digital kompakt: Heute sind wir in kompetenter juristischer Begleitung. Hallo, stell dich doch mal kurz vor.
Daniel Halmer: Hallo, ich bin Daniel Halmer, ich bin General Counsel bei Weltsparen bzw. der Raisin GmbH in Berlin.
digital kompakt: Ehe wir klären, was denn eigentlich ein General Counsel genau macht, steigen wir mal ganz simpel ein. Ab wann braucht man eigentlich als Unternehmen juristischen Rat?
Daniel Halmer: Die Frage ist, wann ist es überhaupt ein Unternehmen, das heißt es gibt ja auch die Vorgründungsphase, wo sich die Gründer erst einmal zusammenraufen und ein Geschäftsmodell entwickeln. Auch hier, also bei der Entwicklung des Geschäftsmodells, kann es sinnvoll sein, bereits juristischen Rat hinzu zu ziehen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich zum Beispiel um regulierte Industrien handelt wie Fintech, InsurTech u.ä. – hier macht es häufig Sinn, das Geschäftsmodell in Begleitung von Anwälten aufzusetzen oder zumindest evaluieren zu lassen. Das haben wir damals auch bei Weltsparen gemacht. Wenn ich jetzt aber nur eine E-Commerce-Plattform aufbaue und Schuhe verkaufe, dann ist es unter Umständen nicht zwingend erforderlich.
digital kompakt: Etwas derartiges ist nur oft sehr teuer. In solch einem Fall fließt der Cashflow ja unmittelbar in Legal-Faktoren. Für manch jungen Unternehmer stellt dies ein Problem dar und es ist auch eine Mindset-Frage, dass diese sagen „Ich bin jetzt bereit, ein paar hundert oder tausend Euro in solch eine juristische Beratung, in einen juristischen Check-up von meinem Geschäftsmodell zu investieren“. Aber du würdest das trotzdem empfehlen?
Daniel Halmer: Ich würde dies auf jeden Fall empfehlen. Denn häufig ist es, wenn man schon mal losgelaufen ist, zu spät, das Geschäftsmodell nochmal zu adjustieren. Es ist möglich, aber kostet im Zweifel mehr als vorab den Rechtsrat einzukaufen. Dazu vielleicht ein Hinweis: Es gibt durchaus mittlerweile viele Anwälte, auch Kanzleien, die sich auf die Startup-Welt eingestellt haben und auch im Vergütungsmodell Rücksicht darauf nehmen, dass jemand Pre-Funding noch kein Cash zahlen kann, die beispielsweise dann Deals machen, bei denen normaler Stundensatz abgerechnet wird, der aber erst in Rechnung gestellt wird, wenn die Runde geklappt hat.
digital kompakt: Was ist mit den grundlegenden juristischen Dokumenten zur Gründung: Würdest du für die Gründung und alles was dort mit dran hängt, auch bereits auf professionelle Juristen setzen? Du denkst ja auch ein wenig Cash-sensitiv, vielleicht hast du noch den ein oder anderen Tipp für Gründer, was man da sonst noch machen könnte.
Daniel Halmer: Der erste Schritt einer Gründung ist das Aufsetzen einer UG oder GmbH. Eine UG ist total simpel, da braucht man sicherlich keinen Anwalt für, sondern man geht zum Notar und sagt was man möchte. Aber auch wenn man mit der GmbH als etwas seriöser erscheinende Rechtsform an den Markt gehen will, die noch eine stärkere Glaubwürdigkeit genießt, kann man ein Beratungsgespräch mit dem Notar vereinbaren und in der Regel sind Notare nicht nur gesetzlich verpflichtet, sondern auch bereit, eine Satzung aufzusetzen und diese auch nach spezifischen Wünschen zu gestalten. Man muss also nicht Boilerplate-Dokumente übernehmen, sondern der Notar passt sie für einen an.
