist mit gutem Team und guten Marktkenntnissen ist und zum Beispiel in „Blacklane“ investiert hat. Judith Williams macht als Frau eher emotionales Teleshopping und Jochen Schweizer trifft – und das meine ich jetzt wirklich so – manchmal emotional nicht nachvollziehbare Entscheidungen.
Nehmen wir das Beispiel eines bei uns in der Show vorgestellten Hochzeitsportals. Ich kannte den Markt und konnte erklären, warum das Portal nicht funktionieren würde. Dazu kam, dass die Gründerin sehr schwach war. Gründer sind insofern wichtig, als dass mit ihnen Unternehmen aufgebaut werden. Es muss nicht jeder Gründer sein, man kann auch einfach ein guter Teamplayer sein. Auch bei mir im Team gibt es Leute, zum Beispiel Designer, die zwar brillante Menschen sind, vor denen ich großen Respekt habe und um deren Mitarbeit ich sehr dankbar bin, die aber keine Gründer sind. Gründer müssen wie ein Orkan an dir vorüberziehen und dich zum Stehenbleiben bringen. Im Fall dieses Onlineportals war jedoch deutlich, dass die Frau auseinanderbricht. Sie wusste nicht, wovon sie spricht. Und dann war bei alledem auch zusätzlich noch deutlich, dass der Markt nicht funktionieren würde. Ähnliches hatten wir bei der Reiseplattform „FindPenguins“, die als Idee wirklich geisteskrank war. Aber Jochen Schweizer hört sich das alles an und investiert. Und vielleicht ist es genau das, was diese Show ausmacht, nämlich dass wir fünf grundsätzlich verschiedene Charaktere sind.
Ich stelle zwanzig Prozent in den Raum, wenn ich das Gefühl habe, dass es für uns Sinn macht, wenn wir frühphasig Co-Founder sind. Wenn jemand ein hochwertiges Patent hat, kann es auf der anderen Seite aber auch passieren, dass ich mit fünf Prozent aus dem Deal herausgehe. Auch für solche Fälle muss ich offen sein. Bis heute sehe ich jedoch – auch durch die Entwicklung der Show bedingt – meinen Sweet Spot eher bei frühphasigen, starken, nicht unbedingt klassischen Gründern und pfiffigen Unternehmern mit Drive, die zwar noch geformt werden müssen, aber ein Produkt haben, das das Potenzial hat, bis zu dreißig oder vierzig Millionen Umsatz zu machen. Dieser Sweet Spot kann sich aber natürlich im weiteren Verlauf der Sendung noch ändern.
Digital kompakt: Das ist ein schönes Fazit. Im Grunde macht die Show ja nur insofern Sinn, als dass ihr alle eine andere Value Proposition [= Nutzenversprechen] habt. Ralf Dümmel bringt Reichweite, sowie seine Vertriebs- und Herstellungslogik mit, du bist derjenige mit dem Tech-Blick und dem Fokus auf Inkubation und Judiths Hauptaugenmerk liegt auf dem Verkauf des Produkts und dessen Inszenierung. Jeder hat sein eigenes Feld. Das bedeutet, dass jemand, der eine andere Value Proposition hat, Bewertungen auch anders sehen kann.
Digital kompakt: Wie ist das bei dir konkret? Mir ist „Sugar Shape“ zum Beispiel in Erinnerung geblieben. Die Gründerinnen standen vor euch, hatten drei Millionen Euro Umsatz gemacht und wollten fünf Millionen als Bewertung haben. Das klang für mich erstmal nicht unbedingt verrückt, aber ich meine mich zu erinnern, dass ihr sie um die Hälfte verringert habt. Am Ende wolltet ihr zwanzig Prozent für 500.000 Euro. Eigentlich möchtest du vielleicht zwanzig Prozent für dich haben, aber da es auch noch eine Judith gibt und das Startup ein bisschen weiter ist, muss deine Bewertung natürlich angepasst werden. Wenn ich jedoch eine der Gründerinnen von „Sugar Shape“ gewesen wäre, hätte ich mich gefragt, ob ich mir für das Geld bzw. den Wert, der mich dein Support kostet, nicht auch eine teure Agentur hätte leisten können. Oder ist das ein falscher Denkansatz?
Frank Thelen: Das mag jetzt vielleicht arrogant klingen, aber aus meiner Sicht ist das auf jeden Fall der falsche Denkansatz. Der Wert, den ich einbringe, ist ein ganz anderer. Was wir machen ist, dass wir das Team um unser Netzwerk ergänzen. Wir sichern Finanzierungen durch Banken, Factoring und andere Wege ab, liefern das Marketing und unser Know-How.
Natürlich müsste man nun mit Gründern sprechen und sie fragen, ob sie bestätigen können, dass wir tatsächlich auch das wert sind, was wir vorgeben wert zu sein. Wenn die Bewertungen des Unternehmens nicht von Runde zu Runde steigen, haben wir einen schlechten Job gemacht. Wenn wir Deals außerhalb der Show machen, stellen wir direkt und besten Gewissens klar, dass wir zwar nicht die höchsten Bewertungen oder das meiste Geld geben werden, dafür aber eine Menge Zeit und eine Menge Wert mitbringen. Wir sagen den Gründern auch immer konkret, wohin wir sie bringen möchten.
