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Joel Kaczmarek: Hallo und herzlich willkommen zu einem neuen Transform-Podcast von Digital Kompakt. Mein Name ist Joel Kaczmarek und heute geht es um das Führen mit Purpose, mit Sinnhaftigkeit. Du wirst aus dieser Folge mitnehmen, wie man quasi in einer Umwelt, in der Komplexität zunimmt und kaum einer sich noch richtig orientieren kann, mit Sinnstiftung führen kann, wie man eine Fehlerkultur einführt, welche Hierarchieimplikationen sich daraus ergeben und wie man eigentlich mit der Überforderung, die viele vielleicht heutzutage erleben, umgehen kann. So, und da habe ich einen ganz, ganz tollen Gast bei mir, den guten Magnus. Der wird sich jetzt gleich mal in Tiefe vorstellen. Wir werden gleich auch mal ein bisschen in deine Historie eintauchen. Zwei, drei Sachen werde ich dir abbringen. Hallo Magnus. Hallo Schmall.
Magnus Lambsdorff: Schön, dass wir Zeit haben zusammen.
Joel Kaczmarek: In der Tat. Erklär mal ganz kurz, was machst du in dem ganzen VIESSMANN-Kontext? Weil Transform ist ja so unser Podcast, wo wir immer eigentlich VIESSMANN-Mitarbeiter in ihren Rollen befragen zu ihren Transformationsprozessen. Du bist ja jetzt sozusagen nicht Vollzeit-Mitarbeiter, wenn ich das richtig verstanden habe, sondern sag vielleicht mal, was du tust und was so deine Rolle ist.
Magnus Lambsdorff: Also meine Rolle ist eigentlich die Begleitung von Maximilian und den Führungskräften bei der Veränderung der Firma insgesamt und insbesondere natürlich bei all dem, was mit Führungskräften und wie sie sich verhalten zu tun hat. Also Gewinnung von Neuem, Entwicklung von denen, die wir haben. Auch das Thema natürlich der Begleitung von Führungskräften, die schon sehr lange im Unternehmen sind, möglicherweise dann auch eben irgendwann ausscheiden und deren Nachfolger zu identifizieren und zu entwickeln. Also eigentlich alles, was nötig ist, um den Generationswechsel, der auch mit dem Kultur- und Führungswechsel einhergeht, zu begleiten.
Joel Kaczmarek: Und was qualifiziert dich dazu? Wo hast du sozusagen deine Spuren, die er verdient in dem Zuge?
Magnus Lambsdorff: Den Hauptteil meiner Zeit habe ich eigentlich verbracht in zwei verschiedenen Welten. Einmal 20 Jahre lang in der eher traditionell konservativen Welt bei einer Firma, die heißt Egon Zehner, große weltweite Personalberatung, wo wir halt große und auch ein Zudem kleinere, aber hauptsächlich große Unternehmen dabei unterstützt haben, ihre Führungsorganisationen zu verbessern. Hauptsächlich dadurch, dass man neue Führungskräfte hinzuholt, aber auch die vorhandenen evaluiert, bewertet und entwickelt. Und den zweiten Teil, etwas kürzer, dann drei Jahre lang, war ich hier in Berlin bei Findieb, dem Company Builder. Viele Fintechs gegründet, entwickelt, Menschen dazugeholt. Auch eben aus der, ich sag mal, traditionelleren Welt, weil bei Fintechs müssen dann teilweise schon ein bisschen erfahrenere Führungskräfte auch einbezogen werden, weil es da um die BaFin-Regulierung geht. Und danach bei LakeStar, bei Klaus Hommels und ihm geholfen, in den Portfoliounternehmen eben Führungsorganisationen zu entwickeln und den CEOs zu helfen.
Joel Kaczmarek: Sag vielleicht auch mal ein bisschen ganz kurz was zu dir und deiner Familie, weil dein Name ist ja eigentlich bekannt, Lambsdorff, den haben wir jetzt im Intro gar nicht erwähnt, aber wer den Text hier zu diesem Podcast liest, findet ihn. Aus was für einer Familie stammst du eigentlich?
Magnus Lambsdorff: Also Lambsdorff kennt man ja hauptsächlich, und das ist wahrscheinlich noch mehr die ältere Generation, durch meinen Onkel Otto, der früher Wirtschaftsminister war, FDP-Vorsitzender und dann viele andere Aufgaben hatte, die er für unser Land wahrgenommen hat, der vor einigen Jahren schon gestorben ist. Der andere, der den Namen jetzt so ein bisschen in der Öffentlichkeit weiter in Aufmerksamkeit hält, ist Alexander, der früher im Europaparlament war und jetzt im Bundestag. Ist halt eine Familie, die ein paar Jahrhunderte Geschichte hat. lange Zeit im Osten war, dann vor 100 Jahren geflohen, alle wieder mit nichts hier angefangen. Also alles, was mit den Gefühlen und der Situation von Flüchtlingen heutzutage zu tun hat, können eigentlich wir alle sehr gut nachvollziehen, obwohl wir natürlich ein bisschen privilegierter hier angekommen sind, aber auch mittellos. Und so ist also gerade die Einblicke, die ich jetzt gewinne in eine sehr erfolgreiche Unternehmerfamilie, das sind so zwei verschiedene Welten, für mich auch immer wieder sehr interessant und bereichernd.
Joel Kaczmarek: Ich möchte dem geneigten Hörer natürlich nahe bringen, was eigentlich das Potpourri ist, was du in deiner Person vereinst. Ich finde das eine ganz spannende Mischung. Einerseits so Politikerfahren in der Familie, dann viel im Personalwesen. Und du hast ja Egon Zehn da jetzt sozusagen relativ fast tief gestapelt. Das ist ja wirklich so einer der besten Adressen. Also sehr viel mit Personalführungskultur und Gefühl für Menschen. Und dann trotzdem auch so diesen Startup-Anstrich. Das finde ich eine ganz spannende Mischung. Und da sind wir auch schon mittendrin in unserem Thema heute eigentlich. Also Purpose haben wir so als Überschrift uns gegeben. Womit fängt das für dich an? Also ich habe ja auch schon so ein Stück weit eingeleitet, die Welt ist irgendwie anders geworden als früher. Was ist da so die Bedeutung eigentlich von Purpose?