Dies wissen viele nicht, aber das Beratungsgespräch ist bei der Vergütung des Notars immer mit dabei. Es sei denn, es sind ganz spezielle Satzungen zu entwerfen. Für die Satzung selbst lässt sich aber direkt mit dem Notar interagieren. Wenn es dann darüber hinausgeht in Richtung Shareholder’s Agreement inklusive ESOP-Programm – also ein Mitarbeiterbeteiligungsprogramm – da empfiehlt es sich meines Erachtens schon, mit externen Anwälten zu arbeiten, weil es doch recht komplex wird und Notare möglicherweise nicht durch die Bank die notwendige Drafting-Expertise haben.
digital kompakt: Dann heißt dies eigentlich: Wenn ich ein relativ simples Gründungsvorhaben vornehme, also erst einmal nur eine Firma aufsetze und Anteile verteile, dann kann ich dies beim Notar umsetzen, dafür bräuchte es keinen Anwalt, der ab 200 Euro die Stunde kostet. Wenn es derweil etwas fortgeschrittener wird, also mit Faktoren wie Mitarbeiterbeteiligungen u.ä., dann wäre dies schon sinnvoll?
Daniel Halmer: Das kann man aber auch nachziehen. Ich habe ja nicht bereits am Tag 1 schon zehn Mitarbeiter, denen ich Anteile übertragen muss, sondern ich kann dies dann später aufsetzen.
digital kompakt: Also bei manchen Aspekten fällt das Kind aus juristischer Sicht in den Brunnen und diese können hinterher nicht mehr angepasst werden, während sich andere Aspekte nachrüsten lassen. Die Frage ist also, ab wann man juristischen Rat im operativen Geschäft wirklich dringend einholen sollte und wann sich Aspekte nachrüsten lassen. Wann sollte man denn externe Hilfe für das eigene Geschäftsmodell einholen und wann bietet es sich sogar an, etwas entsprechendes sogar intern aufzubauen?
Daniel Halmer: Diese Frage hängt extrem davon ab, in welcher Industrie ich unterwegs bin. Regulierte Industrien sollten unbedingt relativ früh einen In-house Legal Counsel reinholen. Je weniger Exposure man zu regulatorischen oder rechtlichen Themen hat, desto später kann man etwas Derartiges umsetzen. Und je stärker man international ausgerichtet ist, desto früher kann es sinnvoll sein, sich da In-house Expertise in den jeweiligen Ländern aufzubauen. Häufig unterschätzt wird der Value Add, den auch ein In-house Jurist leisten kann, obwohl man gleichzeitig noch mit externen Anwälten zusammenarbeitet.
Das ist zum einen das Thema Kostenkontrolle. Wenn ein erfahrener In-house Jurist, der vielleicht in einer Wirtschaftskanzlei gearbeitet hat, In-house kontrollieren kann, wie externe Anwälte arbeiten, was diese für welche Dienstleistungen abrechnen und was so üblich ist, kann dies enorm helfen, die eigene Kostenkontrolle in den Griff zu bekommen. Zum anderen aber auch das Thema Übersetzung des externen Rechtsrats in interne Implikationen.
Mal ein Beispiel: Ein Hinweis in einem Rechtsgutachten, das ich von einem externen Anwalt bekomme, lautet: „Ein Dokument bedarf der Schriftform“. Schriftform bedarf nach deutschem Gesetz der Originalunterschrift, beispielsweise des Kunden. Das kann massive Implikationen für die Operations eines Unternehmens haben, wenn man beispielsweise allen Kunden im B2C-Bereich plötzlich schriftlich unterschriebene Dokumente zustellen muss – inklusive logistischem Aufwand, internem Operations-Aufwand usw. Das ist nur ein schlaglichtartiges Beispiel dafür, dass etwas, das juristisch relativ simpel ist und das die externen Anwälte in ihrer Konsequenz vielleicht nicht einschätzen können, durch einen internen Anwalt sozusagen als richtig großes Thema geflagt werden kann, obwohl juristisch dort nicht die Musik spielt.
digital kompakt: Damit sich Fachbegriffe wie Legal Counsel oder General Counsel leichter verstehen lassen: Was ist typischerweise die Struktur, um anwaltliche Expertise innerhalb eines Unternehmens aufzubauen?
