Mit dem Tribe-Modell das Kerngeschäft transformieren

22. März 2021, mit Joel Kaczmarek

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Joel Kaczmarek: Hallo und herzlich willkommen zu einem neuen Transform-Podcast von digitalkompakt. Mein Name ist Joel Kaczmarek und heute tauchen wir ein in die Transformation des Kerngeschäfts. Wir haben ja bisher in der Transformationsreihe sehr viel darüber geredet, wie erschließe ich mir neue Bereiche, wie mache ich das sozusagen on playing field, also wenn es komplett neu gestartet wird. Und heute sollen wir wirklich mal dazu übergehen, mal Kerngeschäft zu betrachten und durchaus auch mal Kerngeschäft, was vielleicht gar nicht so tech-lastig ist, wie man das manchmal gerne hätte. Also, wie mache ich eigentlich Transformation, wenn es sich nicht um IT handelt? Das ist heute unser Thema und wir betrachten auch ganz viele Organisationsansätze, die ihr hier in der Reihe schon mal gehört habt, die wir aber vertiefen wollen. Zum Beispiel, wie funktioniert es eigentlich, wenn ich mich in Tribes organisiere, wie mache ich Planungen, wenn ich mit Sprints arbeite und vieles, vieles mehr. Und dazu habe ich einen super spannenden Gast, nämlich den lieben Andreas Reinhold. Hallo Andreas, schön, dass du da bist.

Andreas Reinhold: Hallo Joel, auch von meiner Seite aus ganz herzlich willkommen und vielen Dank, dass du mir hier Time on Air gibst.

Joel Kaczmarek: Danke, dass du dein Wissen teilst. Ich habe gelernt, du bist einer von 18 Tribe-Leads der Signal Iduna Gruppe, was sich so entlang der ganzen Kundenanliegen bei euch wohl baut. Ihr seid in Tribes organisiert, da können wir ja gleich mal zu reden, was das genau bedeutet. Aber sag doch mal ganz kurz, wo du bisher so herkommst, was dein Background ist und was du eigentlich genau tust.

Andreas Reinhold: Man hört es vielleicht so ein bisschen durch, ich bin von Haus aus Schwabe. Ich wohne aber in Köln, habe einen Chef in Dortmund und dienstet jetzt in Hamburg. Insofern kennen wir uns wahrscheinlich schon irgendwie aus der Bundesbahnlounge oder vom Flughafen. Ich bin handelsüblicher Betriebswirt, habe eigentlich nach einer kurzen Beratungszeit das meiste meines Berufslebens in der Versicherungsbranche verbracht. 18 Jahre bei Adaxa in unterschiedlichsten Funktionen, unter anderem auch im Kostencontrolling, wie sich das für einen ordentlichen Schwaben gehört. Aber seit 2010 eigentlich nur noch Kompositversicherungsthemen. Kompositversicherung, das ist praktisch Sachversicherung, mein Haus, Autoversicherung, mein Auto, aber auch Unfallversicherung und zwar sowohl im Privatkundengeschäft als auch im gewerblichen Geschäft. Ich bin seit 2017 bei der Signale Duna, dort für genau dieses Sachhaftpflichtgeschäft verantwortlich. Das ist ein Portfolio von bisher etwa einer halben Milliarde. Seit Anfang des Jahres sind wir jetzt im Tribe für etwa 1,2 Milliarden Euro Beitragseinnahmen verantwortlich. Wow, krass.

Joel Kaczmarek: Gut, also wir lernen, du hast einen wichtigen zentralen Bereich, der aber wie gerade angedeutet wahrscheinlich schwierig oder herausfordernd zu digitalisieren ist. Hast du so deine Top 3 Vorher-Nachher-Momente? Also hast du sozusagen, wenn du gerade gesagt hast, du warst lange Jahre bei der AXA, dass du jetzt so Elemente hast, wo du denkst, wow, das war früher total anders und jetzt ist es sehr viel digitaler und das hat folgende Effekte. Hast du so Elemente bei dir?