Magnus Lambsdorff: Ja, ich glaube, Purpose hilft heute Menschen, Orientierung zu geben und Orientierung zu bekommen. Je nachdem, ob man derjenige ist, der führt oder der geführt wird. Die Welt, wie wir ja alle wissen und wie überall geschrieben steht und unzählige Bücher geschrieben wurden, ist halt sehr unübersichtlich geworden. Diese berühmte Abkürzung VUCA steht, glaube ich, am besten dafür, was einfach für Unübersichtlichkeit, Volatilität, Unberechenbarkeit steht. Und Führungskräfte oder alle, die im Unternehmen oder in Organisationen heutzutage arbeiten, sind eben in schnelleren Rhythmen immer wieder neuen Realitäten, also einem neuen Kontext ausgesetzt. Und das heißt, langfristig geplantes Verhalten oder Vorhaben, die man formuliert und dann nur noch abarbeitet, waren früher sicher ein richtiges Rezept, aber helfen heute nicht wirklich weiter.
Joel Kaczmarek: Also ich durfte ja von dir schon lernen, dass dieses VUCA-Schema eigentlich aus dem Militärischen kommt. Man führt ja vor so einem Podcast doch mal das ein oder andere Gespräch, damit man weiß, worüber man redet. Finde ich ganz spannend, weil Militär ist ja auch immer ein Faktor, wo man schnell Entscheidungen treffen muss und wo man sozusagen die Mannen wirklich geschlossen bewegen muss und weiß, was man tut. Wie ist da sozusagen dieser Ursprung? Hast du vielleicht so Analogien, weil ich ja von dir auch gelernt habe, das geht teilweise bis auf Napoleon zurück. Also VUCA nochmal, Volatilität, Uncertainty, Complexity, Ambiguity, also eigentlich eine Umwelt quasi. Muss man sich ja vorstellen, ich stelle mir mal so eine Armee vor, die auf fremdem Terrain agiert und eigentlich nicht weiß, was sie trifft. Ja, genau. Ist das so ein bisschen das Bild, was dahinter steckt?
Magnus Lambsdorff: Naja, wenn man sich, deswegen habe ich vorhin Napoleon erwähnt, wenn man sich anschaut, was Napoleon an seinen Truppen damals mitgeben konnte, war eine Idee. Das war die Idee der Freiheit, der neuen Gestaltung von Gesellschaften und das haben sie mitgenommen und dann ja, wie wir alle wissen, halb Europa oder ganz Europa und fast auch Russland erobert. Das hat nicht dann ganz gereicht, weil der Winter dazwischen kam, aber das hat glaube ich nichts mit dem Purpose und dem Sinn zu tun, was er denen mitgegeben hat. Und der stand damals anderen Armeen gegenüber, die waren hauptsächlich zusammengesetzt aus zwangsweise rekrutierten oder sogar verkauften Söldnern, die eigentlich an gar nichts glaubten, außer dass sie dahin mussten und ein bisschen Geld bekamen, was sie dann zurück zu ihren Familien schicken konnten. steht eigentlich schon vor langer Zeit für genau das, womit wir heute zu tun haben. Und da gebe ich dir völlig recht, in militärischen Umfeldern, ich habe selber mal vor langer Zeit zwei Jahre auch bei der Bundeswehr verbracht und das gut kennengelernt, in militärischen Umfeldern lernst du halt, oder ist es notwendig, sich immer wieder sehr schnell auf neue Verhältnisse und Situationen einzustellen. Sonst, im äußersten Fall, überlebst du es nicht. Und zu ernst haben wir es natürlich im Wirtschaftsleben und in anderen Organisationen nicht. Aber diese militärische Analogie, die hilft schon ganz gut zu verstehen, worum es eigentlich hier geht. Und nebenbei gesagt, eigentlich alle Führungsgrundsätze haben ihre Wurzel in militärischer Führung, weil Armeen und andere solche Organisationen waren einfach die ersten großen komplexen Organisationen, bevor überhaupt Unternehmen dann vor ungefähr 130 Jahren entstanden und immer größer wurden. Also Frederic Laloux zum Beispiel, eines meiner Lieblingsbücher, was ich zuletzt gelesen habe, Reinventing Organizations, geht darauf sehr intensiv ein. Er schildert die ganze Anthropologie der Organisationen von Menschen. Vom Kreis um das Lagerfeuer herum bis hin zu extrem dezentralen, selbstgesteuerten Unternehmens- und Organisationsformen heute. Und dazwischen liegt eben als großer prägender Teil das Militär.
Joel Kaczmarek: Ich erinnere mich, ich habe vor kurzem, so ein, zwei Monaten Podcast gehört, hat einer auch seine Militärzeit beschrieben und hat gesagt, dass er sein Gewehr drei, vier Wochen lang immer dabei haben musste. Es ging nur so, das Gewehr tragen, auseinandernehmen, putzen, wieder zusammenbauen, auseinandernehmen, putzen, wieder zusammenbauen, Tag ein, Tag aus. Drei Wochen lang hat er nicht einmal mit diesem Ding geschossen und hat dann nach sechs Wochen irgendwann verstanden, dass es darum geht, dass man das als Verlängerung seines Armes empfindet und dass man eigentlich gar nicht so sehr darüber nachdenkt, was man tut. Also es soll sozusagen ins Muscle Memory, ins Gelernte angehen. Um jetzt die Brücke wieder zu schlagen zu dem, worüber wir reden, Wie viel ist so etwas denn heutzutage noch wert, wenn du jetzt gerade gesagt hast, so die Umweltkomplexität hat zugenommen und jetzt habe ich meinetwegen Führungskräfte, die schon ein bisschen älteres Semester sind, die haben sich auch quasi diese Muscle Memories, aber vielleicht eher auf kognitiver Ebene sozusagen antrainiert, über Jahre hinweg diese Erfahrung und stoßen jetzt auf neue Umweltkomplexitäten. Hat das dann eigentlich noch Wert? Ist so jemand jetzt trotzdem besser gestellt, als jemand, der jung rein startet oder eher sogar schlechter?