Nehmen wir an, wir steigen bei einer Bewertung von zwei Millionen Euro ein. Wenn wir das, was wir geplant haben, auch umsetzen, können wir mit gutem Gewissen die nächste Runde auf zehn Millionen machen. Schauen wir uns das Beispiel „Lilium Aviation“ an, das durch die Show bekannt wurde. Als wir da zu einer sehr günstigen Bewertung mit eingestiegen sind, haben wir dem Gründerteam zugesichert, für sie da zu sein, mit ihnen zu arbeiten, das Projekt mit ihnen aufzubauen und das Fundraising zu machen. Und wir haben geliefert. So etwas ist kein klassisches Investment.
Digital kompakt: Lasst uns das Ganze doch einmal von einer anderen Seite beleuchten. Nehmen wir an, du wärst wieder Unternehmer und wirst in eure Show eingeladen. Nach welchen Prämissen würdest du dann die Bewertung für dein Unternehmen und die Höhe des Geldes bzw. Anteils festsetzen? Welche Argumente sollten gebracht werden, um den Wert des Unternehmens zu begründen? Über Umsatz wird ja gerne diskutiert, wie wir auch an anderer Stelle schon festgestellt haben, aber was sind für dich die Maßstäbe, nach denen eine Bewertung entstehen sollte?
Frank Thelen: Das für mich entscheidende Kriterium ist die Frage nach dem „unfairen Vorteil“: Warum habe ich etwas in der Hand, was fast kein anderer hat? Vielleicht liegt das Geheimnis darin, dass ich jahrelang mit behinderten Menschen zusammengearbeitet habe und daher weiß, wie praktisch ein Produkt wäre, das ihnen hilft, sich die Schuhe anzuziehen. Vielleicht habe ich aber auch etwas wie den „Bluefixx“-Kleber in der Hand, der eine radikal neue Technik verwendet.
Man sollte sich immer fragen, in welchem Bereich man den Markt, ein Produkt oder eine Technik besser kennt als alle anderen und was genau es ist, das das eigene Produkt groß machen kann. Man muss erklären können, warum man (bestenfalls mit den Co-Gründern zusammen) in die Show kommt, warum das eigene Team stark ist, auf welches Ziel Tag und Nacht konzentriert hingearbeitet wird, dass der angestrebte Markt groß genug ist und dass man den Markt gut genug kennt. Das sind für mich die Hauptkriterien. Wenn ein Gründer all diese Dinge gut verkauft, also faktisch korrekt vermitteln kann, bin ich auch bei der Bewertung flexibel.
Digital kompakt: Das heißt ja aber zwischen den Zeilen, dass auch viel von den Leuten selbst abhängt.
Frank Thelen: Definitiv. Ich habe in meinem Leben zwanzig bis fünfundzwanzig Investments gemacht. Wenn ich all diese Investments noch einmal Revue passieren lasse, waren immer die Gründer bzw. das Gründerteam, ausschlaggebend. Man vergisst leicht, wie wichtig das Gründungsteam ist, wenn man ein gutes Produkt vor sich hat, aber bei jedem Produkt, egal wie einfach es auch sein mag, wird es harte Zeiten geben und nur ein herausragender Gründer schafft es, einen Weg aus einer misslichen Lage zu finden und Probleme zu lösen. Mittelmäßige Gründer werden da scheitern.
Digital kompakt: Nehmen wir das Beispiel des Hochzeitsportals, das du eben erwähnt hast. Hätte ein herausragender Gründer diese Idee vorgestellt, hätte man das Produkt vielleicht ganz anders wahrgenommen. Ich habe schon oft beobachtet, wie sich gute Gründer Sympathien einfangen. Ich kann mich erinnern, dass du zum Beispiel bei der „Math 42“-App einen der Gründer als den nächsten Marc Zuckerberg bezeichnet hast. Es ist offensichtlich, dass diejenigen, die ihr Konzept sauber verkaufen können und sich über ihre Markteintrittsbarriere Gedanken gemacht haben, klar im Vorteil sind.
Frank Thelen: Genau. „Math 42“ war das bisher technologisch herausragendste Sartup der Show. Die Frage wird nun sein, ob Google, Microsoft oder Apple das Unternehmen irgendwann aufkaufen. Meiner Meinung nach wird das passieren. Die Herausforderung, die sich mir bei „Math 42“ gestellt hat, war zu erkennen, ob das Startup wirklich so herausragend war wie behauptet. Das ist das Risiko, das ich in der Show eingehen muss und unter anderem einer der Gründe, warum ich Discounts mache. Normalerweise würde sich mein CTO Alex Koch mit dem Team vier Tage lang zusammensetzen, das Startup in dieser Zeit prüfen und erst am Ende bewerten. Die Möglichkeit habe ich während der Show natürlich nicht. Wenn das Produkt, wie im Fall von „Math 42“, aber wirklich so herausragend ist, kann es für mehrere hundert Millionen verkauft werden. Das ist dann realistisch und etwas ganz Besonderes.
