Servant Leadership in der Praxis

26. November 2019, mit Joel Kaczmarek

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Joel Kaczmarek: Hallo und herzlich willkommen zu einem neuen Transform-Podcast von Digital Kompakt. Mein Name ist Joel Kaczmarek und heute geht es um das Thema Servant Leadership. Das heißt, aus diesem Podcast wirst du lernen, was sich eigentlich mit diesem Konstrukt verbindet, warum man das verfolgen könnte oder vielleicht sogar sollte, was die Implikationen dessen sind und natürlich auch, wie man es umsetzt von der Struktur bis hin zur Korrektur. So, wer könnte uns das besser erklären als der gute Magnus? Lieber Magnus, schön, dass du auch heute wieder dabei bist. Herzlich willkommen.

Magnus Lambsdorff: Ja, freut mich auch. Hat letztes Mal großen Spaß gemacht. Einfach.

Joel Kaczmarek: Kommen vielleicht noch weitere. Stell dir doch mal ganz kurz vor, vielleicht mit ein, zwei Sätzen, dass diejenigen, die unsere letzte Folge über Purpose, was wird auch wieder aufgreifen werden, verpasst haben, wissen, wer du eigentlich bist und was du tust.

Magnus Lambsdorff: Also ich beschäftige mich eigentlich seit vielen Jahren mit Menschen. Ich war 20 Jahre lang bei einer Personalberatung, die heißt Eger und Zehnder. Da haben wir Menschen geholfen zu rekrutieren und sie zu entwickeln. Dann war ich drei Jahre danach hier in Berlin beim Company Builder, Finlieb und dann im Venture Capital bei Leipzig. und jetzt seit knapp zwei Jahren bei Maximilian Fissmann in der Firma und helfe ihm bei der Entwicklung der Firma mit allen Themen oder um alle Themen herum, die mit Führungskräften zu tun haben.

Joel Kaczmarek: Gut, man merkt also, beide Welten bekannt, sowohl die Startup als auch die KMU bis zur Corporate-Welt und auch den Finanzbereich, was ja vielleicht auch nicht unerheblich ist, weil Investoren denken ja auch nochmal anders als Arbeitgeber oder auch Nehmer. Aber heute, wie gesagt, Servant Leadership. Vielleicht fangen wir mal ganz basic an. Was ist das? Womit verbindet sich dieses Konzept? Was steckt dahinter?

Magnus Lambsdorff: Ja, wie der Name schon sagt, Servant Leadership heißt, dass man sich nicht zunächst darum kümmert, was die Mitarbeiter und das eigene Team für einen selber tun kann, sondern dass man sich jeden Morgen, wenn man aufsteht und wo auch immer man hinfährt zur Arbeit, fragt, was kann ich heute tun, damit mein Team besonders gut arbeiten kann. Damit es die richtigen Bedingungen hat, die Entscheidungen bekommt, um effektiv zu sein. Und welche Rolle kann ich dabei spielen, wie kann ich das Team dabei unterstützen, richtig gut arbeiten zu können.

Joel Kaczmarek: Gut, verstanden. Also die Führungskraft quasi eher als der Dienende. Bisher sagt man ja immer so, also ganz viele Menschen, wenn die von Mitarbeitern reden, sagen die auch an meine Untergebenen. Das finde ich manchmal ganz ulkig zu beobachten und hat ja auch ein bisschen so mit den Führungsstilen zu tun. Also wenn ich mich richtig entsinne, transaktional oder transformational, habe ich mal zumindest mir beibringen lassen, dass das so heißt. Sprich, was viele noch so kennen, ist dieses alte Bossy-Style. Ich der Entscheider, ich bestimme, ich habe Kontrolle über alles. Also ich lerne im Prinzip, das wird zurückgefahren.

Magnus Lambsdorff: Ich glaube, es ist wirklich eine noch weit verbreitete Praxis. Je größer die Unternehmen, umso schwieriger ist es auch zu ändern, weil da die Arbeitsteilung einfach so groß ist, dass sich Menschen, die ja sehr häufig nach Sicherheit streben, das gilt sowohl für die Führenden als auch für die Geführten, sich eben auf Dinge zurückziehen, die sie beherrschen können. Das ist allerdings in einer Welt, die, wie wir ja letztes Mal auch schon besprochen haben, immer schneller und komplexer, unübersichtlicher und so weiter wird, kaum mehr möglich. Wenn man sich eine Pyramide vorstellt und der Chef sitzt eben ganz oben, dann sind die, die unten rechts sind, ihm immer in der Zeit, wenn du da einen Zeitstrahl drunter legen würdest, ein bisschen voraus. Das heißt, in der heutigen Welt, wo sich eben alles so schnell verändert, muss man an sich dafür sorgen, dass diejenigen, die wirklich da sind, wo Entscheidungen getroffen werden müssen, auch über die Informationen verfügen und über die Ressourcen verfügen. Und dafür muss ich als Chef halt sorgen, weil ich nicht selber immer eine Entscheidung selber treffen kann.

Joel Kaczmarek: Wir können ja mal auch ein Stück weit präzisieren, was sich damit eigentlich alles verbindet. Also das Erste, was ich jetzt lerne, ist, es ist nicht mehr so stark top-down. Kontrolle wäre sonst so ein Thema, was ich mir vorstellen könnte, ist bei vielen so ein Aspekt, der da zum Tragen kommt. Ist das was, wo du merkst, das ist oft mit Problemen behaftet, wenn du sagst, bei großen Organisationen ist das schwer zu verändern, dass das so ein Kontrollgedanke ist oder woher kommt das?

