Transkript zu:

digital kompakt, Joel Kaczmarek, Podcast, Digitalisierung,

Deep Dive Wissen

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6

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Mai 9, 2017
In dieser Folge teilt der PR-Experte Marcus Johst sein Wissen rund um das Thema Krisenkommunikation. Mit ihm sprechen wir über selektive Wahrnehmung, das Erzeugen von Aufmerksamkeit und über das Scheitern von klassischer PR.

Inhaltsübersicht

digital kompakt, Joel Kaczmarek, Podcast, Digitalisierung,

Transkript zu:

Deep Dive Wissen

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6

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Mai 9, 2017

PR-Drecksau Johst über Tricks der Krisenkommunikation

In dieser Folge teilt der PR-Experte Marcus Johst sein Wissen rund um das Thema Krisenkommunikation. Mit ihm sprechen wir über selektive Wahrnehmung, das Erzeugen von Aufmerksamkeit und über das Scheitern von klassischer PR.

Digital kompakt: Herzlich willkommen zu einem neuen Deep-Dive Podcast von digital kompakt, mein Name ist Joel Kaczmarek. Heute wird es schmutzig, denn ich habe dem Ganzen meinen persönlichen Titel verpasst: Ich spreche heute mit der größten Drecksau im PR-Geschäft. Stelle dich doch mal vor, wer bist du?

Marcus Johst: Ein schönes Kompliment, vielen Dank. Mein Name ist Marcus Johst, meine Firma heißt „Societät für strategische Medienberatung“ mit Sitz im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin.

Digital kompakt: Ich meine das mit der Drecksau durchaus anerkennend und als Kompliment. Deine Aufgabe ist es, Leute aus einer Krisen-PR, in der sie nicht sein wollen, wieder rauszuholen. Oder umgekehrt bringst du Leute in eine Krisen-PR rein, wenn sie dem eigenen Wettbewerb angehören. Sag uns doch was zu deinem Werdegang. Wie bist du beruflich der geworden, der du heute bist?

Marcus Johst: Ich habe schon mit 17 in Österreich bei Lokalblatt angefangen, bin dann nach dem Abitur zum Studieren nach Wien gegangen und habe mir nebenbei bei diversen bekannten Tageszeitungen, wie zum Beispiel Der Standard, Die Presse und die Wochenendbeilage bei der Kronen Zeitung, etwas dazuverdient.

Vom Journalist zum PR-Berater

Digital kompakt: Ich versuche unseren Hörern zu vermitteln, wie du als Typ so tickst. Das heißt, du hast viel journalistische Erfahrungen gemacht – regionale Blätter und überregionaler Celebrity-Journalismus. Was war für dich der Wendepunkt um zu sagen, dass du auf die andere Seite, in die PR, gehst?

Marcus Johst: Das war um das Jahr 2000 herum, nach etlichen Jahren in Journalismus und diversen Redaktionen und immer mit dem großen Karrierewunsch, ein bedeutender Chefredakteur zu werden. Die Aussichten, in Deutschland einer von den zehn, die solche Blätter führen, zu werden, wurde immer weniger attraktiv, weil ich sehr nah an einem Chefredakteur gearbeitet habe und sowohl Glanz als auch Elend des gehobenen Angestelltenseins direkt miterleben durfte. Ich habe festgestellt, dass man in so einer Position auch nur Befehlsempfänger ist. Die Konsequenz daraus war, diese Karriere zu beenden.

Digital kompakt: Viele Leute denken, dass man als Journalist auch ganz leicht PR’ler sein kann. War das so einfach oder ist das eigentlich schwieriger als man denkt?

Marcus Johst: Es ist schwierig bis unmöglich. Ich habe es mir bequem gemacht, indem ich mich in einer Nische der Public Relations positioniert habe, die viel näher am investigativen Journalismus dran ist als die klassische PR, wo es um das Prinzip der selektiven Wahrnehmung bis zum Verrecken geht. Das muss man charakterlich als Persönlichkeit durchhalten. Wer den Journalismus in der DNA hat, der kann so einen Job nicht machen.

Digital kompakt: Du kannst ja mal so ein paar deiner Fälle vorstellen. Auf deiner Webseite liest sich das wie ein Krimi. Ein sehr bekannter Fall, mit dem du immer in der Kommunikation arbeitest, ist Uschi Glas, glaube ich. Was hast du da gemacht?