Magnus Lambsdorff: Das ist nicht für alle gleichermaßen zu beantworten, für alle Älteren. Ich glaube, da kommt es sehr stark auf die innere Befindlichkeit, heute würde man das Mindset nennen, an. Welche Selbstreflexion lässt man zu? Welche Selbstkritik bringt man auf? Wie stellt man sich selber in Frage? Das ist immer schon wichtig gewesen, aber für diejenigen, denen man heute viel Erfahrung zubilligt, also die Älteren, die Senioren, ist diese Flexibilität, sich auf neue Dinge einzustellen und das mit Selbstkritik umso wichtiger. Das heißt, heute stehen Ältere und Jüngere vor neuen Realitäten und neuen komplexen und sich schnell verändernden Umfeldern. Und eigentlich haben die Älteren nicht in allen Situationen mehr einen Vorteil vor den Jüngeren. Es gibt allerdings welche, die sich durch alle Situationen durchziehen können, wo doch diese, wie ich nenne es immer, Sedimentbildung, die man aufbaut mit jahrelanger Erfahrung, einem helfen kann. Zum Beispiel wenn es um die Einschätzung von Menschen geht. Wie bewerte ich einen anderen Menschen? Wie schätze ich ihn ein, dass er in mein Team passt, in meine Organisation passt, auf eine bestimmte Aufgabe passt? Wie komme ich da zu einem Urteil? Und meine Erfahrung zumindest zeigt mir und auch Beobachtung von älteren Führungskräften, dass es da nicht durchweg immer, aber doch sehr stark helfen kann, wenn man das schon oft gemacht hat und seine eigenen Fehler über die reflektiert und einsieht, wenn man sich auch mal getäuscht hat. Dasselbe zum Beispiel komplexe Verhandlungsführung. Das sind Dinge, die eigentlich in In jedem geschäftlichen oder auch in Non-Profit-Organisationen, wie auch immer, wenn man mit anderen Parteien zu tun hat, ist es eigentlich immer eine Art von Verhandlung. Sei es nun konkrete geschäftliche Verhandlungen oder einfach nur sich auf irgendeinen Weg zu einigen. Und diese Form der Erzielung von Ergebnissen, da gibt es eine ganze große Fakultät an der Harvard University, die haben so ein Buch geschrieben, Getting to Yes, das ist sehr lesenswert. Diese Erfahrung zu gemeinsamen Beschlüssen zu kommen, in Austausch zwischen verschiedenen Parteien, ich glaube auch das ist etwas, was man lernt und anwendet.
Joel Kaczmarek: Man merkt ja, wir surfen jetzt ein bisschen auf Metaphern rum, damit man so grob das Konzept versteht und spitzen das dann zu. Aber wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, ist es so, ich sag mal, die Alten, in Anführungsstrichen, das soll ja auch gar nicht despektierlich klingen im Sinne von, ne, also Altersdiskriminierung, haben vielleicht gelernt, Waffen auseinanderzusetzen in irgendeinem Kontext, aber die Waffe ändert sich jetzt eigentlich mittlerweile sehr, sehr schnell. Aber das Prozesswissen quasi, was man aufbaut, diese Sedimente des Lebens, so wie du die jetzt genannt hast, das sind quasi eigentlich die Instrumente, die ich nur in einen anderen Kontext bringen muss. und da kommt dann quasi der Mindset-Faktor rein.
Magnus Lambsdorff: Die Analogie der Waffe und des Mit-sicht-Tragens und des verlängerten Arms sozusagen. Ich weiß nicht, ob wir jetzt so lange im militärischen Bereich bleiben sollten.
Joel Kaczmarek: Bisschen martialisch.
Magnus Lambsdorff: Ich glaube, das, was denjenigen hilft, die das eben, wie du sagst, drei Wochen gemacht haben, ist es, diese Waffe zu, oder das Instrument, nehmen wir es mal, kann ja auch der Laptop sein, zu nutzen. Aber auf eine Herausforderung, die blitzschnell austauchen kann, irgendwo von rechts, links, oben, unten, darauf zu reagieren, das erfordert natürlich ganz andere Fähigkeiten, die Ältere genauso wie Jüngere haben können. Vorausgesetzt, die Älteren sind bereit, sich zu verabschieden von den Verhaltensmustern, die ihnen lange Zeit eingetrichtert wurden. Und das meine ich wieder mit Mindset. Diese Selbstreflexion ist, finde ich, eine der wesentlichsten Fähigkeiten, die man, wenn man andere Menschen einschätzt, sprich interviewt für Aufgaben, herausfinden sollte, ob derjenige dazu in der Lage ist. Übrigens gilt das genauso für junge Menschen. Es gibt so viele Menschen, die man zu den Jungen zählen würde, die überhaupt keine Selbstreflexion haben, weil sie irgendwie von ihrer Idee oder von ihrem Selbst so begeistert sind, dass sie dazu nicht in der Lage sind. Also es hat nichts mit Jung oder Alt zu tun.
Joel Kaczmarek: Dann ist doch aber die logische Konsequenz aus dem, was du sagst, dass eigentlich so das Erste, was ich wahrscheinlich einführen muss, wenn ich Purpose-orientiert führen möchte, irgendwas in Richtung Fehlerkultur ist. Weil was du gerade beschrieben hast, heißt ja eigentlich, das bisher Gelernte ist nur noch bedingt anwendbar. Also muss ich eigentlich aus dem Schneckenhaus rausgehen und bereit sein, Risiken einzugehen und Fehler zu machen in der Sekunde.