Magnus Lambsdorff: Wie eben gesagt, also diejenigen, die in den führenden Positionen sitzen, die haben sich natürlich da über die letzten vielen Jahre hin entwickelt und haben ein Verhalten einstudiert, was belohnt, wenn sie definierte Ziele erreichen oder andere Menschen dazu bringen. Und in Umfeldern, in denen man das Geschehen gut kontrollieren konnte, die sich eben drumherum nicht so schnell verändert haben, war das ein Erfolgsrezept. Das heißt, Kontrolle über den Bereich, den ich führe, den ich verantworte, übe ich auch aus, indem ich meinen Leuten in Anführungsstrichen sage, was sie wann wie zu tun haben. So war das und ist es in vielen Unternehmen immer noch, aber eben zunehmend weniger effektiv. Weil man hat ja viele Menschen, mit denen man gemeinsam arbeitet, früher sagte man dazu Untergebene, ein scheußliches Wort aus heutiger Sicht, die Fähigkeiten haben und mit diesen Fähigkeiten ja dazu beitragen können, Situationen gut zu meistern, Entscheidungen zu treffen, Probleme zu lösen und so weiter. Wenn man die aber nicht in Anführungsstrichen frei lässt, dann vergibt man dieses Potenzial. Und das ist umso wichtiger, eben in Verhältnissen, in denen wir heute agieren, als früher.

Joel Kaczmarek: Gut, also wir lernen von Top-Down zu Bottom-Up oder eher vielleicht zu vielfältig, also dass es gar nicht mal eine Richtung gibt, sondern dass an vielen Orten Dinge und Konzepte entstehen können, von Kontrolle zu Selbstverantwortung und von Zentralität eigentlich zu Dezentralität. Das sind also die Achsen, die man eigentlich darin hat, richtig? Ja.

Magnus Lambsdorff: Ja, absolut. Das Schlagwort oder die Verhältnisse, die man früher immer beschrieben hat mit, es gibt die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, könnte man eigentlich heute umkehren. Weil es sind nicht mehr die Arbeitgeber, die den Menschen die Arbeit geben, sondern es sind heute die Menschen, die in Unternehmen arbeiten und dem Unternehmen oder eben dem Eigentümer oder dem Aktionär ihre Arbeit geben. Die Verhältnisse haben sich alleine schon durch die demografische Entwicklung drastisch verändert. Heute sind es nicht mehr Bewerber, die sich bewerben, bemühen um eine Aufgabe oder einen Job bei einem Unternehmen, sondern es sind eher die Unternehmen, die sich bemühen darum, Mitarbeiter zu finden, weil es davon zu wenige gerade gut Qualifizierte gibt. Die in Anführungsstrichen Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt haben sich schon mal stark verändert. Demzufolge müssen eben Unternehmen heutzutage auch sehr viel mehr auf die Bedürfnisse und Einstellungen und Wertvorstellungen derjenigen eingehen, die sie gewinnen wollen. Und die sind nun mal heute, insbesondere die Jungen, eher darauf aus, interessante Aufgaben schnell zu bekommen, Verantwortung übertragen zu bekommen, Entscheidungen treffen zu dürfen, Freiheit zu haben, weil sie auch so zu Hause, bis sie dann ins Berufsleben eintreten, sozialisiert wurden. Nicht einfach für viele Unternehmen, weil dadurch vieles in Frage gestellt wird, was sie bisher anders praktiziert haben.

Joel Kaczmarek: Und wie gehst du das an, wenn du auf solche Unternehmen triffst? Weil ich habe gerade überlegt, wie erklärt man jemandem, der das sein ganzes Leben vielleicht genau nach dem anderen Schema macht, die Sinnhaftigkeit dieses Ansatzes?

Magnus Lambsdorff: Wir versuchen das durch intensive Gespräche darüber, wie sich die Umwelt und sprich auch der Markt ganz konkret und die Kunden und die Erwartungen, die an das Unternehmen gestellt werden, verändert haben. Wie viel schneller sich die Technologie verändert, wie viel direkter Die Beziehung wird zwischen dem, der etwas herstellt und verkauft und dem, der es am Ende nutzt. Durch die Digitalisierung sind eben viele Stufen zwischen dem Produzenten und dem Konsumenten weggefallen oder werden in vielen Industrien auch wegfallen. Da gibt es eine direkte Beziehung, die früher gar nicht bestand. Und es gibt eine Schnelligkeit in der Veränderung auch der Erwartung an das, was man selber herstellt oder als Service anbietet, die früher viel stabiler und langfristiger waren. Und wenn man diese Trends den Führungskräften oder auch den Mitarbeitern deutlich macht, und das kann man durch ja sehr, sehr viele Darstellungen von sich beschleunigender Technologieentwicklung zum Beispiel, also wie lange hat es gedauert, bis der PC eine Million Nutzer hatte, versus wie lange hat es gedauert, bis eine neue iPhone-Generation eine Million Nutzer hatte, also durch solche Beispiele, das macht schon sehr deutlich. Und da gibt es viele Aha-Effekte, was allerdings erst der Anfang ist. Der Aha-Effekt ist die Voraussetzung dafür, dass man langsam zu der Einsicht kommt, ja, ich muss auch mein eigenes Verhalten verändern. Und das ist dann der schwierige Part.