Digital kompakt: Ich habe oft das Gefühl, dass eure Show mit Digitalunternehmen Probleme hat. Ich erinnere mich, dass „Sugar Shape“ eine Fünf-Millionen-Bewertung haben wollte, obwohl sie noch keinen Gewinn zu verzeichnen hatten. Das kam bei Jochen Schweizer nicht gut an. Ich persönlich fand die Forderung aber nicht übertrieben und auch nach vier Jahren Profitabilität anzustreben immer noch im Rahmen, muss aber auch sagen, dass ich, wenn ich jemand wäre, der sich mit Bungee-Jumping-Sprüngen hochgearbeitet hat, einen ganz anderen Blick auf derartige Vorschläge hätte. Hat man als Digitalunternehmer, als Gründer im Digitalbereich, in der Show einen Nachteil?
Frank Thelen: Aus Gründersicht ist ein reiner Tech-Case natürlich schwierig. Aber wir haben ja jetzt auch Carsten Maschmeyer mit in der Show, der diesen Bereich sehr gut versteht, viel im Valley unterwegs ist und auch hierzulande schon in High-Tech-Unternehmen investiert hat. Für Ralf Dümmel ist dies kein nachvollziehbarer Bereich, dafür kann er aber bei anderen Produkten glänzen, die ich vielleicht nicht verstehe oder sehe. Judith steht in der Mitte. Ich glaube sie versteht diese Welt, ist dort aber nicht zu Hause.
Ich persönlich nehme an dieser Show teil, weil ich genau solche Perlen entdecken und sie als gute Deals mit nach Hause nehmen möchte. Wenn ich glaube, eine solche Perle entdeckt zu haben, zeige ich erstmal kein Interesse, versuche ruhig sitzen zu bleiben und nicht aufgeregt zu sein, biete aber dann, wenn ich mir sicher bin, ziemlich schnell den Deal an. Das ist die Strategie, die ich verfolge, wenn ich einen Deal gewinnen möchte. Ich versuche immer zu verstehen, ob ein starker Gründer vor mir steht und ob seine Idee funktionieren kann.
Digital kompakt: Mir ist aufgefallen, dass es in frühen Phasen nicht unbedingt clever ist, wenn man sich als Investor überoptimiert. Ich beobachte oft, wie versucht wird, die potentiellen Downsides und die damit einhergehenden Risiken zu senken, obwohl es ja eigentlich Ziel sein müsste, die Upside zu steigern. Ein Investor müsste doch eigentlich darauf abzielen, dem Gründer etwas zu geben, was die Wahrscheinlichkeit, dass das Produkt voll durch die Decke geht, über alle Maßen steigert.
Zeigen Investoren, die sich auf ihre 25,1 Prozent berufen, die schon zu Beginn an Sperrminoritäten und an das Scheitern von Gründern denken, nicht Unerfahrenheit? Nun hat man in der Show nur eine Stunde Zeit und keine Möglichkeit, die Gründer vorab kennenzulernen, was bedeutet, dass die Due Dilligence [=Risikoprüfung eines Unternehmens] erst im Nachhinein stattfinden kann, das verstehe ich, aber diese Selbstoptimierung auf der Investorenseite finde ich manchmal bisschen schwierig.
Frank Thelen: Lass es uns ganz offen ausprechen: Ein solches Verhalten ist dumm und zeugt von keinerlei Erfahrung im Venture-Bereich. Eine Downside-Optimierung ist der grundlegend falsche Ansatz. Manchmal muss man sein Geld abschreiben, das gehört zum Business dazu. Dafür sollte man aber bei den Projekten, die gut laufen, darauf achten, zehn, vielleicht aber auch dreißig oder vierzig Mal sein Geld zu bekommen. Eine Downside Protection oder einen Kontrollmechanismus noch in der Frühphase einzuführen, ist meiner Erfahrung nach äußerst ungünstig. Dies können sicherlich auch andere professionelle Investoren bestätigen. Ich kann nicht sagen, ob ich persönlich zu irgendeinem Zeitpunkt die angesprochenen Fehler begangen habe. Falls dem so sein sollte, entschuldige ich mich an dieser Stelle aufrichtig dafür, hoffe aber, dass mir derartige Fehler nie unterlaufen sind oder zumindest in den letzten Staffeln nicht mehr. Downside Protection macht insofern keinen Sinn, als dass es um die Upside und einen fairen Stake geht, damit das Unternehmen für mehrere Millionen verkauft werden kann und man als Investor auch seine schlechten Deals abdecken kann.