Magnus Lambsdorff: Absolut. Und auch da ist wieder der Mindset das wesentliche Fundament dafür, weil sich selber zuzugestehen, dass man jetzt etwas ausprobiert, obwohl man nicht weiß, ob es wirklich funktioniert, und dann auch, wenn es nicht funktioniert, das zugibt, kommuniziert, dass auch andere um einen herum davon lernen, ist ja eine wesentliche Eigenschaft, für die man wieder diese Fähigkeit der Selbstbeobachtung braucht. Dafür braucht man aber auch Mut. Gerade wenn man zur älteren Generation gehört, die jetzt mit völlig neuen Verhältnissen durch die Digitalisierung und all die folgenden Veränderungen in Organisationen und in Führungen und generell im Verhalten zu tun haben, Wenn man sich darauf einstellen will, dann muss man bereit sein, diese Risiken einzugehen, das erfordert Mut und Fehler am Ende auch zuzugeben. Und dieses Schlagwort von, wir führen jetzt eine Fehlerkultur ein, ich glaube, das fällt jungen Menschen genauso schwer wie alten. Das ist meiner Ansicht nach keine Frage der Seniorität oder der Erfahrung, es ist auch wieder eine Frage des Charakters und der Veranlagung. Und deswegen ist es umso wichtiger, dass man auch zwischen diesen Generationen einen ständigen Austausch fördert, damit die voneinander lernen und auch diese Bereitschaft, Fehler zuzugeben, voneinander lernen.
Joel Kaczmarek: Können wir da eigentlich mal in die Praxis eintauchen? Also du hast jetzt irgendwie einen Heizungsbauer, den du quasi von der Seitenlinie begleitest und ihm beibringst, wie er sich mit Purpose quasi auf eine sich wechselnde Umwelt einstellt. Fehlerkultur als mal ein ganz konkretes Beispiel. Wie machst du das? Weil das ist ja ein Unternehmen, wo man eigentlich Fehler besonders ungern macht, weil es da um viel Geld geht, vielleicht auch mal um Risiken, also Gefahren, wenn es um Heizung, Feuer und Co.
Magnus Lambsdorff: geht. Klar, kann was explodieren.
Joel Kaczmarek: Was hast du da gemacht? Wie bist du da vorgegangen, dass du so eine Organisation sowas einimpfst?
Magnus Lambsdorff: Also ich möchte das gar nicht jetzt auf mich reduzieren, sondern der, der das im Wesentlichen bei FISMA macht, ist der Maximilian. Und das ist auch richtig so, weil er ist derjenige, der für die Firma der Zukunft und das Familienunternehmen der Zukunft steht. Er wird ganz stark damit identifiziert, richtigerweise. Und deswegen kommen diese Botschaften auch von ihm ganz persönlich. Diejenigen, die um ihn herum und mit ihm arbeiten, sind wichtig, um das zu unterstützen und immer wieder zu wiederholen und zu penetrieren und sozusagen für die Verbreitung und die Akzeptanz zu sorgen. Aber das, was er intensiv macht, ist immer wieder durch Wiederholung diesen Purpose, und der ist bei VIESSMANN ja einer, hinter den sich eigentlich jeder Mensch sehr einfach stellen kann, Der heißt Creating Living Spaces for Generations to Come. Das hat ja was damit zu tun, dass wir Menschen in Lebensräumen uns aufhalten wollen, sei es zu Hause, sei es im Büro, sei es wo auch immer, die lebenswert sind und unser Leben bereichern und erleichtern. Und das eben durch gutes Klima, gute Luft, gute Temperatur. Und das jemandem zu vermitteln, ist gar nicht schwer. Das Interessante war in der Beobachtung, dass in den Jahren zuvor, als es weder diesen Trend der Sinnstiftung so gab, deswegen ist das kein Vorwurf an die früher Verantwortlichen, aber jetzt als das eben aufkam und auch wirklich als sinnvoll für die Firma Fissmann erkannt wurde und den Menschen es kommuniziert wurde, das hat mir Max mal sehr eindrücklich erzählt, stand er vor Leuten, die hatten Tränen in den Augen. Die sagten, jetzt weiß ich wirklich nichts. Warum ich das hier alles mache? Das war mir nicht so ganz klar. Und die stehen natürlich jetzt mit einem ganz anderen Gefühl morgens auf und gehen in die Firma und arbeiten an welcher Stelle auch immer, in der Produktion, in der Buchhaltung, in der strategischen Planung, wie auch immer. Aber sie haben einen gemeinsamen Purpose für sich erkannt.
Joel Kaczmarek: Da tauchen wir später nochmal tiefer drauf ein. Aber wie macht man organisatorisch quasi ein Team, was von Produktseite her auf Fehlerfreiheit getrimmt ist, affin für den Mut vor allem und die Bereitschaft, Fehler zu begehen und auch noch zu kommunizieren?
Magnus Lambsdorff: Ja, das geht durch verschiedene Dinge. Also das erste Mal, es ist zunächst mal wichtig, dass die Führung des Unternehmens selber, also Max und die Geschäftsführung und welche, die ganz eng da mit denen zusammenarbeiten und weite Verantwortung haben, dass die selber Fehler zugeben und das auch kommunizieren und wirklich teilen, wenn sie Fehler gemacht haben und was sie daraus gelernt haben, ist das berühmte Beispiel, was man vorlebt. Dann gibt es Incentive-Systeme, die man anpassen kann, die es ruhig auch honorieren, wenn man Umwege gegangen ist, das sind ja auch Fehler zum Teil, Oder wenn man Rückschritte oder Fehler zugegeben hat, die zu Rückschritten führten, dass die nicht zu einer Absenkung irgendeiner Form von Inzentivierung führen. Solange das der Fall ist, ist es schwierig, auf kommunikativer Ebene den Menschen einzureden, ja, du darfst Fehler machen, kannst sie zugeben. Aber wenn am Ende dann der Bonus geringer ist, dann passt das irgendwie nicht zusammen. Jetzt wissen wir alle, dass Menschen eigentlich nie durch Geld wirklich langfristig motiviert werden können. Es gibt jedenfalls keine wirkliche psychologische Studie, die das jemals belegt hat. Aber trotzdem ist da ein Zusammenhang, wenn man eine neue generelle Verhaltensweise einführen möchte. Also Vorleben, Incentive-System und Austausch innerhalb der Teams horizontal und vertikal zu erzeugen und immer wieder darüber zu reden. Dann, was wir auch entwickelt haben die letzten Jahre, sind sogenannte Leadership Principles. Leadership Practices sozusagen, die Anleitung geben für die Verhaltensweisen. Und auch da ist niedergeschrieben sozusagen und wird vermittelt, dass es wichtig ist, Fehler zu machen, also Dinge auszuprobieren und die dann auch zuzugeben, daraus zu lernen.