Andreas Reinhold: Ich glaube, da sind wir mitten in der Reise. Das ist zu früh, um zu sagen, man kann da schon eine wesentliche Transformation beobachten. Aber ich gebe dir mal vielleicht zum Beispiel, wo man sehen kann, welche Herausforderungen wir vor uns haben. Die Versicherungswirtschaft ist ja sehr stark so eine Branche, die auch vom Sprachgebrauch her auf Antrag Versicherungsschutz gewährt. So sagt man, das ist auch wirklich die rechtliche Situation. Wir gewähren auf Antrag Versicherungsschutz. Und dieser Mindset, der ist ja ganz, ganz tief drin bei den Menschen und bei den Mitarbeitern. Und das war auch alles kein Problem, so vor 20, 30 Jahren, als die Versicherungsindustrie reguliert war und man eben nur nach behördlicher Prüfung überhaupt mal ein Produkt auf den Markt bringen konnte. Da war diese Verhaltensweise und diese Kultur vollkommen angemessen. Aber mittlerweile sind wir halt in einem komplett anderen Umfeld. Wir sind eigentlich ein Konsumgüterindustrie und wir stehen auch mittlerweile auch im Mitbewerb mit Unternehmen, die genau dieses Mindset mitbringen, die also nicht mehr auf Antrag Versicherungsschutz gewähren, sondern die um Kunden kämpfen. Und genau das ist das Thema, was wir bei uns auch mit reinbringen möchten und mit reinbringen müssen. Und das war einer der wesentlichen Gründe, weshalb wir gesagt haben, wir wollen uns agil transformieren und wir wollen eben weg von der Struktur, wo es Abteilungen und Bereiche und Hauptabteilungsleiter gibt, hin zu Squads und Tribe Leads und Communities of Practice.

Joel Kaczmarek: Wir müssen uns da doch mal genau eintauchen. Also wie muss ich mir das vorstellen? Was bedeutet es, ein Tribe-Lead zu sein? Was ist überhaupt ein Tribe? Also Tribe kenne ich, wenn ich irgendwie bei einem Streaming-Dienst meiner Wahl mir irgendwie eine Fernsehserie von vor 100 Jahren angucke, wo man noch als Wilde mit den Speeren durch die Gegend lief. Also Stamm steckt ja da irgendwie drin. Aber ist das sozusagen der Gedanke, dass man sagt, ich habe so kleine Stämme, die alle separat, parallel arbeiten? Oder lass uns einfach wirklich mal basic starten. Was genau meint das eigentlich?

Andreas Reinhold: Das ist genau die Idee dahinter. Also ich habe mir auch schon die Frage gestellt, was ist denn eigentlich ein Tribe Lead und was ziehst du als Tribe Lead an? Und habe mir auch schon mal Gedanken gemacht, was denn ein geeignetes Outfit ist. Also Tribe Lead ist tatsächlich, wenn es wörtlich übersetzt, Stammesfürst. Und das ist halt was anderes als ein Abteilungsleiter oder als ein Bereichsleiter. Die klassischen Organisationen sind ja sehr stark sozusagen ein bisschen in Stein gemeißelt. Da machst du dann Organigramme und da ist es eben wichtig, die möglichst selten zu verändern, damit man nicht so oft die Organisation umbauen muss. Und ein Tribate ist alles komplett anders. Das ist ein loser Verbund, wo man nicht eine Weisungsbefugnis hat. Die Xerox-Indianer können ja den Apachen keine Weisung erteilen, sondern man ist darauf angewiesen, dass man sich da gegenseitig miteinander verzahnt, sich gegenseitig abspricht. und sich darüber verständigt, was für Ziele man verfolgt, statt sich jetzt sozusagen genau gegenseitig vorzuschreiben, was man zu tun hat. Und das ist, glaube ich, so der Kern dieser Transformation, die wir vor uns haben. Und deswegen haben wir halt jetzt plötzlich ein Tribe-Lead und keinen Bereichsleiter mehr.