Marcus Johst: Das ist tatsächlich schon sehr lange her. Im Grunde genommen ging es darum, einen wirklich sehr zerstörerischen Angriff der Institution Stiftung Warentest abzuwehren, den Schaden, der durch die Veröffentlichung eines negativen Produkttests schon entstanden war, gering zu halten und innerhalb der Branche der Creme-Hersteller – eine sehr kleine Branche – die Reputation des Unternehmens zu retten. Es ging darum, den Leuten ganz klar zu kommunizieren, dass nichts falsch gemacht wurde, nichts falsch angerührt und keine ungesunden Sachen in der Creme drin sind. Mit so einem Gegner, der damals eine noch viel höhere Reputation hatte als heute, war das schon eine Aufgabe, an der man eigentlich nur wachsen konnte.

Auch eine ganz spannende Situation war, einen sehr bekannten Babynahrungsmittelhersteller gegen Vorwürfe, er würde mit Pestiziden verseuchten Baby-Bananen-Brei verkaufen, zu verteidigen. Wobei hier der Kunde auch schon mit einer Ermittlungsagentur zusammengearbeitet hat und ich schon eine ganz gute Datenlage hatte bzw. nicht mehr viel Arbeit aufwenden musste, um nachzuweisen, dass die Konkurrenz diese Schlagzeile im Medienmarkt platziert hat.

Es handelte sich um einen tatsächlichen Fehler, der noch immer nicht ganz aufgeklärt ist. Vermutlich hat ein Lieferant aus Mittelamerika dem Hersteller eine Ladung Bio-Bananen verkauft, die keine Bio-Bananen waren, sondern ganz normal gespritzt. Insofern war die Schlagzeile korrekt. Es war ein Baby-Bananen-Brei, in dem Rückstände von Pestiziden zu finden waren. Und jetzt kommen wir eigentlich schon zum Kern der ganzen Angelegenheit – dem Kuratieren von Fakten. Ich bin mit jeder Menge Bananen aufgewachsen. Damals gab es noch gar keine Bio-Bananen und es geht mir immer noch sehr gut. Insofern kann ich mir nicht vorstellen, dass das jemandem geschadet hätte.

Digital kompakt: Der schöne Faktor ist, dass deine Arbeit vollkommen unabhängig davon passiert, ob es stimmt oder nicht und ob es gerecht ist oder nicht. Was macht das mit einem, wenn man mit Gerüchten zu tun hat und Leuten hilft, mit schlechter Presse aus der Presse zu kommen, die vielleicht aber sogar stimmt?

Marcus Johst: Es ist sogar sehr einfach, motivierend und macht Spaß, wenn man sich selber auf der Seite des Gerechten wähnt. PR, die lügt, ist sowieso zum Scheitern verurteilt. Es ist eine Qualitätsfrage, ob ich mich einer Lügentechnik bediene oder ob ich das Prinzip der selektiven Wahrnehmung so meisterhaft beherrsche, dass ich Botschaften formuliere, die ohne Lüge auskommen und ihr Ziel erreichen.

PR erzeugen: Wie bekommt man Aufmerksamkeit?

Digital kompakt: Also du lügst nicht aktiv, sondern du lenkst nur Aufmerksamkeit auf einen anderen Faktor. Lass uns doch mal in den ersten von drei Blöcken eintauchen – PR erzeugen. Viele sind vielleicht noch junge Unternehmen oder starten gerade einen neuen Dienst und wollen Aufmerksamkeit in der Presse erzeugen. Was ist dafür das richtige Vorgehen? Wie muss ich eine Botschaft finden und was sind die Wege, mit denen ich das tue?

Marcus Johst: Im Grunde genommen funktioniert gute PR auch für Startups, also Marken, die noch keiner kennt, über dasselbe Prinzip wie guter Journalismus. Ich muss überraschen, Regeln brechen und gleichzeitig auch Klischees bedienen.