Joel Kaczmarek: Ich habe gestern, das war wirklich gestern, gerade so ein amerikanisches Sprichwort gelernt. Und wenn man es übersetzen würde, wäre es so ungefähr so, Scheitern ist nicht das Gegenteil von Erfolg, sondern ein Bestandteil dessen.
Magnus Lambsdorff: Ja, also es gibt ja auch die berühmten Geschichten von dem Jack Welch, dem jemand berichtete, dass er gerade irgendwie ein Forschungsprojekt für 50 Millionen in den Sand gefahren hat und jetzt mit seiner Kündigung rechnen würde. Und Jack Welch ihm geantwortet hat, ich wäre doch bescheuert, ich habe doch gerade 50 Millionen in dich investiert. Und so ist es auch. Ob nun 50 Millionen oder 500 Euro, spielt keine Rolle. Vorausgesetzt, derjenige hat eine Lernfähigkeit, also in HR-Lingo Learning Agility, die dazu führt, dass er diesen Fehler möglichst nicht nochmal wieder macht, sondern daraus wirklich Wert schöpft und die nächste Lösung noch besser ist. Dann ist es eine Investition.
Joel Kaczmarek: Ja, hier im
Magnus Lambsdorff: Try and Error. Das ist ja in allen Naturwissenschaften das Grundgesetz, dass man Dinge ausprobiert und von zehn Versuchen gehen halt acht schief, aber zwei nicht. Und aus denen zieht man den Wert.
Joel Kaczmarek: So ein bisschen Edison-Style, failure away to success. Aber was mir dabei als Frage aufkommt oder was sich vielleicht sehr geneigte Hörer jetzt auch fragt, ist, wenn man jetzt mal die Punkte verbindet, hast du gesagt, die Umwelt wird unklarer. Das Instrumentarium, was ich mir angeschafft habe, wird weniger klar anwendbar. Also ich muss es adaptieren, ich muss Fehler machen. Das führt ja alles in der Konsequenz zu einem Umstand, nämlich dass meine Planbarkeit eigentlich rapide abnimmt. Wie geht man damit um?
Magnus Lambsdorff: Also nur einfach den Purpose mit auf den Weg zu geben und die Leute dann allein zu lassen, sprich Mitarbeiter und das Team, reicht natürlich nicht aus. Weil nicht jeder kann mit diesem sehr dann ja breiten Geländer entsprechend umgehen und Orientierung finden. Und ich wage sogar die Behauptung, dass es eigentlich eine große Anzahl in der Bevölkerung oder in Unternehmen gibt, die relativ viel Orientierung einfordern von ihren Mitarbeitern. Führungskräften. Das liegt teilweise daran, dass sie daran gewohnt sind, aber auch daran, dass sie einfach weder die Ausbildung noch die innere Einstellung dazu haben, selbst und unabhängig zu entscheiden, was entlang dieser Sinnstiftung oder dieses Purpose zu tun ist. Jetzt ist die Frage, wie viele Vorgaben wollen sich schnell entwickelnde Unternehmen, die ja auf alles Mögliche, was sich immer wieder um sie herum verändert, reagieren müssen? Was wollen die ihren Führungskräften empfehlen, wiederum mit ihrem Team zu tun, um die in die richtige Richtung zu lenken? Und das ist nur machbar, indem man sowohl den Führungskräften, aber auch den Teammitgliedern Ausbildung gibt. Also man muss ihnen erklären, nicht nur einfach den Purpose auf den Tisch legen, sondern ganz klar machen, welche Möglichkeiten hast du, dich zu verhalten und wie sollst du Entscheidungen treffen? Wie kannst du Optionen abwägen? Wenn du eben vor drei verschiedenen stehst, was sind die sozusagen Analyse-Tools dafür? Also das könnte ich jetzt noch weiter auffächern, aber es geht hauptsächlich um das Enablement, die Befähigung von Führungskräften und Mitarbeitern, in dieser Welt sich zurechtzufinden. Nur einfach so den Purpose zu verkünden, das reicht nicht aus.
Joel Kaczmarek: Also wenn ich es richtig verstehe, ist es quasi nur ein Baustein. Womit würdest du das ganz konkret noch verbinden? Also eins haben wir jetzt schon mal rausgekriegt, Enablement heißt ja eigentlich, also wenn wir jetzt in unserer Metapher blieben, wäre es so waffenfähig machen, also Werkzeuge an die Hand geben, um handeln zu können. Purpose heißt also, wofür stehen wir, unser Why, was ist sozusagen unser Antrieb. Dann hast du wahrscheinlich irgendwie noch Werte, Kultur, die sich aus dem Why so ein Stück weit ableiten. Ist das so das Set, mit dem man losreitet oder was fehlt noch? Weil ich beobachte das auch oft, ein gutes Why ist wichtig und trotzdem wollen die Leute eine Orientierung, wo laufen wir eigentlich hin?