Digital kompakt: Einige Digitalunternehmer, die in die Show gehen, tun mir insofern ein bisschen leid, als dass sie als Digitalunternehmer oft nicht recht greifbar sind bzw. dass die Leute ihr Produkt nicht wirklich verstehen. Die Wertentwicklungspotentiale sind somit schon einmal verloren. Dann kommt oft noch von der Investorenseite die Ansage, ihre Arbeit sei zwanzig Prozent wert, bzw. dass 25,1 Prozent benötigt werden, weil ihnen das Team unbekannt ist. Mir scheint, als würden manche Gründer als Reaktion auf solche Szenarien mit künstlich angehobenen Bewertungen in eure Show gehen.
Frank Thelen: Das mag stimmen. Als Investor weißt du nicht, wer da vor dir steht, aber es gab in der Vergangenheit auch schon einige Deals, bei denen wir diese Tatsache einfach akzeptiert und mehr Geld als üblich geboten haben. Von der Mechanik her würde ich Gründern ein Taktieren, wie es eben von dir beschrieben wurde, auf keinen Fall empfehlen und dazu raten, auf dem eigenen Preis zu bleiben. Das ist viel seriöser. Mit verdoppeltem Wert in die Show zu gehen, ist meiner Meinung nach der völlig falsche Ansatz.
Digital kompakt: Ich habe mich schon oft gefragt, warum bestimmten Unternehmern nicht mehr Geld angeboten wird. Warum gibt man in manchen Fällen nicht ein bisschen mehr Cash, damit man mehr Bewegungsfreiheit hat und nach hinten weniger Risiko entsteht? Im Prinzip wird die Bewertung damit ja immer noch gesenkt, es wird nur ein bisschen mehr Kapital eingesetzt und mehr Commitment gezeigt. Macht das für euch Investoren keinen Sinn?
Frank Thelen: Das macht auf jeden Fall Sinn. Ich habe so etwas auch schon gemacht, zwar nicht mit doppeltem Geldeinsatz, aber mit deutlich mehr Geld. Eine solche Taktik ist immer mit einem Risiko verbunden. Deshalb bin ich da so zögerlich. Wir sind immer so verfahren, dass wir, wenn der Deal funktioniert und die Gründer performt haben, das Geld, das wir investiert haben, im Durchschnitt auch verdoppelt haben. Ich kenne die Diskussionen und weiß, warum Deals platzen, aber wenn wir den Deal gemacht haben, haben wir überall mindestens das Doppelte an Geld investiert.
Digital kompakt: Ich finde es schade, dass Deals, die platzen, in der Show immer besonders hervorgehoben werden. Es ist doch plausibel und nachvollziehbar, Vorbehalte zu haben, wenn die Entscheidungsgrundlage auf 45 Minuten basiert und das Gründerteam unbekannt ist.
Frank Thelen: Mich ärgern beide Seiten. Mich ärgert, dass so viele Deals platzen, weil es eine Show ist. Mich ärgert es aber auch, wenn man im Nachhinein entdeckt, dass Unternehmen substanzielle Schulden nicht erwähnt haben und wir deshalb den Deal nicht machen können, obwohl ich mir die Startups während der Show mit bestem Wissen und Gewissen angesehen und einen Deal zugesagt habe. Um dem vorzubeugen, arbeiten wir im Hintergrund an neuen Methoden, nach denen die Startups von unserer Redaktion besser geprüft werden können. Auch wir als Investoren müssen uns stetig verbessern. Tatsache ist aber auch, dass immer mal wieder Deals nicht zustande kommen werden. Ich schließe nur die Deals ab, von denen ich wirklich überzeugt bin. Bis auf „Crispy Wallet“ sind alle meine Deals auch noch aktiv und manche sogar erstaunlich erfolgreich.
Digital kompakt: Was für eine Rolle spielt Sympathie und strategische Nähe? Bei Jochen Schweizer zum Beispiel kann man beobachten, dass er eine Vorliebe für Ideen hat, die mit Events zu tun haben. Wird man irrational, wenn eine Themenverwandtheit vorliegt oder man einen Gründer extrem sympathisch findet? Passiert dir so etwas?
Frank Thelen: Wir sind alle nur Menschen. Wird mir ein Skateboard präsentiert oder irgendetwas, woran ich Spaß habe, ist mir das Produkt natürlich näher. Ich zum Beispiel bin kein Handwerker, weil ich in handwerklichen Dingen nicht begabt bin. Wenn mir nun jemand ein Tool-Set vorstellt, das mir hilft, Nägel schnell in die Wand zu schlagen, kann ich damit nicht wirklich etwas anfangen. Gesunde Ernährung oder Skateboards wecken da schon eher mein Interesse. Auch Venture-Kapitalisten sehen sich eher als mögliche Partner und Investoren, wenn sie an einem Thema näher dran sind und spezifisches Interesse daran hegen. Mir geht es da ganz ähnlich. In der Show „Die Höhle der Löwen“ versuche ich jedoch, auch offen für andere Themen zu sein.
Digital kompakt: Wie kamst du eigentlich zum Thema „Food“? Ich finde es sehr respektabel, wenn jemand wie du, der eigentlich aus der App-Welt kommt, plötzlich anfängt, Pizza, Suppe und Gewürze zu verkaufen.