Joel Kaczmarek: Ist das auch so ein Stück weit der Ursprung von diesem Servant-Leadership-Gedanken, dass man sagt, technologiebasierte Gesellschaft, sehr, sehr viel schnell drehender Arbeitnehmermarkt ist jetzt sozusagen, die Machtverhältnisse verschieben sich, die Geschwindigkeit der Entwicklung nimmt zu. Ist das sozusagen für dich so der Ursprung dessen oder wo verortest du das?

Magnus Lambsdorff: Ich glaube, die Technologien, die Möglichkeiten, die dadurch entstehen, sind schon eine der wesentlichen Faktoren, weil sie einfach alles beschleunigt haben, direkter gemacht haben, was alle mit einem Wort Digitalisierung bezeichnen. Insbesondere, und da gibt es interessante Studien dazu, die Entwicklung des iPhones von Apple. Als das in den Markt kam 2007, haben sich andere Entwicklungen extrem beschleunigt dadurch, dass dieses neue Gerät sozusagen, was enorm schnelle Verbreitung fand, eben Effekte auf jedermanns Leben hatte. und das wiederum sich rückkoppelte in die Entwicklung der Produkte. und so geht es. Das ist eine selbst sich verstärkende Schleife und die führt dazu, dass eben Informationen schneller verfügbar. Alles, was daraus folgert in Unternehmen, ist, dass die Menschen, die eben in den dezentralen Bereichen eines Unternehmens, einer großen Organisation sitzen, egal welche, ob es nun wirtschaftliche oder andere Organisation ist, versorgt werden müssen mit der Verantwortung dafür, und den Ressourcen, die Informationen, die ihnen ja zur Verfügung stehen durch Digitalisierung, auch wirklich nutzen zu können, um agieren zu können. Es hängt alles miteinander zusammen. Der Kern dieser Veränderung ist die Beschleunigung der technologischen Entwicklung.

Joel Kaczmarek: Okay, ich höre raus, man hat trotzdem noch so ein kleines Fragezeichen, weil ich auch gerade so sinniert habe, ob das so ein Google-Phänomen ist, dass man das irgendwie in den USA gesehen hat und das schwappt dann so rüber, weil die damit sehr erfolgreich sind oder ob das, haben wir uns ja im Vorfeld auch schon mal darüber unterhalten, es wirkt eigentlich ein bisschen zu einfach, als dass das ein paar Kalifornier erfolgreich vormachen und die ganze Welt macht es nach und Und dann hast du ja auch ganz richtig schon mal gesagt zu mir, China kommt mit ganz anderen Ansätzen um die Ecke und ist damit auch sehr erfolgreich, mit einem völlig anderen Ansatz. Vielleicht bereichert uns ja jemand noch per Kommentar mal, was er von dir sagt.

Magnus Lambsdorff: Aber alleine diese Diskussion, wenn man die im Kreise von Führungskräften eines Unternehmens führt, wird doch deutlich, allen, die da um den Tisch rum sitzen dass sich so viel und enorm schnell verändert, dass wir nicht mit den, ich sage es mal, Command-and-Control-Ansätzen große, komplexe Organisationen führen können. Vor allem gibt es sehr viele Beispiele von Organisationen oder Unternehmen, die sich eben schon sehr schnell dezentrale Entscheidungsstrukturen gegeben haben und damit enorm erfolgreich sind. Interessanterweise sind Unternehmen wie zum Beispiel Apple gar nicht so, was man jetzt heute Self-Organisation anbetrifft. Die sind sehr straff geführt und müssen als Organisation, als Kultur, dienen die eigentlich gar nicht so als gutes Beispiel, zumindest was man so von außen sehen kann. Da gibt es natürlich andere wie Google und so, die das eher vorleben, aber ich glaube, es sind auch viele europäische Unternehmen, die einfach Prinzipien adaptiert haben, auch an unsere Kultur, und deswegen Menschen begeistern, Interessante anziehen und durch dieses neue Konzept die Leistungsfähigkeit der ganzen Organisation erhöhen.

Joel Kaczmarek: Ich bilde mir an, das war so 2009, 2010, als auch so dieses Ori-Breathman-Buch aufkam, der Seestern und die Spinne, wo er so erklärt, es gibt Organisationen, die funktionieren wie eine Spinne, es gibt einen Kopf, man hat die Beine und wenn man über den Kopf abschlägt, sind die Beine alle nutzlos, versus den Seestern, da kann man die Arme abtrennen oder auch Einzel-Elemente, der funktioniert immer

Magnus Lambsdorff: anders. Das ist von Rod Backstrom. Ein ganz alter Freund von mir. The Spider and the Starfish. Das war das erste Buch, das man tief betrachtet hat. Das war auch, glaube ich, sein einziges Buch, was er zumindest erfolgreich geschrieben hat. Er war ja später dann Präsident vom ICAN und war vorher Softwareunternehmer in Kalifornien. Wir haben zusammen studiert. Das hat mich sehr beeindruckt. Damit ist er auch zehn Jahre lang von einer Konferenz zur anderen gefahren und wurde überall eingeladen, weil genau dieses Prinzip damals noch völlig neu war. Aber es gilt eigentlich immer noch.

Joel Kaczmarek: Dann habe ich einen Plagiator dessen gelesen. Aber ich habe genau das beispielsweise auch gelesen, dass dann so die anonymen Alkoholiker waren, die dezentralisiert funktionieren.