Magnus Lambsdorff: Du brauchst natürlich schon noch das Herunterbrechen davon. Also du hast das Why als den Purpose, aber du hast dann auch erstmal das What. Das ist extrem wichtig, gerade für Unternehmen zu entscheiden, was machen wir und was machen wir nicht. Die Known Do's ist genauso wichtig wie die Do's. Das heißt, du hast natürlich abgeleitet aus dem Purpose einige übergeordnete Ziele, anhand derer sich alle im Unternehmen orientieren können, weil nur das, was auf diese Ziele einzahlt, an eigenen Anforderungen, Aktivitäten, Initiativen, was auch immer man tagtäglich tut, passt. So könnte man das sagen. Und dann die nächste Ebene ist nach Why and What das How. Das heißt, wenn wir uns darauf geeinigt haben, was wir genau machen wollen, dann müssen wir noch darüber reden und wie gehen wir vor. Und da geht es dann sehr stark in, natürlich auch, was ich eben schon sagte, in Ideen. Die Unterstützung bei der Ausführung, die eben häufig viel mit klassischen Skills zu tun hat oder auch Kompetenzen. Skills kann man sehr leicht lernen, indem man einen Kurs macht. Kompetenzen sind eben Dinge, die beschreiben, wie du dich in einer bestimmten Situation verhältst, um sie erfolgreich zu lösen. Das ist nicht so einfach zu erlernen, weil Verhaltensveränderungen bei Erwachsenen sind enorm schwierig zu erzielen. Da musst du also sehr viel Mühe geben, das machen wir im Moment, durch die Vermittlung dieser sogenannten Leadership Practices und der sogenannten Micro Behaviors, die man daraus ableiten kann, die sich dann im wirklich veränderten täglichen Verhalten der Führungskräfte ausdrückt, was dann die Mitarbeiter wieder merken und eben ihr eigenes Verhalten auch verändert. Können wir auch in praktische Beispiele gehen. Also wenn du heute Führungskräfte fragst, im Durchschnitt, nicht jetzt unbedingt nur bei VIESSMANN, Aber auch, wie gehst du mit Feedback um? Wie gibst du Feedback und wie nimmst du Feedback entgegen? Dann wirst du sehr häufig hören, also eigentlich von meinem Chef kriege ich so gut wie nie Feedback. Jedenfalls nicht etwas, womit ich viel anfangen kann. Wir haben vielleicht dieses strukturierte Jahresendgespräch. Das ist dann meistens auch noch mit dem Bonus verbunden, das darf man sowieso nicht mehr machen oder möglichst nicht, das bringt aber nichts. Deswegen, also allgemeiner Trend heutzutage, kann man in jedem Lehrbuch oder Blog woanders nachlesen, ist Instant Microfeedback. In jeder Situation, in der ich meine Leute, meine Mitarbeiter oder Kollegen, wenn man offenes Verhältnis hat auch Kollegen, oder sogar den Boss, wenn man noch offenere Verhältnisse hat, gibt man sofort Feedback. Wie man jemanden in der Verhandlung, in der Vertriebssituation, in der was auch immer Situation erlebt hat. Das kann man üben und das tun wir. Das sind die sogenannten Microbehaviors. Wo du dir vornimmst, diese Woche werde ich 15 Minuten damit verbringen, jemandem in meinem Team konstruktives Feedback zu geben. Da kann man auch trainieren, wie man das gibt. Da gibt es auch unterschiedliche Formen. Aber erstmal ein guter Vorsatz, um das zu tun. Das kann man durch Coaches begleiten lassen. Machen wir auch. Wir machen so ein Transformation-Coaching-Programm, an dem 50 Kollegen jetzt gerade teilnehmen. Und es werden noch mehr. Wo du diese Verhaltenseränderungen, die tagtäglich passieren sollen, übst. Und nur dadurch bekommst du langsam die gesamte Organisation bewegt.
Joel Kaczmarek: Kannst du uns nochmal spezifizieren, was du gerade gesagt hast, warum irgendwie Bonus- und Jahresabschlussgespräch in Kombination nicht mehr sinnvoll sind? Was ist die Problematik? Fragen sich jetzt bestimmt viele, die zuhören.
Magnus Lambsdorff: Wenn du das Gespräch über die Beobachtung des Verhaltens von einem Kollegen oder Mitarbeiter eins zu eins verknüpfst mit dem Urteil, was du ihm aussprichst, indem du ihm sagst, du bekommst jetzt so und so viel oder wer oder weniger Bonus, dann sprichst du zwei Dinge an, die eigentlich völlig unabhängig voneinander behandelt werden sollten, weil das Verhalten, was zu den besseren Ergebnissen führt, ist die eine Schiene, die du durch eben das, was ich eben beschrieben habe, beeinflussen kannst. Beliebig schwer, Verhalten von Menschen zu beeinflussen. Aber du darfst nicht den Effekt erzielen, dass Menschen ihr Verhalten verändern, nur weil sie dadurch mehr Geld bekommen. Weil dann erzeugst du möglicherweise nicht mehr wertekonformes Verhalten, nicht mehr Verhalten, was im Interesse des Unternehmens geht. Du verkaufst Dinge vielleicht für niedrigere Preise im Vertrieb, aber hast trotzdem das Volumen geschafft und daraus der Bonus berechnet. Also bei Google zum Beispiel, das steht in diesem wunderbaren Buch von Laszlo Bock, der früher People Operations geleitet hat bei Google, Work Rules heißt das, haben die eben entdeckt, dass die Vertriebsleute von Google ihr Verhalten komplett, insbesondere ihre Aussagen auf den zukünftigen Vertriebserfolg geändert haben. Sie haben es angepasst an die Bonusdaten, also Zeitpunkte, das war einmal glaube ich im November und plötzlich gab es nochmal so ein Move Up, was letztlich nicht in die Strategie von Google gepasst hat. Und als sie diese Muster erkannt haben, haben sie das mal völlig auseinandergezogen. Und insgesamt wurde die Firma dadurch erfolgreicher. Aber der unmittelbare Zusammenhang zwischen verhalten und schädlichem Verhalten und Bonus wurde dadurch aus dem Spiel genommen.
Joel Kaczmarek: Spannend. Aber was ich mich auch noch ein Stück weit frage, bei allem, was wir jetzt gesagt haben, man kennt das ja aus Startups immer, dieses Thema flache Hierarchie, wenige Prozesse. Das muss sich ja auswirken auf das Miteinander der Kollegen. Also Hierarchie-Ebenen und Hierarchie-Entwicklungen, die werden jetzt nicht völlig zerbröselt, aber schon, sagen wir mal, verändert. Wie sieht das aus und was macht das mit Menschen?