Joel Kaczmarek: Und wie schafft ihr trotzdem, dass diese ganzen Stämme in irgendeiner Form am gleichen Strang ziehen? Also wie koordiniert man das Ganze? Ist es einfach so, man gibt quasi ein Ziel und ein Werteset vor und lässt das dann so runterregnen auf seine ganzen Stämme? Oder wie muss ich mir das vorstellen?

Andreas Reinhold: Das kommt natürlich einerseits von oben, im Sinne von, dass das Unternehmen als ganzes Ziel hat und sich daraus dann auch für die einzelnen Tribes bestimmte Ziele ableiten. Aber das ist auch ein wesentlicher gegenseitiger Austauschprozess, wo wir eben sicherstellen möchten, dass die Tribes unterm Strich nachher am gleichen Strang ziehen und koordiniert miteinander vorgehen. Das Ganze hast du natürlich dann auch innerhalb der Tribes. Ich habe beispielsweise neun Squads. Das sind sozusagen Spots. Die Unterstämme, die haben alle jeweils unterschiedliche Ziele und es ist auch wichtig, dass die unterschiedliche Ziele verfolgen. Denn unser Geschäft ist auch sehr heterogen. Da gibt es ganz, ganz unterschiedliche Kundensegmente und ganz, ganz unterschiedliche Herausforderungen, denen man da auch begegnet. Also ich gebe dir mal ein Beispiel. Im Kfz-Geschäft haben wir heute schon eine sehr starke Digitalisierung. Und 29 Prozent des Kfz-Neugeschäfts gehen heute schon über digitale Kanäle, also über Online-Abschlüsse oder über die verschiedenen Vergleiche. Und ein durchschnittlicher Kfz-Vertrag hält vielleicht drei Jahre. Da hast du eine ganz andere Umdrehungsgeschwindigkeit und auch ein ganz anderes Marktumfeld als beispielsweise in der Unfallversicherung. Die strichst du normalerweise einmal im Leben ab und dann behältst du die idealerweise so für 20, 30 Jahre. Hast ganz, ganz geringe Stornoquoten, ganz, ganz lange Standzeiten. Das sind komplett unterschiedliche Kundensegmente und auch komplett unterschiedliche Marktbereiche und für jeden dieser Bereiche haben wir dann eine eigene Squad, die sich halt dann richtig reinfräst in das, was die Kunden dort haben wollen, was die Wettbewerber dort machen und dann entsprechend darauf reagiert und dann auch so weit wie möglich eben autonom agiert. Aber natürlich hast du auch da die Herausforderung, dass man sich da gegenseitig verzahnen muss. Beide Squads, um jetzt mal bei diesen Beispielen zu bleiben, kämpfen um die gleichen IT-Ressourcen, kämpfen um die gleichen Vertriebsressourcen und deswegen ist da auch ein ganz, ganz großes und intensives Alignment zwischen diesen Squads notwendig.

Joel Kaczmarek: Ich versuche immer noch so nachzuvollziehen, ist da wirklich in der Organisationsstruktur etwas anders, als es bisher so war? oder ist das nur ein schöner neuer Name? Weil man könnte ja auch sagen, das nennt man irgendwie Bereichsleiter oder Abteilungsleiter und Unterabteilungsleiter statt irgendwie Tribe und Squad, wäre ja auch denkbar. Gibt es in der Arbeitsweise auch noch irgendwie signifikante Unterschiede im Vergleich zu vorher?