Frank Thelen: Es gehört natürlich zur Show, Deals zu machen und Unternehmer zu fördern. Irgendwann lag bei uns eine Suppe auf dem Tisch. Mein Ansatzpunkt bestand darin, dass man eine Suppe skalieren kann, dass man in Massenproduktion gehen, die Suppe an Startups verkaufen und Abo-Modelle ausarbeiten kann. Irgendwie habe ich es geschafft, diese Suppen-Idee meiner Welt anzupassen. Gleichzeitig habe ich aber auch unterschätzt, wieviel die Leute essen. Das wiederum zeigt mir, wie sehr ich manchmal in meiner eigenen Informationsblase lebe und dabei vergesse, wie unendlich groß der Markt für Lebensmittel ist und dass wir alle drei oder vier Mal am Tag Nahrung zu uns nehmen. Diese Suppe ist am Ende durch die Decke gegangen. Wir verkaufen in einem Monat für über eine Million Euro Suppe und wachsen stark weiter, obwohl wir gerade erst am Anfang stehen. Mittlerweile ist die Suppe in 4000, bald in 10000 Läden verfügbar. Das Produkt funktioniert aber auch online. Dass ein Startup im ersten Jahr zehn Millionen Euro an Umsatz macht, ist etwas sehr Außergewöhnliches.
Digital kompakt: Fairerweise sollte man aber auch erwähnen, dass ein solches Startup margenärmer ist, oder?
Frank Thelen: Nicht unbedingt. Unternehmen wie „MyTaxi“ oder „Spotify“ haben auch keine großen Margen.
Digital kompakt: Ich hätte vermutet, dass der Margenanteil bei einem Produkt wie Suppe durch den logistischen Anteil und die Produktion eher schlecht ist.
Frank Thelen: Nein, es ist nicht ganz so schlimm. Wir haben mittlerweile natürlich auch große Produktionsmengen. Nachdem ich gesehen hatte, wie schnell das Startup gewachsen ist, habe ich mich mit dem Lebensmitteleinzelhandel auseinandergesetzt und mir inzwischen ein gutes Netzwerk aufbauen können. So wie ich vorher mit Apple und Microsoft meine Partnerschaften gelebt habe, arbeite ich nun mit Edeka, REWE und Real zusammen.
Mit den Gewürzmischungen von „Ankerkraut“ sind wir ähnlich vorgegangen wie bei „Little Lunch“. Man muss natürlich die weiteren Entwicklung abwarten, ich glaube aber, dass „Ankerkraut“ noch erfolgreicher als „Little Lunch“ sein kann. Es ist unvorstellbar, was wir davon zur Zeit verkaufen. Auch mit „Lizza“ konnten wir innerhalb von nur vier Stunden für insgesamt 400.000 Euro Pizza verkaufen. In diese drei Food-Unternehmen habe ich investiert und rechne bei allen dreien mit steigenden Kursen.
Digital kompakt: Ich habe gelernt, der Einzelhandel würde „Einzelhandel“ genannt, weil jeder „einzeln handelt“.
Frank Thelen: Absolut. Normalerweise ist das so. Wir haben den Vorteil, dass wir durch einen starken Push in den Medien und durch mein Netzwerk Zentrallistungen von oben bekommen. Mir hat jemand, der schon seit vielen Jahren und Jahrzehnten im LEH [=Lebensmitteleinzelhandel] arbeitet, gesagt, „Little Lunch“ wäre ein Phänomen, das die Branche seit zehn Jahren nicht gesehen habe. Normalerweise leistet man jahrelang Vorarbeit, erschließt sich Laden für Laden und investiert einiges an Geld, bevor Zentrallistungen herausgegeben werden. „Little Lunch“ aber kam aus dem Nichts und hatte quasi über Nacht ihre Suppe in den Regalen stehen. Wir haben es hier auf jeden Fall mit einem Phänomen zu tun.
Startups sind derzeit sehr angesagt. Das wissen natürlich auch Läden wie Edeka und REWE. Sie wollen, auch im Sinne der Kunden, hippe Produkte im Regal stehen haben, die die allgegenwärtigen, bekannten Standardnudeln oder dergleichen ersetzen. Bekommt ein Startup wie „Little Lunch“ dann noch einen Push durch die Medien, braucht es nur noch ein gutes Design und Marketing Know-How, um phönomenal einschlagen zu können. Wir hatten eine unfaire Lücke gefunden und besetzt, wodurch wir an allen vorbeiziehen und sehr schnell Umsatz generieren konnten.
Digital kompakt: Eine letzte Frage dazu: Wie schafft man es, sich in einem solchen Segment zu halten? Ist das aufgrund des Wettbewerbs um die Regalflächen nicht schwierig?
Frank Thelen: Auf jeden Fall. In diesem Wettbewerb herrscht das Prinzip „Umsatz pro Quadratmeter“. Unternehmer müssen zeigen können, dass sich das eigene Produkt dreht und dass der Einzelhandel mit diesem Produkt mehr Umsatz machen kann, als mit den Produkten, die aus dem Regal genommen wurden. Genau das konnten wir mit „Little Lunch“ bisher nachweisen. Durch unsere starke Marke und den Push in den Medien glückt es uns, auch weiterhin in den Regalen zu bleiben. Sobald ein Produkt in den Regalen liegen bleibt und keinen Umsatz mehr generiert, wird es aus dem Sortiment genommen. Man muss schon zeigen können, dass das eigene Produkt funktioniert.