Magnus Lambsdorff: Ja, und Frederik Lallou hat ja eigentlich jetzt mal, was Organisationsanthropologie anbetrifft, das hätte ich sicher nicht bezogen, aber man könnte diese beiden Bücher in Verbindung bringen, weil er ja sehr viele Beispiele bringt von Unternehmen, die quasi ohne Stabsfunktionen auskommen. In traditionellen Industrien beschreibt er, wie Unternehmen Produktions- und Kundenbeziehungen ganz direkt gestalten, ohne dass es zum Beispiel einen zentralen Vertrieb gibt oder ohne dass es zentralen HR gibt. Das ist sehr schwierig für existierende, eingefahrene Organisationen umzusetzen. Aber ich glaube, viele Unternehmensführer oder Eigentümer denken darüber nach, wie sie die Menschen immer mehr, immer mehr in die Lage versetzen können, so viel wie möglich Entscheidungen treffen zu können. Und das ist auch eine Form des Servant Leadership, dass ein CEO oder ein Eigentümer darüber nachdenkt, wie kann ich meine Mitarbeiter, jetzt haben wir sie ja umbenannt, Arbeitgeber, wie kann ich die Arbeit, die sie mir geben, so gut wie möglich wirken lassen, sodass wir alle zusammen ein gesundes, gutes Unternehmen schaffen.

Joel Kaczmarek: Dann lass uns doch mal konkret eintauchen. Also wir driften ja ein bisschen ab in dezentrale Organisationen, aber Servant Leadership, wie setze ich das um? Worauf kommt es an? Was sind die Faktoren, die ich installieren muss, damit das in meiner Organisation funktioniert?

Magnus Lambsdorff: Über einen der drei wesentlichen Faktoren haben wir letztes Mal ausführlich gesprochen, Purpose. Man muss den Menschen den Sinn vermitteln, warum sie alle gemeinsam dafür arbeiten. Das Zweite ist, glaube ich, weil es so viel anderes Verhalten erfordert, ist es zwingend notwendig, eine Atmosphäre der Sicherheit zu entwickeln, sodass sich sowohl diejenigen, die abgeben an Macht und an Entscheidungsgewalt und an Kontrolle, aber auch die, denen neue Aufgaben, neue Verantwortung, neue Freiheit übergeben werden, dass die sich beide miteinander sicher fühlen. Dass es da Signale der Verbundenheit gibt, der Zugehörigkeit, der Identität. Dass man sagt, beide Seiten der Führenden und der Geführten werden in einen neuen Kontext gestellt. Das bedeutet für beide erst mal Unsicherheit. Wenn man sich gegenseitig da versichert, you're safe, dann ist das eine zweite große Voraussetzung. Und das Dritte, mehr noch von den Führenden Signale an alle anderen zu geben. Auch ich weiß manchmal nicht weiter. Auch ich bin verletzlich. Auch ich leide manchmal. Ich bin nicht immer so stark, wie ich vielleicht früher versucht habe zu verkörpern. Wenn man also ganz bewusst solche Signale der Verletzlichkeit und Schwäche sendet, dann schafft das eine Vertrauensbasis bei allen um einen herum, die belastbarer ist, als wenn man immer nur so tut als ob. Und daran sind Menschen sowieso sehr geübt, weil sie es von Kind an so gelernt haben, in ihrem Familienumfeld eine Rolle wahrzunehmen. Wenn man sich alleine so die Geschwisterstrukturen anschaut und so weiter. Und das leben wir fort, wahrscheinlich bis zum Ende.

Joel Kaczmarek: Von der Wiege bis in die Bahre, meinst du, ist mal ein Rollenspieler?

Magnus Lambsdorff: Ja, und das bewusst aufzulösen und bewusst auch mal diese Schutzschicht aufzulösen, kann sehr, sehr viel bewirken.

Joel Kaczmarek: Lass uns nochmal auf die Elemente eingehen. Purpose hatten wir beim letzten Mal. Wie kann es konkret aussehen, dass ich diese Sicherheit aufbaue? Wie funktioniert so etwas, dass ich meinem Team signalisiere, wir sind alle im gleichen Boot, es reißt dir keiner in den Kopf ab, wenn ein Fehler passiert bei dieser Übernahme von Verantwortung. Ich weiß, dass ich hier was abschaffe. Abgebe und vertraue dir aber, dass du damit gut umgehen wirst. Wie kann ich das durch Werkzeuge oder Prozesse implementieren?

Magnus Lambsdorff: Ganz sicher ist ein wesentlicher Aspekt auch dieser große Thema, wie gehen wir mit Fehlern um? Ein Leader, ich sage bewusst nicht Manager, beginnt damit, eigene Fehler zuzugeben, dazu zu stehen. Und dann sein Team oder ihr Team einlädt, ihm oder ihr zu helfen, diese Fehler zu korrigieren, daraus zu lernen und das nächste Mal besser zu machen. Das ist schon ein sehr starkes Beispiel. Das ermutigt, apropos Sicherheit geben, auch alle anderen in dem Umfeld das Gleiche zu tun. Und wenn das ein eingeübtes Verhalten wird, dann führt es zu einer sehr viel schneller lernenden Organisation. Das ist ja auch eines der Ziele, die man damit verfolgt. Aktiv Fehler zugeben und diskutieren. Anderes zum Beispiel auch, wo man Vertrauen signalisiert und Sicherheit gibt, wenn irgendetwas schiefgelaufen ist in dem eigenen Umfeld, im eigenen Team. Es gibt auch so dieses schöne Wort, embrace the messenger, don't shoot him. Das war halt früher Wer schlechte Botschaften überbrachte, war erstmal in einer heiklen Situation. Heute kann das ein Signal sein, jemanden quasi dafür zu belohnen, dass er eine schlechte Nachricht überbracht hat. Weil dazu gehört Mut. Da muss man selbstbewusst sein, im gewissen Sinne. Und letztlich, wenn man eine schlechte Nachricht überbringt, ist das schon ein erstes Zeichen des Vertrauens. Wenn man das missbraucht, indem man den nicht wertschätzt, zerstört man enorm viel.