Magnus Lambsdorff: Es gibt eine ziemlich verwirrende Diskussion, insbesondere im Umfeld von Startups. Weil wenn man sich Startup-Organisationen anschaut, dann sind ja die Menschen, die da arbeiten, sowohl die Gründer als auch die Mitarbeiter in der Regel sehr jung und haben eigentlich bisher wenig professionelle Prägung in entwickelten und gut entwickelten Unternehmen oder Organisationen bekommen. Das heißt, wenn ein Gründer oder das Gründerteam nicht außerordentlich begabt ist, Menschen zu führen, Aufgaben zuzuteilen, zu strukturieren, eben auch den Sinn zu vermitteln und so weiter, dann geht das Ganze schief. Und so häufig kann man ja lesen, dass die Fluktuation bei sehr schnell wachsenden Unternehmen enorm hoch ist, weil die Leute werden reingeschaufelt, Weil die Mitarbeiterzahl hilft auch, den Wert des Unternehmens überhöht darzustellen für Finanzierungsrunden. Die Leute sitzen in den Unternehmen, es kommen 30 pro Monat dazu und keiner weiß, was er machen soll. Weil diejenigen, die die Firma gegründet haben, zwar eine geniale Idee haben und super Produktleute sind, aber nicht führen können. Das hat dazu geführt, dass wir bei FinLib zum Beispiel dazu übergegangen sind, dass wir eigentlich sehr schnell in die meisten der Fintechs nach einigen Monaten schon erfahrene Führungskräfte dazu geholt haben. die dann quasi als COO Orientierung geben konnten, die Struktur geben konnten, die Sinnvermittlung, jetzt nicht im Sinne von Purpose, auch einzelne Aufgaben. Warum mache ich das jetzt eigentlich? Nicht nur, weil man die Welt neu finden soll, auch warum ist es jetzt sinnvoll, dass ich diese Aufgabe habe? und was soll ich konkret tun? Weil wenn Menschen von der Uni kommen und noch nie irgendwo anders gearbeitet haben, ist das schwer, sich selbst zu definieren. Und deswegen glaube ich, die Kombination aus kreativen, jungen Gründern, die was treiben wollen, vorantreiben wollen, und dem einen oder anderen in die Organisation Eingewobenen mit mehr Erfahrung, Macht eigentlich am meisten Sinn.
Joel Kaczmarek: Hast du da einen Begriff für, wie man diesen Gründerspiritus, der da mit reinkommt, wie man den auch messen kann? Also das eine ist ja Organisationserfahrung oder Führungserfahrung. Was ist das andere? Ist das einfach nur Produktkreativität?
Magnus Lambsdorff: Bei den Gründern meistens. Es ist die unverstellte Sicht auf Kundenbedürfnisse, die nicht oder schlecht im Markt erfüllt werden. Durch die handelnden Akteure. Und dann kommt jemand Da kann man sich Steve Jobs angucken, immer das berühmteste Beispiel der Welt, der eben sagt, ich höre den Kunden ganz genau zu und dann erst entwickle ich mein Produkt. Und nicht umgekehrt, wie das halt sehr viele traditionelle Unternehmen früher und auch leider noch heute gemacht haben und machen und die über kurz oder lang aus dem Markt verschwinden werden.
Joel Kaczmarek: Weil es auch mal ganz lustig ist, weiß ich nicht, es gibt ja auch diese Sprüche, wenn Guttenberg auf die Mönche gehört hätte, hätte er sozusagen Papier entwickeln müssen, auf dem man schneller schreiben kann oder sowas. Also das ist ein interessanter Gedanke eigentlich.
Magnus Lambsdorff: Ja, ich finde, es ist eine Mischung. Also solche genialen Visionäre wie so ein Jobs oder auch viele andere Gründer haben natürlich eine Vorstellung von dem, was man dem Kunden auch noch anbieten könnte, aber die Art und Weise wie und was die eigentlich wirklich in ihrem Leben für ihr Leben brauchen, dafür braucht es schon eine große Aufmerksamkeit und lange Zuhören. Also ich habe gerade gestern so einen Blog von Steve Jobs mir angeguckt, weil wir so eine Content Library für unsere Führungskräfte aufgebaut haben, die eben entsprechend verschiedener Leadership Practices Themen adressieren, wo er darauf nochmal ganz besonders eingeht und da auch uncompromising ist. Aber bei dem gehört natürlich beides dazu. Niemand hätte gedacht, dass man ein iPad vor 20 Jahren, ein iPad, was soll das denn? Aber wenn man richtig versteht, was die Menschen tagtäglich tun und wofür sie so ein Ding einsetzen können, dann kommt man darauf, dass das eben ein Produkt ist, was gekauft wird.
Joel Kaczmarek: Schafft ihr aber so eine purpose-orientierte Führung, die auf Fehlerkultur Rücksicht nimmt, die Unplanbarkeit berücksichtigt, die diese ganze Komplexität mit aufnimmt? Alles, was wir gerade gesagt haben, schafft ihr das nicht trotzdem Konfliktlinien in nicht gerade geringer Anzahl?
Magnus Lambsdorff: Ich glaube, sehr viel sogar innerhalb einer Organisation oder auch innerhalb von kleinen Teams. Weil natürlich jeder nimmt diese Veränderung zunächst mal aus seiner individuellen eigenen Perspektive anders wahr. Manche sehen sie als Chance, manche als Bedrohung, manche als, oh, habe ich immer schon darauf gewartet. Und die Aufgabe des Führenden, ist es dann, für sein Team, für ihr Team, die Realität zu definieren. Damit fängt alles an. Man muss sagen, so ist im Moment der Zustand, die Welt, was um uns herum passiert. Und deswegen ist jetzt die nächste Frage das What. Was machen wir jetzt? Was adressieren wir jetzt? Und wie gehen wir vor?
Joel Kaczmarek: Und was sind die KPIs, die ich darauf anwende? Weil wenn ich quasi Hierarchie und Erfahrungsschatz und Organisationserfahrung gar nicht mehr eins zu eins honorieren kann, wie ich das früher konnte, was messe ich jetzt? Du hast ja zum Beispiel Mindset gesagt. Mindset ist ein Faktor. Du hast gesagt, Erfahrungen werden zu den Sedimenten des Lebens. Mindset hilft dir, diese Sedimente quasi in deiner Alltagssituation anzuwenden. Gibt es Punkte, die du messen kannst oder die du angucken kannst und weißt, ob jemand jetzt sozusagen darin besonders gut ist oder sich noch entwickeln sollte?