Neulich hatte ich einen interessanten Auftrag. Nämlich einem relativ kleinen Startup, die über ein sehr überschaubares Budget verfügen, zu helfen, größere Aufmerksamkeit zu generieren. Mit ihrer sehr speziellen Dienstleistung. Da haben wir eine angemessene Zeit lang überlegt, was man machen könnte und womit der Aufwand überschaubar bleibt. Da kamen wir zum Ergebnis, dass wir uns einen sehr mächtigen, lauten und PR starken Feind suchen, den wir provozieren. Dieser Feind war auch der perfekte Feind, denn es war die größte Fluglinie Europas mit einem Chef, den man mit gutem Gewissen auch ‚das größte PR-Großmaul Europas‘ nennen darf. Wir haben den mit einer kurzen Serie von Pressemitteilungen ein bisschen provoziert. Der ist abgegangen wie ein wilder Hund und hat unsere Firma immer wieder erwähnt. Vielen Dank.

Digital kompakt: Der Gedanke ist, dass keine schlechte PR existiert, sondern man, Stichwort Earned Media [= (selbst) verdiente Medien], Hauptsache in die Medien kommt und dass das immer hilft. Ist das dieser Logik geschuldet?

Marcus Johst: Das ist schon eine gehobene Stufe der Weisheit, wenn ein Kunde das begriffen hat. Leider ist Angst immer noch das Leitmotiv der Unternehmer, wenn Sie sich der PR bedienen wollen. Das verhindert gute PR für wenig Geld. Die Herausforderung ist ja nicht, mit wahnsinnig großer Penetranz und gewaltigem Aufwand Pressekonferenzen und ganze Presse-Roadshows zu machen, sondern hin zur Wurzel der Nachricht zu kommen. Wenn meine interessante Botschaft großes Publikum findet, dann ist diese verhältnismäßig kleine Energie, die ich in das Entwickeln dieser Botschaft gesteckt habe, in keinem Verhältnis zu dem, was dabei rausschauen kann.

Digital kompakt: Wie finde ich so eine interessante Botschaft und was muss die haben?

Marcus Johst: Man muss das Regieprinzip von Claus Peymann anwenden – Immer genau das Gegenteil von dem, was erwartet wird, tun.

Wenn ich mit einem Fall betraut werde, dann überlege mir oft im Stillen den grotesk möglichsten Vorschlag, den ich diesem Kunden machen könnte. Wenn der Kunde das – nach einiger Überredungsanstrengung – dann auch erlaubt, dann ist es erstaunlicherweise auch das, was funktioniert.

Digital kompakt: Hast du historische Beispiele einer Message, woran man als normaler Gründer nicht gedacht hätte?

Marcus Johst: Ein sehr interessanter Auftrag war von einem großen Bauträger, der in einer deutschen Großstadt ein riesen Bauprojekt verwirklichen wollte und sehr große Sorge hatte, dass das aus politischen und gesellschaftlichen Erwägungen nicht genehmigt wird. Die Bitte war, da für eine gewisse gute Stimmung zu sorgen. Das ist nicht leicht, weil die öffentliche Sympathie für große Bauträger überschaubar ist. Es gab eine sehr starke Bürgerinitiative aus der Nachbarschaft, die von sehr gut organisierten Leuten angeleitet wurde und sachlich ganz gute Argumente hatten. Eigentlich ein unlösbarer Fall.

Dann habe ich mich zusammen mit dem Auftraggeber, der auch die notwendige Verspieltheit für neue Wege mitbrachte, zurückgezogen und sehr detailliert die Argumentationskette der Bürgerinitiative und ihrer Vertreter angesehen und seziert. Dabei heraus kam eine ziemlich hundertprozentige Deckungsgleichheit mit politischen Parolen der AfD. Über einen Mittelsmann haben wir dann der AfD den freundlichen Tipp zukommen lassen, dass hier möglicherweise ein Feld ist, in dem man für gewisse Sympathien werben könnte. Glücklicherweise sind die Parteistrategen darauf angesprungen und damit an die Presse gegangen, mit dem Resultat, dass die Bürgerinitiative in diesem Augenblick moralisch tot war.

Digital kompakt: Du hast es geschafft, dass ein Bauträger ein Bauvorhaben durchbringen kann, weil du es geschafft hast, seine Gegner in dem Licht erscheinen zu lassen, dass sie AfD oder zumindest ihrer Inhalte nah sind. Ist das nicht so ein Moment von ‚Lüge versus selektive Wahrnehmung’, in dem du dich schlecht fühlst?