Joel Kaczmarek: Ich habe noch nie darüber nachgedacht, aber es hätte auch früher Sinn gemacht, wenn Julius Caesar seine Kreuzzüge plant, müsste er eigentlich auch die Leute inzentivieren, die ihm sagen, bei den Normannen funktioniert es nicht und da war es jetzt sehr gut. Da hast du eigentlich total recht. Man ist eigentlich auf diese Information angewiesen.

Magnus Lambsdorff: Man ist sehr darauf angewiesen, als derjenige, der führt, weil man kann ja nicht ständig alles überblicken. Man muss auch akzeptieren, wenn jemand eine Entscheidung oder eine Empfehlung, wie auch immer, des Verantwortlichen infrage stellt. Das tut derjenige ja mit guten Intentionen, vorausgesetzt, da ist nicht ein vergiftetes politisches Umfeld. Das kann man natürlich erstmal vor die Klammer stellen. Man kann alles, was man in diesem Servant Leadership und den neuen Führungsideen diskutiert, kann man desavorieren, indem man sagt, Menschen sind nicht so, sind egoistisch und Ellenbogen und so weiter. Also das ist eine Frage des Menschenbildes. Aber wenn man davon ausgeht, dass eigentlich erstmal alle mit einer positiven Einstellung morgens kommen und was beitragen wollen, dann lohnt es sich in jedem Fall, diese Schritte, die wir eben besprochen haben, zu machen, weil man dadurch Vertrauen, Sicherheit schafft, die für alle zum Vorteil kommen.

Joel Kaczmarek: Jetzt haben wir noch nichts gesagt über, ich sage mal, Ressourcen. Also es braucht ja auch Fähigkeiten, das zu tun. Ich kann ja jetzt nicht von heute auf morgen, ich stelle mir gerade so eine Organisation vor, ich meine, korrigiere mich, ich glaube, VIESSMANN hat auch so 11.000 Mitarbeiter in dem Dreh. 12.500. 12.500, okay, nicht ganz so weit weg. Da sind ja Menschen dabei, die haben ja vielleicht diese Dinge, die man jetzt von ihnen nicht verlangt, aber die man ihnen anbietet zu machen, gar nicht gelernt. Also ich habe jetzt gerade wieder ein Beispiel gehört in einem Podcast, Commerzbank schließt irgendwie so und so viele hundert Filialen, entlässt 2000, aber 4000 werden ja eingestellt und das wird immer so, der de facto Abbau sind nur 2000, nicht 4000, aber de facto sind das ja komplett andere Menschen, die da diese Organisationen rein müssen. Was ist denn auf der Ressourcenebene und auf der Kompetenzebene zu beachten, wenn ich so einen Ansatz umsetzen möchte?

Magnus Lambsdorff: Also ist das ein grundsätzlicher Punkt. Dieser Ansatz des Survey Leadership funktioniert natürlich nur, wenn man demjenigen, dem man neue Verantwortung überträgt, Entscheidungen treffen zu können, Freiheiten zu nutzen, schnell agieren zu können, wenn man zwei Dinge als Voraussetzung schafft. Man muss denjenigen adäquat ausbilden und derjenige muss die passenden, ausreichenden Ressourcen dafür bekommen, dass er auch wirklich die Verantwortung übernehmen kann, die man ihm überträgt. Das eine geht relativ schnell. Ressourcen heißt meistens Geld bereitzustellen, um zu investieren, wofür auch immer. Die Ausbildung dauert natürlich länger. Und das ist hier bei VIESSMANN, was auch Maximilian sehr stark vorantreibt, sehr bewusst vorantreibt, auch schon seitdem er die Verantwortung übernommen hat, dass er in die Menschen investieren möchte. mit denen er die nächste Phase des Unternehmens bewältigen will. Das ist ein sehr umfangreiches Programm, das kostet auch viel Geld, aber geht von der Grundannahme aus, wir können uns nicht alle neu backen, sondern wir wollen gerne mit den Menschen, die viele Fähigkeiten haben, weiterarbeiten und ihnen die Nächsten, die sie auch noch zusätzlich brauchen, erlernen zu lassen. Das können technische Expertise-Themen sein, also funktionale oder technische. In den meisten Fällen sind es allerdings Bereiche, die was mit dem Verhalten zwischen Mensch und Mensch zu tun haben. Und das kann man, wenn man mit erwachsenen Menschen zu tun hat, relativ langsam nur verändern. Also braucht es hier viel, viel Kommunikation und viel, viel Einwirkung. Immer vorausgesetzt, derjenige, den man mitnehmen möchte, die Gelegenheit geben möchte, auch will. Es gibt so einen Grundsatz im Leadership Development oder People Development, man kann niemanden entwickeln, wenn er nicht will. Das ist die Grundlage.

Joel Kaczmarek: Das wollte ich dich als nächstes gerade fragen. Was sagt die Erfahrung? Verliert man viele Menschen auf dem Wege von dem alten zu dem neuen und bisherigen Ansätzen zu diesem Servant Leadership?