Daniel Halmer: Die typische Struktur hierfür ist schwer zu beschreiben. Die Strukturen unterscheiden sich wirklich massiv. Was man häufig sieht, ist die Funktion des General Counsel, die aus dem US-Raum kommt. Der General Counsel ist im Grunde nicht nur der Leiter der Rechtsabteilung, der sich um alle juristischen Themen kümmert und sozusagen einen internen Dienstleister für juristische Themen darstellt, sondern geht ein wenig darüber hinaus. Dies ist jemand, der ein intellektueller Sparringspartner für das Top-Management ist und quasi die Stimme der Vernunft in unruhigen Zeiten darstellt und einen ruhigen Kopf bewahrt. Ein Kollege hat dies neulich einmal so bezeichnet, er sei nicht nur General Counsel, sondern Head of Common Sense. Das fand ich irgendwie ganz treffend, da dies ein wenig die Rolle des General Counsel zeigt.
Typischerweise gibt es „darunter“ die Legal Counsels. Das kann man aufteilen in Departments, wenn man schon eine größere Rechtsabteilung hat. Bei Weltsparen haben wir im Grunde eine Abteilung Europe, die beschäftigt sich mit dem nicht-deutschen und -österreichischen Geschäft und eine Abteilung Deutschland und Österreich.
digital kompakt: Kannst du einmal das Verhältnis aufzeigen, damit sich ein Gefühl für die Größe einer Rechtsabteilung gewinnen lässt: wie viele Mitarbeiter hat Weltsparen insgesamt und wie viele davon sind legal-orientiert?
Daniel Halmer: Wir haben bei Weltsparen ca.70 Mitarbeiter, Kundenservice ausgeschlossen, und davon vier bis fünf in der Rechtsabteilung. Das ist eine relativ gut aufgestellte Rechtsabteilung. Wie gesagt, es handelt sich hier um ein Fintech-Unternehmen und hat dadurch eine relativ starke regulatorische Exposure. Ich kenne auch Unternehmen, die im E-Commerce-Bereich tätig sind und bereits kurz vor einem Börsengang stehen und noch mit einem mittelerfahrenen Juristen unterwegs sind. Das funktioniert möglicherweise auch. Man muss nur aufpassen, dass man nicht zu viel „Legal Legac““ aufbaut, die man dann später teuer, ggf. auch mit externen Anwälten, löschen muss. Und sozusagen ein bisschen up-to-speed bleibt, was die rechtliche Entwicklung des Unternehmens angeht, quasi Schritt hält, auch mit der kommerziellen Entwicklung.
digital kompakt: Nun hat man den General Counsel, den du als Head of Common Sense bezeichnet hast, und „darunter“ unter Umständen entsprechende Department-Spezialisten. Wie ist das generell, wenn ich eine interne Rechtsabteilung aufbaue: hat diese eher zum Ziel, möglichst präzise und möglichst tief in der Materie zu sein oder empfiehlt es sich vielmehr auf Generalisten zu setzen und die eigentliche Tiefenarbeit an externe Kanzleien auszulagern?
Daniel Halmer: Letzteres ist wahrscheinlich die richtige Herangehensweise. Ein Beispiel: Wir sind europaweit tätig und betreiben in vielen europäischen Ländern Geschäft. Wir sind natürlich keine Experten in dem dortigen Recht, wie spanisches oder französisches Recht, und ziehen in diesen Fällen, wenn spezifische Fragen auftauchen, auch externe Anwälte heran. Allerdings sind wir schon so weit im Thema, dass wir einen Großteil der Fragen alleine beantworten können um schnell zu Entscheidungen zu kommen. Es kommt eher selten vor, dass wir wirklich umfangreiche Gutachten einholen. Oft sieht es so aus, dass wir bei externen Anwälten anrufen und uns eine Quick-Info einholen, wie deren Erfahrung zum Thema XY ist. Der gute Anwalt ist dann in der Lage, aus dem Ärmel heraus eine Antwort zu liefern, die uns ausreicht um eine Entscheidung zu treffen. Ich glaube viele Startups brauchen nicht immer dicke Bretter in Form von Legal Memos.
digital kompakt: Welchen akademischen Background hat ein typischer Legal oder General Counsel? Handelt es sich hierbei um Volljuristen oder können dies auch Leute sein, die vielleicht gar keinen juristischen Abschluss im Sinne des zweiten Staatsexamens haben.