Marcus Johst: Nein. Wir reden hier über Medien, über öffentliche Aufmerksamkeit, über Wahrnehmung und über das, was Medien als ihre Wirklichkeit produzieren und verkaufen. Und diese Wirklichkeit ist wie jede andere Wirklichkeit immer ein subjektives Produkt. Insofern habe ich kein schlechtes Gefühl dabei, die Medien bei der Herstellung dieser Produkte auf eine Weise zu unterstützen, die ihrem Geschäftsmodell entgegenkommt: Versuche spannende Inhalte, die aufgenommen werden, zu kreieren. Solange die Lüge nicht Bestandteil dieser Produkte ist, kann ich sehr gut damit schlafen.

Wie findet man in der PR die richtigen Fachmedien?

Digital kompakt: Also man darf nicht lügen, sondern muss die Wahrnehmung lenken und dann überraschend Regeln brechen. Wie bei einem Zaubertrick. Wenn du ein Zauberkünstler bist, dann läufst du besonders Gefahr, dass Journalisten dir nicht trauen oder besonders kritisch sind. Wie spreche ich einen Journalisten an und wie komme ich in Kontakt?

Marcus Johst: Ich empfehle grundsätzlich: Offenheit und genug Mut, um über Probleme und Niederlagen zu sprechen. Der Journalist an sich ist empathisch, vorsichtig, misstrauisch und freut sich, den Schwachen zu helfen. Wenn man es schafft, in dieser Position, begleitet von Inhalten mit Neuigkeitswert, einem interessierten Journalisten gegenüberzutreten, dann ist das mehr als die halbe Miete.

Digital kompakt: Es gibt eine ganz eigene Landschaft von Medien, in der man verstehen und lernen muss, wer welchen Impact hat. Und dann gibt es die Metaebene der großen generellen Medien. Wie gehst du vor und wen wählst du für deine Stories aus?

Marcus Johst: Jeder Auftrag und jede Problematik hat ihre eigene Gestalt. Manchmal empfiehlt es sich, gar nicht direkt mit Journalisten in Kontakt zu treten, sondern gewisse Nachrichten einfach passieren zu lassen. Also die Dinge scheinbar passiv ins Rollen zu bringen und die Kugel so zu steuern, dass sie dort, wo man sie möchte, hin rollt.

Wenn die Wurzel der Botschaft gut ist, dann funktionieren Nachrichten ja teilweise wie von selber. Dann wird ein Eskalationsmodell in Gang gesetzt, bei dem man nur noch leicht steuernd eingreifen muss. Das andere sind persönliche Hintergrundgespräche mit Menschen auf Vertrauensbasis und mit viel Offenheit, wo die Verbreitung von Inhalten letztendlich kein Glaubwürdigkeitsproblem beim Jouralisten ergeben. Weil dann bleibt diese Tür ein für alle Mal verschlossen. Die Inszenierung ist schon der Schlüssel.

Do’s und Don’ts im Umgang mit Journalisten

Digital kompakt: Aber inszenieren ist gar nicht so leicht. Braucht es da eigentlich immer jemanden wie dich, der solchen Unternehmern hilft und bist du dann immer der Regisseur? Was sind denn die Do’s and Don’ts im Umgang mit Journalisten? Und laufe ich im Kontakt mit Journalisten Gefahr, dass die schon eine Story im Kopf haben und ich die gar nicht mehr steuern kann?

Marcus Johst: Gott sei Dank braucht es solche Leute, sonst würde ich kein Geld mehr verdienen können. Natürlich gibt es auch bei Auftraggebern Naturtalente. Manche brauchen auch gar keine professionelle Hilfe, weil sie sowieso wissen wie es läuft. Und die Verschlossenheit gegenüber Inhalten ist der Killer für jedes Gespräch.

Die guten Journalisten haben die Geschichte schon fertig. Wenn ich als Betroffener kontaktiert werde und das Gefühl habe, dass das keine günstige Geschichte für mich wird, dann muss man gegensteuern. Aber sich gänzlich dagegen zu verwehren macht wenig Sinn. Da rate ich zu maximaler Kooperation. Wenn es schmerzhafte Inhalte sind, dann musst du ihm ein besseres Angebot machen.