Magnus Lambsdorff: Eigentlich muss das überhaupt nicht so sein. Wenn man den Menschen zutraut, dass sie lernen können, dann liegt es natürlich an ihnen, wie eben gesagt, dass sie auch lernen wollen. Und wenn man ihnen die entsprechenden Angebote macht, auch auf faire Art und Weise, natürlich kann man nicht von allen erwarten, dass sie nun die ganze Zeit übers Wochenende irgendwelche Dinge büffeln, in Anführungsstrichen, sondern das ist schon etwas, was über die vielleicht normale Arbeitszeit hinausgehen kann, weil man investiert ja in sich selbst. Da kann man schon erwarten, dass man sich Inhalte anschaut oder mal ein Buch liest oder zu einem Seminar geht, auch mal an Abenden, ohne dass es zur Arbeitszeit gehört. Also das ist eine Frage der Unternehmenskultur. Das Unternehmen zahlt sehr viel auf die Umsetzung der eigenen Strategie ein, je mehr Sie den Menschen helfen, sie auch umzusetzen.

Joel Kaczmarek: Ich rede jetzt gar nicht von euren Mitarbeitern konkret, aber was ich insgesamt in der Welt da draußen beobachte, ist, dass viele Menschen es schon, glaube ich, auch ganz gerne mögen, wenn sie nicht einen Servant haben, sondern selbst der Servant sind. Also wenn sie quasi Sachen vorgegeben bekommen, wenn sie gesteuert werden. Das ist für viele, glaube ich, gar nicht so einfach, oder?

Magnus Lambsdorff: Wie gesagt, das ist auch wieder eine Frage des Menschenbildes. Ich glaube auch, dass es immer viele Menschen gibt, die sich darauf zurückziehen, eine definierte Aufgabe zu machen, denen es sowohl am Talent oder auch am Interesse der eigenen Gestaltung mangelt. Bei Menschen, die wir bei uns im Unternehmen zum Beispiel haben, die meisten von denen sind für das, was sie gerade tun, sehr gut ausgebildet. Und wir haben zum Beispiel in der Fertigung einen Ansatz, dass jeder sich immer für weitere Fortbildungen freiwillig melden kann und sagt, ich möchte gerne auch noch diese Fertigkeit oder jenen Ansatz in der Produktion für ein bestimmtes Produkt, für eine andere Fertigungslinie lernen. Nur dadurch, dass jemand einen nächsten Ausbildungsgang absolviert hat, hat man schon die Möglichkeit, andere Aufgaben zu übernehmen. Klar, das qualifiziert einen dafür, aber eben auch unter Umständen mehr Geld zu verdienen. Das heißt, da wird nicht belohnt, dass man anstatt 100 Teile 150 hergestellt hat, mit derselben Fertigkeit, die man vorher hatte, sondern man wird damit auch finanziell belohnt, dass man in sich selber investiert und was Zusätzliches gelernt hat.

Joel Kaczmarek: Ich meine, man merkt ja, das ist ja vieles auch Mindset. Mir geht es immer so, ich habe immer gedacht, jeder Mensch strebt danach, in der Karriereleitung nach oben zu steigen. Ja, und dann merkst du, ist gar nicht bei allen so. Ich finde, lustigerweise kann man das bei so Polizeifilmen oft gut sehen. Du hast so Top-Detectives, die Verbrecher überführen, haben eine Aufklärungsquote von 70, 80 Prozent. Dann sollen die so Lieutenant oder Captain werden. Zerstört die, weil die dann auf einmal nur noch Akten wälzen und gar nicht so ihre Talente ausleben. Also muss man sich vielleicht immer vergegenwärtigen. Was ich jetzt mit dir noch ganz kurz mal durchgehen möchte, ist eine Implikation, die nämlich mit dem ganzen Jahr einhergeht. Du hast ja gerade schon gesagt, es geht darum, dass man die Leute schult, dass man sie mit Ressourcen versieht, dass wir eine Fehlerkultur haben und dass es einen Purpose gibt, der das alles überdacht. Jetzt gibt es ja aber dieses riesige, empfundene Damoklesschwert oder diese Angst von Kontroll- und Machtverlust bei denjenigen, die momentan nicht Servant-Leader sind, sondern nur Leader. Wie reagiert man darauf? Wie geht man damit um? Weil es gibt ja immer diesen schönen Satz, mit großer Macht kommt große Verantwortung. Große Freiheit ist große Macht. Wie regelt man sowas, dass man Macht und Kontrollverlust in einer Organisation so abgebildet bekommt, dass das insgesamt funktioniert? Oder Machtverlust bei Einzelnen quasi auf die Organisation gesund übertrieben?

Magnus Lambsdorff: Meinst du, dass die mit den Erwartungen, die an sie gestellt werden, auch wirklich umgehen und nicht sich zu sehr beschnitten und alleingelassen?

Joel Kaczmarek: Wie sieht das Modell eigentlich aus? Also wenn es bisher so war, bei der Bundeswehr sagen die, glaube ich, immer, die Scheiße fällt nach unten, haben wir mal gesagt. Der General und dann kommt da drunter irgendwie die unteren Ränge. Also in der Vergangenheit war es so, ich war der Leader, ich habe über alles Kontrolle gehabt, über alles Transparenz, ich habe alles gesteuert, mittlerweile ist es dezentral. Ich weiß gar nicht, was vielleicht in meiner Organisation passiert oder ich habe eine Vorhut, die weiß Sachen, bevor ich sie weiß. Wie kriege ich das hin, dass ich an Macht und Kontrolle verliere und die Organisation trotzdem besser dasteht?