Andreas Reinhold: Ja, wir haben in der Vergangenheit sehr stark über Projekte mit so wasserfallartigen Vorgehen gearbeitet. Das heißt, man hat sich da bestimmte Ziele gesetzt und dann eben Anforderungen runtergebrochen. Und die Anforderungen sind dann, wenn die IT irgendwann mal Zeit hatte, auch in IT zurückzugehen. umgesetzt worden. Heute ist das viel stärker miteinander verzahnt. Also Discord-Mitarbeiter, egal aus welcher Disziplin die gerade kommen, egal ob die jetzt zum Beispiel aus dem Produktmanagement oder aus dem aktuellen Yard oder aus dem Vertrieb oder auch aus dem IT-Bereich kommen, die sitzen alle zusammen, überlegen, was braucht ein Kunde, wenn er auch verstärkt durch User Research, die wir in der Vergangenheit so gut wie gar nicht hatten, Und da kommen dann Lösungen raus, wo eben von vornherein auch jedem Squad-Mitglied klar ist, okay, in welche Richtung geht das? Und dadurch ist eine ganz andere Vorbereitung auch beispielsweise bei der IT-Realisierung, um das dann zeitnah nach draußen zu realisieren und eben auch so zu gestalten, dass das den Kunden Spaß macht, mit uns in den Verkauf zu gehen und bei uns die Produkte zu kaufen. Ist das eine komplette Kehrtwendung von dem, was wir früher gemacht haben? Das würde ich nicht sagen. Also wir haben durchaus auch in den vergangenen Jahren schon Elemente dieser Vorgehensweise angewendet. Und beispielsweise auch unsere letzte Privatkundenpalette, die derzeit am Markt ist, die haben wir schon sehr stark mit solchen Arbeitsweisen entwickelt. Aber wir haben das eher intuitiv gemacht und auch eher so ein bisschen auch von Wohl und Weh der einzelnen Teilprojektleiter abhängig gemacht. Wie agil man dann gearbeitet hat. Und das wollen wir jetzt einfach weniger dem Zufall überlassen. Das wollen wir systematisch machen. Und wir wollen das eben in der ganzen Breite machen. Also früher halt eine Produktentwicklung oder vielleicht zwei Produktentwicklungen, die man so gemacht hat. Und jetzt, wie gesagt, wir haben neun Squads, die praktisch parallel vorgehen und nach der gleichen Methodik das Geschäftsfeld voranbringen möchten.

Joel Kaczmarek: Und wenn du jetzt mal dich so zurückerinnerst an die Monate oder Wochen und Monate, als dieses neue System vorgestellt wurde, mit der Einführung begonnen wurde, hast du in der ersten Sekunde gedacht, was ist das denn für ein Quatsch? Oder ist dir gleich aufgegangen, oh ja, das löst ganz viele der Probleme, die ich über die Jahre in der Organisationsstruktur immer schon wieder festgestellt habe. Also wie war so deine initiale Resonanz auf dieses System?