Digital kompakt: Zurück zum Thema Firmenbewertungen:Gibt es bei der Show ab und an nicht in puncto adverser Selektion Probleme was die Gründerpersönlichkeiten angeht? Du hast vorhin selbst darauf hingewiesen, dass WHU-Hotshots oder stark digitalaffine Gründer eher selten in der Show vertreten sind. Daneben gibt es viele Bewerber, die nicht den Mut haben, sich von ihrem alten Job zu lösen und ihre Startup-Idee eher nebenbei verfolgen. Hast du Probleme damit, dass oft keine hochrangigen Unternehmer bei euch in der Show sind?
Frank Thelen: Ja und nein. Zum einen finde ich die Kandidatenauswahl auch für mich als Investor sehr spannend, weil es manche Gründer schaffen, mich aus meiner eigenen Blase zu holen. Wir Investoren leben in den klassischen Hochburgen Berlin, München oder Hamburg und kennen durch die Gründerszene die klassischen Starter. Wenn dann aber ein Unbekannter vor uns steht, der einen Klebestift oder Roller entwickelt hat, der cooler ist, als das, was all die anderen Startups machen, bin ich gezwungen, meine eigene Blase zu verlassen. Andere Gründer kennenzulernen, empfinde ich als sehr positiv.
Teilweise haben wir aber auch wirklich schwache Leute in der Show, die ohne Wissen, Drive und Struktur an ihre Sache rangehen. Das ist manchmal katastrophal. In solchen Fällen ist es meine Aufgabe, eine Absage zu erteilen und den sogenannten Gründern mitzuteilen, dass ich sie nicht als solche sehe. Wir haben also in der Show zum einen sehr interessante Deals, die uns aus unserer eigenen Blase herausholen, auf der anderen Seite aber auch schlechte Gründer, die wir dann auch als solche benennen.
Ab und an sind jedoch auch Elite-Leute in der Sendung. Insgesamt haben wir inzwischen über zehn hochwertige Unternehmen gesehen und werden auch weiterhin Startups wie „Evopark“ in der Show haben. Die Hauptansprechpartner für derlei Unternehmen sind definitiv Carsten Maschmeyer und ich, weil wir beide in diesen Venture-Metriken zu Hause sind.
Digital kompakt: Du wirkst manchmal fast wie ein „Dieter Bohlen des Internets“. Das kommt doch fast hin, oder?
Frank Thelen: (lacht) Ich bin Gründer. Ich habe den gesamten Prozess selbst durchgemacht und stand kurz vor einer privaten Insolvenz. Ich erlebe jeden Tag Situationen, in denen unsere Gründer hart am Wind segeln, ihre Familien nicht sehen, kurz vor der Insolvenz stehen und nur durch unglaublichen Mut und Einsatz ihre Schwierigkeiten meistern können.
Ein Unternehmen lebensfähig zu halten, ist nicht einfach. Ich hasse es, wenn das Bild vermittelt wird, alles sei „total easy“ und „total cool“. Ein solches Bild wird den Gründern, die ich jeden Tag unterstütze, und auch meinem Leben als Gründer nicht gerecht. Solche Aussagen machen mich ehrlich gesagt wirklich wütend und ungehalten. Gründen ist nicht einfach, deshalb habe ich auch vor jedem einzelnen Gründer, der ein ehrlicher, echter Gründer ist, tiefen Respekt.
Digital kompakt: Was würdest du, um das Thema abzuschließen und auf die Firmenbewertungen zurückzukommen, als die Do’s und Dont’s in puncto Bewertung bezeichnen? Was sollten Leute, die in der Show oder im privaten Business-Umfeld auf dich zukommen, tunlichst vermeiden und was empfiehlst du Unternehmern?
Frank Thelen: Das größte Don’t ist ein Satz, den ich leider unvorstellbar oft zu hören bekomme: „Bekomme ich ein Prozent des Marktes, sind das 10 Milliarden. Ein Prozent werde ich doch schaffen, oder?“ So etwas ist der dümmste Ansatz, den man haben kann. Alle Bereiche sind hart umkämpft. Irgendwo hineinzukommen, egal ob wir vom LEH [Lebensmitteleinzelhandel] oder einem App Store reden, ist schwer. Das Produkt sollte deshalb auf einen Blick verstanden werden können. Wenn ich als Investor drei bis vier Minuten brauche, bis ich das Produkt verstanden habe, hat das schon zu lange gedauert.
Mir ist es schon passiert, dass Unternehmer mir vorgeworfen haben, ihnen nicht mindestens eine Viertelstunde zum Erklären eingeräumt zu haben, wenn ich ihr Produkt nicht auf Anhieb durchschauen konnte und gehen wollte. Ich bin da gänzlich anderer Meinung. Jeder Gründer, der dir als Redakteur, mir als Investor oder seiner Freundin an der Bar nicht innerhalb von 90 Sekunden erzählen kann, was er macht, ist schon gescheitert.