Wie man negative Publicity abwehren kann

Digital kompakt: Die erste Säule war PR erzeugen und jetzt haben wir das Thema PR abwehren. Was ist dein Vorgehen, wenn du merkst, dass eine PR-Welle auf jemanden zu kommt?

Marcus Johst: Meistens ist wenig Zeit. Oft gibt es nur noch eine Chance, nämlich Ablenkung. Wenn der Punkt, auf den die Nachrichtenlage zusteuert, sehr schmerzvoll ist, dann muss ich einen weniger schmerzvollen Punkt anbieten.

Es gab vor einigen Jahren mal ein Auftrag aus der Lebensmittelindustrie, bei dem durch Verunreinigung ein wirklich dramatisches Produktproblem aufgetaucht ist und der Hersteller als verantwortungsloser Lebensmittelproduzent dastand. Glücklicherweise gab es aus dem Ausland ein dünnes Stimmchen an Hersteller, die gesagt haben, dass diese deutschen Produkte nicht mehr importiert werden, weil die alle gefährlich sind. Wir haben diesen Trittbrettfahrer aufgebaut und konnten das richtig große und nachhaltige Desaster abwehren. Trotzdem war das natürlich keine schöne Situation.

Die Strategie des OODA-Loops nach John Boyd

Digital kompakt: Ein klassisches Beispiel deiner Aufmerksamkeitsumlenkung. Hast du da eine gewisse Methodik?

Marcus Johst: Ich hab vor ein paar Jahren durch Zufall einen sehr klugen Kommunikationswissenschaftler der Universität Marseille kennengelernt, der mich in die Strategien von John Boyd, der den berühmten OODA-Loop entwickelte, eingeführt hat. Ein genialer Konfliktdenker, der sehr viel theoretische Schriften veröffentlicht hat und allerdings testamentarisch verfügt hat, dass kein Mensch jemals damit Geld verdienen darf. Deswegen sind die originalen Manuskripte frei herunterladbar im Internet, man muss sie halt finden.

OODA steht für die vier Phasen eines Konflikts, in denen sich jeder befindet: Observation, Orientation, Decision und Action. Wenn sich zwei konkurrierende Gegner beharken, ob in einem militärischen Konflikt oder mit der entsprechenden PR, dann sind beide in diesem Loop. Die Herausforderung von mir ist es, gegen einen kommunizierenden Feind in dessen OODA-Loop einzudringen. Das geht mittels einer strukturierten Positionsanalyse innerhalb von zwei Stunden. Und noch eine Stunde später hat man eine komplette Krisenkommunikationsstrategie, die dauerhaft funktioniert.

Digital kompakt: Lass uns doch mal die vier Phasen durchgehen. Observation und Orientation klingt ähnlich. Observation heißt, erst mal verorten und schauen, was passiert?

Marcus Johst: Ganz wichtige Phase. Einfach zurücktreten und sich von außen betrachten. Wo stehe ich? Was ist passiert? Was sind die Vorwürfe? Wo und wer sind die anderen? Sind es Feinde, nur neutrale Beobachter oder Opportunisten, die überlegen wo sie aufspringen, was auch die klassische Rolle der Medien wäre. Und dann die eigene Position im Zusammenspiel mit allen Playern auf diesem Feld definieren und Maßnahmen entwickeln. Also diese Positionen so zu verschieben, dass ich am Ende meine Wunschposition inne habe.

Wie findet man die richtige PR-Strategie?

Digital kompakt: Desicion heißt, ich treffe eine Entscheidung wie ich mich, basierend auf dieser Verortung, verhalten sollte. Action heißt, ich prozessiere das dann. Das ist ja erst mal relativ oberflächlich. Woher findest du denn den Faden, an dem zu ziehen musst?