Daniel Halmer: Es muss nicht zwingend ein deutscher Jurist sein, wenn es sich um ein Unternehmen handelt, das Exposure in andere Jurisdiktionen [dt.: Gerichtsstand, rechtliche Zuständigkeit] unterhält. Grundsätzlich glaube ich schon, dass ein General Counsel typischerweise die volle juristische Ausbildung in seiner Jurisdiktion erfolgreich abgeschlossen hat. Neben dem General Counsel gibt es häufig noch die Funktion des Chief Compliance Officers, eine je nach dem Zuschnitt des Unternehmens relevante Funktion.
Der Chief Compliance Officer ist möglicherweise unterhalb des General Counsel angesiedelt, obwohl aus Compliance-Gründen heraus empfohlen wird, diesen neben den General Counsel zu stellen, um die Unabhängigkeit dieser Funktion zu stärken. Der Chief Compliance Officer ist typischerweise kein Jurist, sondern kann auch ein BWLer oder eine Operations-Person sein, da er sehr tief in die Prozesse eines Unternehmens hinein schauen muss.
digital kompakt: Wie und wo finde ich denn solche Personen?
Daniel Halmer: Wenn wir jemanden suchen, gehen wir zunächst über unser Family & Friends Netzwerk. Kanzleien, mit denen man bereits zusammen arbeitet, haben vielleicht einen Associate, der auf dem Absprung ist und neue Herausforderungen als In-house Counsel sucht. Was man natürlich auch machen kann, aber relativ teuer ist, ist der Weg über Legal Recruiter. Diese sind aber eher tätig, um auf Kanzlei-Ebene neue Teams zu besetzen. Unsere Erfahrungen mit den bisherigen Recruitments, die wir gemacht haben, waren aus unserem Friends & Family Netzwerk.
digital kompakt: Gib uns mal ein Gefühl für die Kosten, die bei Einholung von externem juristischen Rat entstehen. Wie ist der Kostenposten bei eher klassischen Modellen, und was kostet mich eine interne Rechtsabteilung?
Daniel Halmer: Das ist schwer zu sagen. Die Anwaltskanzleien rechnen meist Stundensätze ab, die rangieren zwischen 200 und 600 Euro, je nachdem bei welcher Kanzlei und bei welchem Anwalt man landet. Und dann sind die Gesamtkosten sehr stark davon abhängig, wie eng man mit dem externen Anwalt arbeitet, wie man ihn auf die Fragestellung, die mich interessiert, einstellen kann, wie stark der laufende Beratungsbedarf ist oder aber ob man mal ein spezielles Thema aufbauen will.
Zum Beispiel lässt man ein Gutachten fertigen, dass dann vielleicht 30.000 bis 40.000 Euro kostet und danach ist damit die Frage beantwortet. Sprechen wir von den internen Kosten einer internen Rechtsabteilung so sieht man, dass bereits bei Berufseinsteigern nichts unter 100.000 Euro Jahresgehalt geht. Und das muss natürlich ein Start-up gerade in der frühen Phase abfangen und auch Equity-Packages anbieten, um da ein gutes wettbewerbsfähiges Gesamtpaket zu offerieren.
digital kompakt: Dann kann es gut funktionieren, wenn man anstelle von 120.000 Euro „nur“ 80.000 Euro bietet und oben drauf ein attraktives Equity-Paket legt, bei dem man unmittelbar am Erfolg der Firma beteiligt ist und somit ein intrinsisches Interesse hat, das Unternehmen zu formieren?
Daniel Halmer: …und natürlich auch noch einen anderen Lifestyle bietet. Es ist ja bekannt, dass man in Kanzleien auch lange Arbeitszeiten hat. In vielen Startups ist dies zwar auch so, aber vielleicht nicht ganz so viel wie in der Großkanzlei.
digital kompakt: Woran erkenne ich als Unternehmer denn einen guten General oder Legal Counsel? Woher weiß ich, dass er seinen Job beherrscht und in einem 100 Seiten langen Vertrag ein Wort findet, das für mich einen riesigen Impact bedeutet?