Natürlich geht es nicht darum, alle Details auszuführen, aber man sollte innerhalb von 90 Sekunden nachvollziehbar erklären können, woran ungefähr gebaut wird. Anstatt wilde TechCrunch-Zahlenkonstrukte vorzulegen, sollte ein Unternehmer in aller Ruhe erzählen, was ihn ausmacht, warum er einen unfairen Vorteil mit seinem Produkt hat, wer in seinem Team ist, wie seine nächsten sechs bis zwölf Monate aussehen und wie er seiner Vision näher kommen kann.
Digital kompakt: Viele Faktoren, die sich um eine Firmenbewertung drehen, scheinen demnach aber oft keine harten Faktoren, sondern manchmal sogar relativ weiche zu sein, oder?
Frank Thelen: Auf jeden Fall. Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass Firmenbewertungen sehr relativ sind. Manchmal kann man zwar Vergleiche anstellen, vor allem dann, wenn die Produktidee nicht neu ist und User bereits vorhanden sind, aber selbst dann können die Technologie, das Team und der Markt gänzlich anders aussehen. Insofern sind Bewertungen wirklich sehr weich.
Das Wichtige für Gründer ist, sich schon in einer relativ frühen Phase einen Investor mit an Bord zu holen, der hilft, vernetzt, Coach und Mentor wird, mit dem man aber auch mal ein Bier trinken gehen kann. Man unterschätzt gerne, wie wichtig es ist, dass jemand mit Erfahrung die Richtung vorgibt. Das ist unvorstellbar wertvoll. Wenn man einmal den falschen Investor auf dem Captable [Liste der Gesellschafteranteile] erlebt hat, wird einem deutlich, wie schnell solche Leute Unternehmen ohne triftige Gründe auseinandernehmen und sie damit letztendlich töten können, nur weil sie sich irgendwie angestochen fühlen.
Fragt man zum Beispiel Alexander von Frankenberg vom High-Tech Gründerfonds, warum Unternehmen scheitern, nennt er „Streit“ als den Hauptgrund. Deshalb sollte ein Investor nicht aufgrund der Bewertung ausgewählt werden. Die Zusammenarbeit muss passen. Jeder, der einmal erlebt hat, was die falschen Leute anrichten können, weiß, dass die Bewertung bei der Prioritätenfrage nur an zweiter Stelle steht.
Digital kompakt: Du hast eben gesagt, dass jemand mit an Bord sein sollte, der die Richtung vorgibt. Müsste man nicht fast noch ambitionierter denken: Sollte sich ein Investor – überspitzt formuliert – nicht eigentlich an die Seite von jemandem begeben, der eine Idee hat, bei der man selbst noch nicht einmal einschätzen kann, in welche Richtung sie sich entwickeln wird?
Greifen wir dafür doch das Beispiel von Lilium Aviation noch einmal auf. Ihre fliegenden Autos sind so innovativ, dass selbst mit jahrelanger Erfahrung und Expertenwissen nicht genau gesagt werden kann, in welche Richtung das Pendel bei einer solchen Innovation ausschlagen wird. Wie denkst du darüber?
Frank Thelen: Für mich als Investor sind derartige Innovationen natürlich sehr spannend. Auch weil man solche Innovationen nicht jeden Tag sieht. Ich als Investor sage aber immer ganz offen, wenn ich noch nie vergleichbare Produktionen aufgebaut habe oder kein Experte für die jeweilige Technologie bin. Was ich in einem solchen Fall jedoch anbieten kann, ist ein Know-How in Managementstrukturen, Geld und Kontakt zu den Politikern, die ein solches Flugzeug dann tatsächlich auch freigeben.
Ich muss mit dem Gründer zusammen ein Expectation Managment machen und ausloten, in welchen Bereichen ich helfen kann, bzw. wo ich dies nicht kann. Oftmals ist eine Zusammenarbeit auch mit einer Typfrage gepaart, also ob die Gründer Anpacker oder eher Denker sind. Handelt es sich um einen Gründer, der nicht unternehmerisch denkt, komme ich als Investor mit ihm und seinem Verhalten wahrscheinlich nicht klar.
Digital kompakt: Vor kurzem habe ich mit einem Investor gesprochen, der mich hellhörig gemacht hat. Dieser Investor hat gesagt, die Bewertung sei im Grunde völlig egal, da die einzige Aufgabe darin bestünde, wenn es gut läuft in späten Runden nicht zu verwässern. Läuft es hingegen nicht optimal, wäre es ohnehin egal, ob die eigenen 100.000 Euro auf eine Bewertung von fünf oder zehn Millionen verbrannt sind. Es kommt ja eigentlich darauf an, die High-Flyer zu identifizieren, eine Formmetrik einzubauen und zu definieren, wie viel Prozent in welcher Runde erreicht werden sollten. Ist das ein adäquates Bild?