Magnus Lambsdorff: Also da gibt es nicht nur einen Weg. Es gibt nicht nur eine Weisheit. Jede Organisation wird da einen anderen Weg für sich finden. Ich glaube, wir müssen ganz besonders darauf aufpassen, das haben wir am Anfang schon einmal erwähnt, dass wir sowohl denjenigen, die an Macht und Kontrolle aufgeben, als auch diejenigen, die sie neu übertragen bekommen, die Sicherheit geben, sich in dieser neuen Rolle auch erst zurechtfinden und beweisen können. Das heißt, dazu gehört Geduld, sicher auch Großzügigkeit, aber natürlich mit Grenzen, weil wirtschaftliche Organisationen können eben nur existieren, wenn sie auch so bleiben.

Joel Kaczmarek: Ich meine, ich persönlich gehe auch fest davon aus, dass man auf dieser Reise nicht mitnehmen kann. Manche werden gehen, von manchen muss man sich vielleicht trennen. Und was aber für mich so das Dach ist, die Frage, die über dem Ganzen steht, ist, wie kann ich es schaffen, dass diejenigen, die Probleme haben, diese Kontrolle abzugeben, die damit Schwierigkeiten haben, dass ich denen diesen Umstieg erleichtere.

Magnus Lambsdorff: Also bei denen, die Führungsverantwortung tragen, gibt es überraschend viele, die eigentlich das Führen selbst als Belastung empfinden, weil sie Verantwortung übertragen bekommen haben aufgrund von Erfolgen, die aber eher mit Expertise, mit funktionalem Wissen, mit so einem Expertentum zu tun haben. Und denen wurden immer mehr Mitarbeiter, Bereich, Verantwortung übertragen und irgendwann brechen daran. Wenn man das frühzeitig erkennt, dann kann das einhergehen mit dem, was wir im Moment in der Organisation insgesamt vollziehen, dass man Menschen Aufgaben und Projekte gibt, die mit ihrer ureigenen Expertise und Interesse und Begeisterung zu tun haben. die sie aber entlastet von der Verantwortung für andere Menschen. Das sehen wir auch bei uns im Unternehmen, dass es da Fälle gibt, die aufblühen dadurch, dass sie sich endlich auf das konzentrieren, wieder konzentrieren können, was ihnen durch den Umgang mit der Führungsverantwortung an Zeit geraubt hat.

Joel Kaczmarek: Vielleicht können wir auch noch mal einen Schritt weitergehen. Was ich die ganze Zeit so überlegt habe, als du gesprochen hast, war das Thema Incentives, also Anreize schaffen. Weil ich glaube, es gibt relativ häufig die Situation, dass jemand sagt, ich installiere jetzt mal eine Fehlerkultur und ich mache jetzt mal Servant Leadership, aber er bildet es in seinen KPIs überhaupt nicht ab, sodass gar kein Anreiz besteht, für die Mitarbeiter nach diesem Konzept zu leben. Wie müsste bei Servant Leadership ein Anreiz aussehen, dass man diese Denke quasi geneigt ist, umzusetzen?

Magnus Lambsdorff: Die Grundprinzipien früher waren ja kurzfristig und direkt individuell, um das mal so zu verkürzen. Was sich bei vielen Unternehmen mittlerweile hinentwickelt zu mittel- bis langfristig, nicht individuell, sondern mindestens Team oder Gesamtunternehmen. Je größere Verantwortung, wenn man jetzt mal wieder in der eher traditionellen Betrachtung bleibt, also je weiter oben, in Anführungsstrichen, du in der Organisation bist, umso eher solltest du dadurch initiativiert werden, dass das Gesamtunternehmen gut läuft. Bosch hat das zum Beispiel gerade so gemacht. Und dieses individuelle, kurzfristige Überführen in mindestens Team und langfristig. Ich glaube, das ist zu beobachtende Praxis und hilft ja dabei, das Blaming von einem zum anderen, wenn jemand einen Fehler gemacht hat, zu entschärfen, weil das Team ist zusammen in einem Boot, wird gemeinsam inzentiviert, mittelfristig und nicht nur auf den kurzfristigen Erfolg.

Joel Kaczmarek: Vielleicht kannst du auch noch mal ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern. Wie macht ihr es denn bei VIESSMANN, dass ihr schult und gleichzeitig messt, also abfragt? Ich sage mal, schulen und trainieren versus KPIs setzen und abfragen, ob Schulung auch angekommen ist, sage ich mal.

Magnus Lambsdorff: Also das Schulen bezieht sich ja zumeist auf die Weiterentwicklung des Verhaltens. Anderes Verhalten sich anzueignen und in das Tägliche einzuweben sozusagen. Schulung, über die wir heute sprechen, hat weniger mit funktionaler Expertise oder technischen Fertigkeiten zu tun. Das läuft auch sehr intensiv, natürlich muss immer sein, aber dieser Veränderungsprozess hat ja hauptsächlich mit Verhaltensveränderungen zu tun. Und diese Verhaltensveränderungen beobachten ja die Menschen um die Führungskräfte herum. Das heißt, wir fragen regelmäßig, wir nennen das Pulse-Check, beobachtest du gemäß der neuen sogenannten Leadership Practices, die wir erarbeitet, definiert und auch kommuniziert haben, eigentlich eine Veränderung des Verhaltens deiner unmittelbaren Peers und Vorgesetzten oder derjenigen in deinem Umfeld. Und wenn man das öfter macht, sieht man Trends. Und interessanterweise sieht man auch Trends, die folgen einzelnen Menschen. Nämlich wenn Menschen andere Aufgaben übernehmen, dann verändern sich da wieder die Werte. Das war aber immer schon so, auch in anderen Unternehmen. Nur das sehen wir jetzt, weil wir es jetzt auch wirklich konkret messen.