Marcus Johst: Down-to-earth bringt man dieses Prinzip sehr einfach, indem man diese Player und ihre Motive ganz klar im Rahmen einer Strategiematrix definiert und in eine Tabelle einträgt. Über Tabellen freuen sich sehr viele Betriebswirte. Und das hat auch einen wichtigen Gamification-Effekt. Die Lust, ein Problem zu lösen, wirkt sehr beruhigend auf Menschen, die am Rande der Panik stehen. Es schafft Struktur und erzeugt das Gefühl, dass es eine Lösung gibt. Eine Kommunikationskrise ist keine Umweltkatastrophe. Das ist von Menschen gemacht und wenn Menschen etwas tun, dann lässt es sich relativ schnell durchschauen und Gegenmaßnahmen ergreifen. Das ist dann der OODA-Loop.

Digital kompakt: Wie viel Psychologie ist eigentlich in deinem Beruf drin? Da sitzen Leute, deren Lebenswerk zusammenbricht, die du wahrscheinlich emotional erst mal aufbauen musst?

Marcus Johst: Sicher sehr viel, ich bin allerdings kein ausgebildeter Psychologe. Da findet viel mehr in meinem Bauch als im Hirn statt, gespeist aus sehr viel Erfahrung.

Public Relations als Angriffsstrategie

Digital kompakt: Also wir hatten das Erzeugen und die Abwehr von PR. Dann kann ich auch in die Offensive gehen und PR als Mittel nutzen, um meine Wettbewerber anzugreifen. Machst du so etwas auch und wenn ja, wie gehst du da vor?

Marcus Johst: Auch hier gilt folgende Empfehlung: Guten Journalismus machen. Einfach mal recherchieren was es alles gibt. Von Seiten meiner Auftraggeber ist das gar nicht oft notwendig, denn im Laufe der Jahre hat sich einiges Wissen über Wettbewerbe angesammelt. Viele Unternehmer wissen nicht auf welchen informellen Schätzen sie sitzen, weil ihnen nie einer erklärt hat, was davon spannend für die Öffentlichkeit sein könnte. Da hilft Instinkt und Erfahrung im Journalismus. Können wir diese Fakten belegen? Sind die Indizien gut? Kann man da ein schönes Dossier zusammenstellen und das weiterreichen?

Digital kompakt: Viele Leute schicken einem Sachen, die sie selbst betreffen, aber machen sich keine Gedanken, was das Gegenüber interessant findet. Wann ist etwas ein Schatz und wann ist eine Information interessant, um journalistisch verwendet zu werden?

Marcus Johst: Es geht im Prinzip immer um den Unterhaltungswert, das ist die simple Formel. Ist das spannend für jemanden, der maximal desinteressiert ist und wie kann ich das große Publikum entertainen?

Digital kompakt: Was heißt denn Unterhaltungsfaktor? Geht es hier um das alte Bildmotto: TTT – Titten, Tiere, Temperamente? Und wie setzt du das dann ein?

Marcus Johst: Ja. Wir haben es natürlich oft mit oberflächlich betrachtet relativ faden Inhalten zu tun. Man muss mit dem Röntgenblick schauen was sich hinter den Fakten verbirgt und lockere Gespräche über Anekdoten über die Konkurrenz mit dem Auftraggeber führen. Und auf einmal steht man vor einem Schatz, von dem keiner wusste, wie wertvoll er eigentlich ist.

Dann überlege ich mir, in welchem Medium bzw. Vertriebskanal der maximale erwünschte Impact herbeigeführt werden kann. Wenn man so etwas hat und das Ganze auch noch abgesichert ist, dann kann man ja fast ein Bieterverfahren damit machen. Also im Grunde genommen suche ich mir das Medium aus, bei dem ich den höchsten Gegenwert, die größte Reichweite oder die stärkste Schlagzeile bekomme und überlege, welche Zielgruppe ich überhaupt erreichen will.

Digital kompakt: Wenn man als Zauberkünstler manipuliert, dann ist es am effektivsten, wenn Leute sich die Illusion selbst zusammenbauen. Dass sie denken, sie seien selbst auf die Idee gekommen oder hätten selbst etwas entdeckt. Arbeitest du viel damit?

Marcus Johst: Man arbeitet auch gerne mit Klischees. Die Verknüpfung von Überraschung und Klischee ist maximal effektiv. Die Überraschung alleine ist oft zu verwirrend. Das Vertraute steuert erst den Klebstoff herbei, weil man doch genau das liest, was einen in seinem ganzen Weltbild bestätigt.