Frank Thelen: Ja und nein. Ja für Hightech-Deals, wenn ein großer Fonds vorhanden und die Option gegeben ist, auch dreißig oder vierzig Mal Geld zu bekommen. Die Gründe, warum Sequoia oder Andreessen Horowitz so erfolgreich sind, liegen bei WhatsApp, Facebook und Uber.
Hat man ein Modell, wie das, das wir mit den Consumer Startups im DHDL-Bereich machen, sind die Optionen anders. Wir verlieren zwar relativ wenige Deals, werden aber wahrscheinlich auch keine oder nur ganz wenige über 100 Millionen verkaufen. Wir bewegen uns mit der Show in einem Korridor, bei dem wir maximal zwanzig, höchstens dreißig Prozent verlieren, bzw. siebzig oder achtzig Prozent mit nach Hause bringen wollen. Dabei erwarten wir aber auch, dass wir für „nur“ zehn bis sechzig Millionen verkaufen.
Das ist aber natürlich auch wieder nur eine Planung, deren Richtung das Bauchgefühl vorgibt. In einem solchen Korridor ist es, im Gegensatz zum reinen High-Tech-Bereich, wichtiger für uns, dass wir die richtigen Anteile haben. Sollte Lilium Aviation das nächste große 100-Milliarden-Ding werden, wäre die Bewertung relativ egal. Da gebe ich diesem Investor recht.
Digital kompakt: Das ist doch ein schönes Fazit: Als Unternehmer sollte man sich auch in die andere Seite hineinversetzen können, anstatt seine eigene Bewertung aufgrund der Verwässerungsgrade in die Höhe zu treiben. Das kommt bei der Show oft ein bißchen zu kurz.
Frank Thelen: Vor allem klingt es toll, wenn das eigene Unternehmen schon zehn Millionen wert ist, auch wenn die Liquidation Preferences kein Ende nehmen und das Unternehmen damit nie wieder verkaufbar ist. Aber es ist natürlich toll zu sagen, dass man eine Zehn-Millionen-Bewertung hat. Das geht schon fast in Richtung der Unicorn-Bewertungen [Firmenbewertungen über eine Milliarde]. Um solche Bewertungen zu erreichen, um “Unicorn” zu sein, werden im Valley zum Beispiel oft die wildesten Konstrukte zusammengestrickt.
Digital kompakt: Es ist also ein Spagat: Auf der einen Seite sollte man sich als Investor überlegen, wie das Gegenüber motiviert bleiben kann, wenn in einer frühen Phase schon viele Anteile weggenommen werden und man als Investor wie der Chef auftritt. Auf der anderen Seite sollte man sich aber auch als Unternehmer Gedanken darüber machen, was der Investor für das Unternehmen tun kann, was er an den Tisch bringt, nach welcher Metrik er funktioniert und was er vom Unternehmer selbst braucht. Vermutlich werden sich oft keine Gedanken darüber gemacht, was der Investor besonders gut kann, für was er wichtig ist und was er einbringt.
Frank Thelen: Man sollte Investoren immer direkt fragen, was sie für einen in der jetzigen aber auch in künftigen Phasen tun können, was ihre nächsten Schritte sind und was sie einbringen. Es passiert sehr selten, dass Gründer Investoren hinterfragen und Refernce Calls machen. Das kann ich aber wirklich nur empfehlen. Da nehme ich mich selbst auch gar nicht von aus. Gerne immer direkt nachfragen, ob vom Investor Hilfe erwartet werden kann und ob er beispielsweise dabei hilft, einen Marketing-Chef zu finden oder ob das in den eigenen Aufgabenbereich fällt.
Digital kompakt: Woran erkennen Gründer denn, ob Investoren vom Typ her zu ihnen und ihren Unternehmen passen? Hast du konkrete Anhaltspunkte, anhand derer man deiner Meinung nach erkennen kann, ob jemand ein schlechter Investoren-Typ ist oder zu viel Ego mitbringt?
Frank Thelen: Diesbezüglich kann ich leider keine Tipps geben. So etwas herauszufinden ist sehr schwer. Das Einzige, was hilft, sind Reference Calls. Das bedeutet sich ehrlich von Gründer zu Gründer auszutauschen und nach Tipps und Empfehlungen zu fragen. Niemand wird irgendwo hinkommen und verkünden, der eigene Investor sei schlecht, eben weil es der eigene Investor ist. Um derartige Information zu bekommen, braucht es Fingerspitzengefühl. Wenn man ehrlich von Gründer zu Gründer spricht, kann man erkennen, ob ein Investor wirklich fair ist und seinen Job macht. Ungeschminkte Wahrheiten bekommt man meiner Erfahrung nach nur über persönliche Gespräche.
Digital kompakt: Spannend! Ich danke dir ganz herzlich, dass du so viel Erfahrung geteilt hast und uns einen Einblick hinter die Kulissen der Show gegeben hast. Hat viel Spaß gemacht!
Frank Thelen: Vielen Dank auch an dich! Auch mir hat es viel Spaß gemacht.