Daniel Halmer: Das ist eine ungemein wichtige Frage und hängt damit zusammen, dass aus meiner Wahrnehmung heraus die Arbeit von In-house-Juristen bzw. der Value Ad, den sie liefern, häufig unterschätzt wird. Man hat im Grunde nur Downside, d.h. wenn alles glatt geht und Legal nicht groß auffällt, dann macht er offenbar eine gute Arbeit, denn dann scheint alles gut zu laufen. Im Idealfall kann man aber, und das ist beispielsweise in regulierten Industrien der Fall, mit juristischer Kreativität auch Geschäftsopportunitäten erschließen, indem man juristische Rahmenbedingungen so miteinander kombinieret, dass sich daraus beispielsweise Erleichterungen aus Kundensicht ergeben. Man ist also nicht nur der Spielverderber und muss gewisse Dinge bremsen, sondern ganz im Gegenteil: ein guter General Counsel zeichnet sich dadurch aus, dass er proaktiv Konzepte entwickelt, die das Leben vereinfachen oder neue Geschäftsopportunitäten aufdecken.
digital kompakt: Wie benchmarkst du so jemanden? Wie kann ich an der Vita ablesen, ob er sein Handwerk beherrscht. Worauf würdest du achten?
Daniel Halmer: In Deutschland ist leider Gottes immer noch der Blick auf die Noten in den beiden Staatsexamen sehr weit verbreitet. Ich versuche mich persönlich davon freizumachen. Ich glaube, dass Noten nicht sehr aussagekräftig sind. Nichtsdestotrotz sind sie eine gewisse Indikation, welches Qualitätslevel der Bewerber hat. In unserem Recruitment-Prozess machen wir einen Drafting Excercise, das ist eine kleine Hausaufgabe, die der Bewerber uns schicken muss, und aus der wir relativ klar sehen können, wie kommerziell der Bewerber denkt, wie sehr er Optimierungsgedanken beim Drafting einbringt, wie sauber er draftet und ob er das Handwerkszeug, das man eigentlich erwarten würde, beherrscht.
Im persönlichen Gespräch erkennt man dann relativ schnell, welch Geistes Kind jemand ist. Und dann hängt es natürlich davon ab, welche Rolle zu besetzen ist. Wir hatten bei Weltsparen beispielsweise das Thema „Europe“. Da ist es natürlich hilfreich, wenn jemand eine Doppelqualifikation hat. Wir haben eine Anwältin, die ist deutsche und französische Anwältin, spricht fließend Französisch, Deutsch und Englisch. Solche Dinge sind dann sehr hilfreich, weil gerade für ein internationales Geschäftsmodell Sprachenkenntnisse total relevant sind.
digital kompakt: Man sagt ja „Recht haben und Recht bekommen sind zwei unterschiedliche Dinge“. Würde ein General Counsel eigentlich auch für ein Unternehmen prozessieren?
Daniel Halmer: Vor dem Amtsgericht darf er prozessieren, vor dem Landgericht aufgrund des Vorbefassungsverbots nicht. Wir bei Weltsparen haben eine weiße Weste was Prozesse angeht. Wir haben Prozesse gewonnen und wurden nie verklagt. Aber prinzipiell bräuchte man in dem Moment einen externen Anwalt. Allerdings würde ich es in diesem Fall so machen, dass ich die Klage oder Klageerwiderung selber in-house vorbereite und den Anwalt als Prozessanwalt hinzuziehen würde, der dann zum Gerichtstermin erscheint.
Dies kommt vielleicht bei E-Commerce-Themen vor, wo man viele Verbraucherschutzklagen und ähnliches hat, aber prinzipiell ist es glaube ich eher eine Randerscheinung, dass man Gerichtsprozesse führt. Man hat vielleicht hier und da Abmahnverfahren, wo man feststellt, dass der Wettbewerber einem in die Quere kommt mit UWG-rechtswidrigen Vorhaben [Anm.: UWG=Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb], beispielsweise jemand nimmt sich mein Produkt und macht für sich damit Werbung.
digital kompakt: Also Schriftverkehr ist durchaus etwas, das ein General Counsel führt. Welche Themengebiete werden generell von einem General oder Legal Counsel bearbeitet bzw. was würdest du sagen, welche Themen sind dort besonders gut aufgehoben? Ich wäre geneigt, wenn ich jemanden einstelle, der mich 100.000 Euro und mehr kostet, ihn wirklich auf die brandheißen Themen zu setzen und nicht einfachste juristische Aufgaben umsetzen zu lassen.