Digital kompakt: Wie kann ich einen Journalisten triggern, um einer Nachricht auf die Spur zu kommen, die ich initiiert habe und bei dem er aber das Gefühl hat, er hätte es selbst herausgefunden?

Marcus Johst: Das halte ich für zu kompliziert. Ich würde ganz ehrlich und offen sein. Sagen, dass ich hier etwas habe, das stimmt. Wenn man selber ein Problem hat, um dieses Angebot persönlich zu machen, dann sucht man sich jemanden, der es für einen macht.

Digital kompakt: Wie viel deiner Arbeit spielt sich in Gerichtssälen ab oder hat mit Anwälten zu tun?

Marcus Johst: Ein sehr hoher Anteil. Meine Kunden müssen sich oft wehren und ich muss mich manchmal wehren. Manchmal ist es auch sinnvoll, ein Gerichtsverfahren zu initiieren, um einfach noch mehr PR zu erzeugen. Und wenn es für den Gegner ein Problem ist, dann ist es ein willkommenes Problem.

Digital kompakt: Ist es bei PR-Themen und wenn es dann sogar bis ins Juristische geht, dass man selbst was abbekommt?

Marcus Johst: Natürlich, alles andere wäre Schönfärberei. Deswegen ist es wichtig ganz am Anfang die Chancen und Risiken abzuwägen und diese zu kommunizieren.

Wie viel Zeit und Geld kostet PR?

Digital kompakt: Wenn ich PR erzeuge, wenn ich sie abwehre und wenn ich sie als Waffe einsetze, was muss ich da an Zeit rechnen und was für Kosten schlagen für mich auf?

Marcus Johst: Das Teuerste ist eigentlich das, was erst mal nichts kostet – abwarten. Die Rechnung, die du für das Abwarten danach bezahlen musst, die ist gigantisch. Je schneller und je früher man handelt desto günstiger ist es und desto größer sind die Chancen auf den gewünschten Effekt. Eine Krise einzufangen, bevor sie überhaupt zur Krise wird, ist verschieden, aber man ist sicher in einem sehr niedrigen fünfstelligen Bereich dabei. Es gibt Situationen, die kriegt man mit einem Telefongespräch in den Griff und andere, die sich über Monate hinziehen. Die Reise startet mit einem Blindflug.

Digital kompakt: Die klassischen PR-Agenturen haben ja eher Standardpakete mit Pressemitteilungen. An wen kann ich mich wenden, wenn ich auch Drecksau-Charakter in Sachen PR haben will? Du wärst eine Person, aber was sind generell Kanäle? Sind das eher große Agenturen oder kleine Manufakturen?

Marcus Johst: Ich kenne die Player alle und bin teilweise auch mit ihnen befreundet. Ich möchte allerdings keine konkrete Empfehlung für eine Drecksau aussprechen, weil ich mir nicht sicher bin, ob die Betroffenen gerne so bezeichnet werden.

Die Einzelkämpfer sind auf jeden Fall interessanter als Dienstleister. Eine große Agentur muss immer ihre Marke schützen und im Zweifelsfall, wenn der Wind rauer wird, wird sie sich für das eigene Schiff entscheiden. Einzelkämpfer, die nur unter ihrem Namen operieren, haben nicht viel zu verlieren.

Digital kompakt: Du hast also nie Angst und traust dich in jedes Thema rein? Du hast auch einen guten Ruf, musst du trotzdem bei dir selbst auch PR machen? Und gibt es Aufträge, die du ablehnst?

Marcus Johst: Es gibt Gesprächspartner, bei denen erst mal großes Misstrauen herrscht und ich dieses Misstrauen manchmal auch nicht beseitigen kann. Erstaunlicherweise bin ich bisher noch nie in die Situation, einen Auftrag abzulehnen, gekommen und frage mich, wann das endlich mal passiert.

Digital kompakt: Ich danke dir ganz, ganz herzlich, dass du all das Wissen mit uns geteilt hast. Danke dir!

Noch ein Verantwortlichkeitshinweis: Wir geben euch hier gemeine und schmutzige Geheimnisse aus der Drecksau-Front. Ihr habt trotzdem gelernt: Nicht lügen, lieber überraschen und kreativ sein. Also macht etwas Gutes damit. In diesem Sinne „Over and Out“.

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