Joel Kaczmarek: Gibt es da Tools, mit denen ihr arbeitet, die du auch empfehlen kannst? Oder ist das relativ bodenständig, einfach Mitarbeiter umfragen?

Magnus Lambsdorff: Eigentlich sind das digital basierte, möglichst einfach, möglichst simpel, möglichst schnell, möglichst smartphonebasiert. Wie alles muss heute auch sowas schnell, einfach, leicht verständlich sein. Wir haben eine sehr hohe Teilnahmequote. Wir waren am Anfang besonders hoch. Dann, weil es vielleicht ein bisschen intensiv war, hat sich etwas abgenommen. Jetzt haben wir den Rhythmen angepasst und auch die Themen. Wir fragen auch solche Themen wie, verstehst du eigentlich die Strategie des Unternehmens? Daraus kann man gut ableiten, ob diejenigen, die die Strategie eigentlich erklären und nahe bringen sollen, auch in dieser Hinsicht effektiv sind. Also man kann da ja verschiedene Dinge machen. Aber das Führungsverhalten, was wir versuchen wirklich zu verändern und zu entwickeln, kann man dadurch wunderbar beobachten.

Joel Kaczmarek: Abschließende Frage. Jetzt haben wir viel über die Qualifikation dieses Ansatzes geredet, warum der gut ist, warum er notwendig ist. Gibt es auch Dinge, die du feststellst, die sozusagen negativ sind? Also hat man hinterher auch Nachteile, wenn man irgendwie mit Servant Leadership arbeitet, die man mit anderen Ansätzen nicht hätte?

Magnus Lambsdorff: Also du hattest es ja erwähnt, dass es immer noch Menschen und viele gibt, die gerne eigentlich Vorgaben bekommen und die irritiert sind, wenn sie anstatt einer Vorgabe eine Frage gestellt bekommen. Weil die Frage nötigt sie zum Nachdenken und selber entscheiden. Und manche sind in dieser Verhaltensveränderung und diesem Annehmen dieser neuen Möglichkeiten schneller und manche halt langsamer. Und ich glaube, dass unterschiedlichen Geschwindigkeiten als Führungskraft, der abgeben soll und will und delegieren möchte und Verantwortung zu den Menschen zu geben, dieses Gespür zu haben, wem kann ich was wie schnell zumuten und zutrauen und wem? vielleicht etwas langsamer, das ist für gerade jüngere Führungskräfte nicht ganz einfach. Und dadurch können natürlich Missverständnisse, Drucksituationen entstehen, wo wir wiederum den Führungskräften in dieser Transition sozusagen helfen müssen, damit umzugehen. Ich glaube, das ist einer der Faktoren, auf die wir sehr achten müssen.

Joel Kaczmarek: Gut, hervorragend. Also wir fassen mal zusammen, Servant Leadership, komplette Abkehr von vielen Dingen, die man vielleicht bisher so im Management zumindest wahrnimmt, also nicht mehr top-down, Kontrolle lässt nach, Zentralität geht zurück, dafür mehr Enablement, wo wir gesagt haben, man braucht einen Purpose, den man vorgibt, man muss ein Gefühl der Sicherheit schaffen, es ist wichtig, eine Fehlerkultur zu haben. und dann kommt es quasi darauf an, diese Freiheit auch zu unterfüttern, indem man quasi Verantwortungsermöglichungen macht, indem man schult, Expertise gibt, Ressourcen beisteuert und generell auch die ganze Kommunikation der Organisationen. Es hat wie immer viel Spaß gemacht mit dir.

Magnus Lambsdorff: Danke, gute Fragen.

Joel Kaczmarek: Ja, das ist ein schönes Thema auch irgendwie. Also ich möchte auch, dass mehr Menschen mal diesen Gedanken irgendwie, weil ich sehe das schon relativ oft, diesen Bossy-Style und ich habe so darüber nachgedacht, als du das gesagt hast, was ich jetzt eben mal so kurz zusammengefasst habe, bei vielen Startups ist das nicht so. Also da hast du so diesen Aspekt mit viel Verantwortung, aber eigentlich die anderen Sachen nicht.

Magnus Lambsdorff: Ich finde, das ist eklatant zu beobachten, dass da viele junge Menschen natürlich naturgemäß in Startups arbeiten, ihnen sehr viel Verantwortung gegeben wird, weil man glaubt an flache Hierarchien und direkte Verantwortung und so weiter. Aber in der Regel, das, was wir vorhin besprochen haben, nicht übertragen und bereitgestellt wird, nämlich die richtige Ausbildung und die richtigen Ressourcen. Das heißt, da werden viele junge Menschen, die zum ersten Mal professionelle Arbeitserfahrung sammeln, mit einer Situation konfrontiert, von der sie gar nicht wissen, dass sie ungerecht ist. Sondern sie nehmen an, das ist immer so, weil es das erste Arbeitsumfeld ist, was sie spüren. Und ich glaube, da sind Unternehmer und Gründer von Startups ganz besonders gefordert, mit Augenmaß und Verantwortung junge Menschen an diese Aufgaben ranzuführen und sie nicht zu verbrennen, indem man sie irgendwie nicht heben ins Wasser, sondern dann ins Feuer schmeißt.

Joel Kaczmarek: Ein besseres Schlusswort hätte ich nicht sagen können, lieber Magnus. Vielen Dank und ich freue mich schon aufs nächste Mal mit dir.

Magnus Lambsdorff: Danke dir. Spaß gemacht.