Daniel Halmer: Grundsätzlich sollte ein General Counsel oder die interne Rechtsabteilung alle rechtlichen Themen auf dem Radar haben und diese, soweit sie Standardbusiness sind wie z.B. Standardarbeitsverträge oder Standard-IP-Themen [IP = Intellectual Property], outsourcen an die Fachabteilungen, stets mit der klaren Anweisung, dass, wenn irgendwas Besonderes vorliegt, dies beim General Counsel oder der Rechtsabteilung anzusprechen, damit diese nochmal mit der juristischen Brille darauf schauen können. Eine Frage, die man aus Gründersicht so oder so entscheiden kann, ist, ob man das Corporate Housekeeping, die Investorenbetreuung und die Finanzierungsrunden im In-house Legal-Team betreut haben möchte oder ob man das vielleicht aus Vertraulichkeitsgründen komplett externalisiert.
digital kompakt: Aber wenn du deinem eigenen In-house Anwalt bei einer Finanzierungsrunde nicht vertraust, wäre das doch schon merkwürdig…
Daniel Halmer: Das stimmt, das sehe ich genauso. Aber vielleicht ist auch die Erwägung, dass dieser sich lieber um das Business kümmern soll. Es gibt professionelle Anwälte, die machen eine Finanzierungsrunde nach der anderen und haben vielleicht schon die erste und die zweite Runde gemacht. Da macht es Sinn, dass sie auch die dritte Runde machen und ich muss nicht extra meinen In-house Counsel involvieren, wenn er dies davor auch nicht war.
digital kompakt: Was ist denn jenseits von „pure Legal“ noch so ein Anwendungsgebiet von einem General Counsel? Gehört Lobbyismus dazu?
Daniel Halmer: Ja, das gehört definitiv dazu, ist aber wiederum auch stark abhängig davon, in welcher Industrie man tätig ist. Weltsparen ist ein Fintech und somit sind auch wir sehr stark in diesen Themen beschäftigt. Aktuelles Thema ist die Umsetzung der vierten Geldwäsche-Richtlinie, die für fast alle Fintechs von hoher Bedeutung ist. Da versuchen wir durch Stellungnahmen über den Deutschen Bankenverband, über den Bitkom, über unseren eigenen Verband „Fintechs for Europe“ und sonstige Verbände sowohl auf nationaler Ebene beim deutschen Gesetzgeber als auch in Brüssel bei der Europäischen Kommission Erfahrungen und Themen aus der Praxis, die vor allem jungen Unternehmen das Leben schwer machen, zu flagen und abzubilden.
digital kompakt: Was gibt es sonst noch für Themen, die ein General Counsel verantwortet?
Daniel Halmer: Es ist in der Tat so, dass der General Counsel typischerweise nicht in die kommerziellen Details involviert, sondern derjenige ist, der zwar am Rand steht, aber in allen wichtigen Besprechungen mit dabei sein sollte. Er ist sozusagen die ruhige Stimme, die Stimme der Vernunft, die im entscheidenden Moment die Diskussionen wieder auf den richtigen Weg bringt. Es ist eine wichtige Rolle, die man einnehmen kann, wenn es das Management zulässt. Ich würde dazu definitiv raten, denn es passiert wirklich häufig, dass man sich im Eifer des Gefechts in Themen verrennt, die an sich keine Rolle spielen.
digital kompakt: Gib uns mal einen kleinen Einblick in das Daily Doing eines General Counsels. Wenn ich als General Counsel eine Art Fluglotse des Unternehmens bin und immer auf dem Radar haben muss, welche Flieger landen und dass diese nicht kollidieren, wie ist dann mein Vorgehen, Baustellen zu finden und an Informationen zu kommen?
Daniel Halmer: Mein Konzept war und ist so, dass ich versuche, in allen relevanten Bereichen des Unternehmens Vertrauen aufzubauen und zu pflegen, sodass ich in den entscheidenden Meetings und bei den entscheidenden Weichenstellungen immer mit am Tisch sitze, um frühzeitig erkennen zu können, wo sich juristisch relevante Themen anbahnen könnten. Das heißt, ein Tag sieht in der Regel so aus, dass ich wirklich viel in Meetings bin, also fast ausschließlich in Meetings oder Telefonaten und versuche, die Themen zu identifizieren, wo sich unter Umständen etwas daraus entwickeln könnte.
digital kompakt: Das heißt, du liest gar nicht regelmäßig Gesetzestexte oder hast Juristenzeitungen abonniert und hängst die ganze Zeit mit dem Kopf in Unterlagen?