Magnus Lambsdorff: also wie wir das bei FISBAN gemacht haben, neue Leadership Practices, wie wir sie nennen, als Richtschlur definiert haben, dann fragen wir ganz intensiv die Mitarbeiter nach ihrer Einschätzung, wie sich die Führungskräfte eigentlich gemäß dieser neuen Guidelines verhalten. Und diese Einschätzung gibt enorm viel Auskunft darüber, wo wir weiter unterstützen und Hilfe anbieten müssen und welche Führungskräfte schon sehr stark das verinnerlicht haben und das umsetzen, was ja von allen beabsichtigt dann zum besseren Entwicklung der Firma führen wird. Ich glaube deswegen, harte KPIs, die immer schon gemessen wurden, die sind auch nicht alle, aber die meisten davon schon immer noch richtig. Aber wenn es um Führung geht, dann geht es sehr stark darum, die Mitarbeiter zu fragen. oder sogar 360 Grad. Und das machen wir sehr intensiv, sogenannte Pulse Checks, die wir anfangs, nachdem wir diese neuen Practices eingeführt haben, verkündet haben sozusagen, in sehr schnellen Rhythmen abgefragt haben, aber auch zum Beispiel abgefragt haben, was ist eigentlich die Strategie der Firma? Und wenn Mitarbeiter da ein sehr verwirrtes und unübersichtliches Bild nur haben, dann hat das in der Regel einen Hauptgrund, nämlich ihre Führungskraft hat diese nicht wirklich richtig vermittelt, beziehungsweise vielleicht noch nicht verstanden, wie auch immer, wo es herkommt, aber es mangelt dann an der Vermittlung. Dann weiß man immer, das heißt, wir gehen sehr stark entlang der Erkenntnisse, die wir gewinnen, aus diesen Umfragen vor.
Joel Kaczmarek: Wie schaffst du es, Ängste dabei abzubauen? Weil es kommt ja ganz viel Ungewissheit rein, es kommt Überforderung rein und wenn ich ganz oft was gefragt werde, habe ich ja vielleicht auch Angst, ich mache einen Fehler. Wie baust du Ängste ab?
Magnus Lambsdorff: Auch da würde ich sehr stark auf das, was Max verkörpert, einfach als Person, wie er so ganz natürlich rüberkommt, mich beziehen. Diejenigen, die ein Unternehmen führen müssen, und da ist er ein gutes Beispiel, tun aber viele auch in anderen Unternehmen, einen enormen Vertrauensvorschuss erstmal gewähren, was früher ja sehr selten der Fall war. Früher war enge Leine, du machst, was ich dir sage und einen Tag später gucke ich wieder hin, ob du es getan hast, im übertriebenen Sinne. Heute ist es eben, kommen wir zurück auf Purpose, ich vermittle dir einen Sinn und dann gebe ich dir erstmal sozusagen die Hoheit über deine Entscheidung. Das vermittelt Vertrauen, aber auch, genau wie du sagst, verunsichert die Menschen, weil sie es nicht gewöhnt waren. Also erstmal erfordert das häufige Wiederholung, damit die es auch glauben. Dann enorme Transparenz zu schaffen, gibt sozusagen Vertrauen zurück. Also wir hatten ein Leadership-Event, wo Maximilian eben auf der Bühne stand und sagte, I trust you, ich zeige euch alle Daten im Unternehmen. Das war früher unüblich. Und erhoffe, dass auch die Führungskräfte oder eben die Mitarbeiter ihm vertrauen. Das heißt, du musst dich erstmal selbst entblößen, um eine Ebene zu schaffen zwischen Menschen, mit denen du direkt oder auch indirekt zusammenarbeitest, Schwächen zugeben, selber Fehler eingestehen, damit du die Sicherheit erhöhst, dass Menschen auch ihre eigenen Schwächen, ihre eigenen Fehler, ihre eigene Befindlichkeit mit anderen teilen und damit das Ganze zu einem sichereren Raum wird für jeden Einzelnen. Aber dazu gehört es immer, vielleicht noch mal als Zusammenfassung, es gehört immer dazu, dass diejenigen, die die Endverantwortung haben, bereit sind, sich so zu öffnen, dass sie menschlich wahrgenommen werden. Und nicht nur als Funktionsträger. Und das ist ein großer Unterschied zu den Führungskräften der Vergangenheit. Also wenn man sich viele der DAX-CEOs von früher anguckt, dann war das eben leider überhaupt nicht vorhanden. Die haben nur eine Rolle gespielt, war wie im Theater. Aber die haben sich nie menschlich gezeigt, nie nahbar, nie Schwächen zugegeben. Wie großartig könnte es sein, wenn ein CEO auf der Bühne steht und aus irgendeinem verständlichen Grund wässrige Augen bekommt. Was macht das mit den Leuten? Da gibt es einen ganzen Kurs an der Harvard University, der heißt Authentic Leadership, wo man sowas lernt. Muss natürlich auch authentisch dann bleiben, aber wo man übt, das zuzulassen.
Joel Kaczmarek: Ja, meine Erfahrung ist auch, dass Verletzlichkeit zu zeigen bei Leuten eher Empathie und Sympathie weckt als Aggressivität.
Magnus Lambsdorff: Ja, weil jeder findet sich doch darin wieder. Wir sind doch alle, sei es nun im Studio in Kämmerlein, bei uns zu Hause, wenn man unter der Decke vorm Einschlafen liegt, dann kommen Gedanken, die man eigentlich nicht so gerne teilt. Und das haben wir alle. Und wenn wir bereit sind, die zu teilen, dann kommt auch das Gegenüber auf einen zurück und teilt das auch. Und deswegen, das erfordert Mut und ein, und das ist ganz wichtig, ein gesichertes Umfeld. Und das kann man übrigens, und das ist vielleicht noch eine besonders große Stärke von Familienunternehmen wie VIESSMANN, das kann man als Eigentümerfamilie ganz anders vermitteln und bereitstellen als in, meinetwegen, börsennotierten Unternehmen. Ganz anders.
Joel Kaczmarek: Lieber Magnus, es hat viel Spaß gemacht und ich glaube, wir werden dem noch die eine oder andere Folge folgen lassen. Also wir kratzen erst an der Oberfläche der Leadership-Prinzipien hier.
Magnus Lambsdorff: Sehr gerne.
Joel Kaczmarek: Und ganz herzlichen Dank und ich freue mich schon aufs nächste Mal mit dir.
Magnus Lambsdorff: Vielen Dank.