Andreas Reinhold: Das war sowohl als auch. Also viel alter Wein in neuen Schläuchen. Und wir haben deswegen auch uns im Markt ziemlich intensiv umgeschaut. Also was machen andere Industrien, was machen andere Mitbewerber? Haben insbesondere dann auch in Holland uns sehr genau angeschaut, was die ING beispielsweise macht. Die hat das ja in Holland schon praktiziert, bevor die das dann in Deutschland angewendet hat. Und wir haben das sehr intensiv auch mit dem Senior Management über die Do's und Don'ts einer solchen Transformation uns unterhalten. Da kam immer wieder so dieser Punkt hoch. Also zum Teil machen wir das schon. Das war so die eine Sorge. Die zweite Sorge war, schmeißt man jetzt hier die ganze Organisation über den Haufen und funktioniert das nachher alles? Weil ob man das jetzt so einfach aus dem Bankenbereich übertragen kann, im Versicherungsbereich, das war unklar. Und da haben wir auch in vielen Bereichen Neuland betreten. Ganz ehrlich, ob da schon alle Räder ineinander greifen, da habe ich so meine Zweifel. Also ich glaube, dass wir uns da durchaus noch ein paar Crunch-Perioden durchhangeln müssen, bis sich die Zahnräder gegenseitig so eingeschliffen haben. Auch so das Thema, ich meine, ein tolles Beispiel ist ja Spotify. Cool, also eine Squad bei Spotify beschäftigt sich mit dem Play-Button. Okay, die können auch relativ autonom agieren, springen dann auf dem Release-Train auf. alles gut und schön, kann man das auf die Versicherungswirtschaft übertragen. Das funktioniert so ohne weiteres nicht, weil du hast halt nicht diese Autonomie. Du hast gerade im Unternehmen mit 5000 Mitarbeitern und mit 6 Milliarden Prämieneinnahmen, hast du eine ganz andere Art von Arbeitsteilung, als du das beispielsweise bei Spotify hast. Das sind so die Sorgen, die ich habe und die auch meine Tribelead-Kollegen haben. Also wir wissen noch nicht, ob das wirklich alles so funktioniert und werden da sicherlich auch noch ein. Auf der anderen Seite glauben wir, dass Aufbrechen der Organisation und das Umklappen in diese neue Organisationsform auch sehr viele Verkrustungen löst. Und das ist sicherlich mit einem gewissen Schmerz verbunden. Das wird sicherlich auch ein bisschen Kollateralschaden hinterlassen an der einen oder anderen Stelle. Aber wir glauben, dass der Nettoeffekt, der entsteht, auch wenn man diese Schwierigkeit mit berücksichtigt, dass der uns nach vorne bringt und uns einfach eine bessere Position bringt. Eben raus aus dieser Kultur des Ich-gewehre-Versicherungsschutz rein in Wir-kämpfen-in-einem-Konsumgüter-Markt, das uns da erheblich voranbringt.

Joel Kaczmarek: Jetzt hast du es ja vorhin so schön verglichen mit irgendwie den Apachen und den Sioux. Ich glaube, Sue, wie sagt man, glaube ich, eigentlich? Den, weiß ich nicht, Shoshonen. Also ihr habt unterschiedliche Indianerstämme in Anführungsstrichen bei euch. Was ist denn deine Rolle? Bist du der Häuptling? Bist du so der Sitting Bull, der dann quasi die ganzen Squads koordinieren muss? Was genau ist eigentlich dein Aufgabenbereich?

Andreas Reinhold: Also ich bin einer von 18 Tribeleads, wobei die Tribeleads ganz unterschiedliche Funktionen haben. Also wir haben, du hattest das vorhin mal kurz angesprochen, uns so ein bisschen auch nach Kundenanliegen aufgestellt. Der Kunde wird aufmerksam auf eine bestimmte Versicherung, der Kunde kauft dann eine Versicherung, dann hat er die gekauft, dann möchte er den Service erleben und last not least, er möchte dann auch mal eine Leistung erhalten, wenn er zum Beispiel dann mit dem Auto einen Unfall gehabt hat oder wenn er aus dem Urlaub zurückkommt und dann steht im Keller das Wasser. Das ist praktisch genau der Schnitt, den wir auch für uns Tribeleads gewählt haben. Und es gibt eben unterschiedliche Tribeleads, die dann entlang dieser Customer Journey für die unterschiedlichen Kundenanliegen zuständig sind. Wie gesagt, es gibt 18 davon. Ich bin einer von fünf, die sich mit Lösung kaufen beschäftigen. Und die anderen, die Lösung kaufen machen, die sind beispielsweise in der Lebensversicherung unterwegs, in der Krankenversicherung unterwegs. Und in der Kompositversicherung tätig, wo es um das persönliche, private Eigentum geht, aber auch um das betriebliche Eigentum. Und wir haben natürlich auch große Abhängigkeiten. Also die Lösung verkaufen können wir nur dann, wenn vorher die Kunden auf uns aufmerksam geworden sind. Deswegen habe ich einen ganz, ganz intensiven Austausch auch mit den anderen Tribe-Leads, die für Aufmerksamwerden zuständig sind. Die ist vielleicht so eine Marketing-Vertriebsnahe-Funktion, wenn man in der klassischen Sprache spricht. Ich bin natürlich auch im ganz, ganz engen Austausch mit unseren Lösungen erhalten. Tribe Leads, weil das macht wenig Sinn, dass wir sozusagen in den Produkten den Kunden was versprechen, was nachher die Kollegen nicht liefern können. Und ich bin natürlich auch im intensiven Austausch mit den IT-Kollegen, auf deren Gnade und Unterstützung ich eben auch angewiesen bin. Insofern also kein Sitting Bull, sondern einer von mehreren Stammesfürsten, der sich dann auch intensiv abstimmt und intensiv verzahnt mit den anderen, der immer wieder in so einem Verhandlungsprozess ist. Wo habe ich gerade einen Bedarf? Wo kannst du mir helfen? und umgekehrt, wo habe ich was, was ich dir geben kann, damit wir gemeinsam vorankommen.