Daniel Halmer: Wir lesen natürlich auch und sind sehr sehr stark in den Details drin. Aber für den typischen Arbeitstag wäre das dann eher Freitagabend von 17 bis 20 Uhr, wo ich mal in die Gesetzbücher gucke oder mich aufschlaue zu bestimmten Themen. Aber der Tagesablauf besteht tatsächlich aus viel Koordinierung und viel Grandfathering von Themen, die vielleicht juristisch relevant sind.
digital kompakt: Gib uns doch mal ein Gefühl, wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen der internen Rechtsabteilung und externen Anwälten. Was macht eigentlich der externe Anwalt und was macht der interne?
Daniel Halmer: Wir bei Weltsparen machen es so, dass wir externe Anwälte vor allem im Ausland hinzuziehen, wo uns die rechtliche Expertise fehlt und versuchen dort, die Fragestellungen so spezifisch wie möglich zu verfassen, um den Schmerzpunkt oder die rechtliche Frage, die wir haben, gezielt zu lösen. Das fängt in der Regel damit an, dass wir ein kurzes Telefonat aufsetzen, die Frage besprechen und dann noch einmal per E-Mail ganz präzise herausarbeiten, was genau die Frage ist, auf die wir eine Antwort verlangen, in welcher Form wir diese Antwort brauchen und auch den Zeitrahmen innerhalb dessen wir die Antwort erwarten.
Was wir mal bei Weltsparen versucht haben zu beginnen, war der Ansatz, da wir aus Deutschland heraus im Grunde in allen europäischen Ländern tätig sind, mit einem deutschen Anwalt zusammen zu arbeiten, der in einer Kanzlei tätig ist, die europaweit Offices unterhält; sozusagen als Relationship Manager, der die Fäden zusammenhält und die einzelnen Legal Local Counsel koordiniert. Von diesem Ansatz sind wir wieder ein bisschen abgekommen. Momentan ist es so, dass wir die Steuerung sämtlicher externer Anwälte übernehmen, aktuell sind das etwa zehn an der Zahl, die wir aber nicht laufend beschäftigen, sondern die wir ad hoc einschalten, wenn wir ein spezifisches Problem haben.
Was dann eigentlich die Hauptaufgabe des Hausanwalts wäre, ist den Rat, den man von extern bekommt, in konkrete Schritte zu übersetzen, die es bedeutet in-house umzusetzen, etwa in Sachen Operations, Dokumente oder Arbeitsschritte Dinge neu zu definieren. Das ist meines Erachtens die Hauptaufgabe.
digital kompakt: Hast du eine Daumenregel oder kannst du abschätzen wie viel Geld man an Stunden bei externen Anwälten spart, wenn man einen internen Anwalt hat?
Daniel Halmer: Von Weltsparen habe ich hier keinen Benchmark. Von einer Kollegin, die in einem anderen Unternehmen General Counsel ist, habe ich folgende Zahlen gehört: die externen Legalkosten seien um den Faktor drei gesunken, seit sie mit einem In-house Legal-Team darauf schaut. Ob das Ceteris Paribus ist, also ob sich die Umweltbedingungen geändert haben in dieser Zeit, weiß ich nicht, aber das ist auf jeden Fall für mich eine ziemlich deutliche Aussage; mag aber auch mit den Spezifika dieses Unternehmens zu tun gehabt zu haben.
digital kompakt: Würdest du denn sagen, dass es unterm Strich günstiger ist, Legal intern abzubilden als nur auf externen Rat zu vertrauen, Klagen außen vor gelassen?
Daniel Halmer: Bei einem Startup ab einer gewissen Größe sind die internen Kosten auf jeden Fall günstiger. Man muss auch dazu sagen, dass der Legal Counsel ja nicht „nur“ rechtliche Fragen lösen kann, er ist ein Allrounder, der, wenn er im ersten halben Jahr seiner Tätigkeit im Startup nicht mit juristischen Themen ausgelastet ist, auch anderweitig vielseitig einsetzbar ist.
digital kompakt: Vielen Dank, Daniel, für das Gespräch und die Einblicke in die Rolle des General Counsels und der Rechtsabteilung.