Joel Kaczmarek: Okay, also eher ein Moving Bull als ein Sitting Bull sozusagen.

Andreas Reinhold: Wenn du mal fragst, was ist anders als früher? Einmal kann man sicherlich darüber streiten, ob jetzt aus Bereich nach Tribe, ob das ein wesentlicher Veränderungsschritt ist. Aber ich glaube auch diese Art und Weise, wie dann sozusagen diese Häuptlinge miteinander agieren, die hat sich krass verändert. Früher war das halt sehr stark. Ich bin mit meinem Vorstand, also mit dem Vorstand, den ich hinberichte, im Austausch. Darüber kriege ich dann die Information, was da im Olymp, im Vorstand besprochen worden ist. Und das ist dann sozusagen maßgeblich für mein Handeln und mein Vorankommen. Heute ist das vielmehr der Austausch zwischen den einzelnen Häuptlingen und dann auch der Austausch innerhalb vom Stamm. Wie kommen wir hier gemeinsam voran? Wer hat was? Wer braucht was? Und wie können wir da sozusagen durch einen geeigneten Austausch oder durch eine Verzahnung gemeinsam vorankommen?

Joel Kaczmarek: Gut. Wie führt man und organisiert man so einen Tribe? Also was ist die Organisationsform und wie gestaltest du auch deinen Führungsstil?

Andreas Reinhold: Ich glaube, das ist eigentlich auch der Bereich, wo sich die größten Veränderungen ergeben. Also du brauchst natürlich, damit dieser Austausch zwischen den Tribes, zwischen den Stammesfürsten stattfinden kann, brauchst du gewisse Formate. Das ist bei uns insbesondere der Quarterly Business Review, über den dann der laterale Austausch mit meinen Kollegen erfolgt. Und wir haben dann innerhalb des Tribe auch eine ganze Reihe von Austauschformaten, um dann sicherzustellen, dass die Unterstämme des Squads in einer guten Art und Weise miteinander vorankommen. Das sind dann die Dailies. In einigen Bereichen ist Daily nicht ganz praktikabel, da geht es dann eher auf Weeklys, wo wir sehr, sehr intensiv auch miteinander uns austauschen. Das ist der Daily-Weekly-Austausch innerhalb der Squads, der dazu ganz wesentlich gehört. Das ist aber auch der Austausch zwischen mir und den Product-Ownern, die dann in den einzelnen Squads die Verantwortung tragen. Das ist aber auch der Austausch zwischen den Product Ownern, mir und den Chapter Leads, die die fachliche Weiterentwicklungsverantwortung für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben. Und wir haben da eine ganze Reihe von Austauschformaten jetzt auch etabliert, um diesen Austausch zu institutionalisieren. sind da natürlich auch sehr stark am Experimentieren. Und ich glaube, dass wir da auch im ersten Quartal, im zweiten Quartal viel wieder über den Haufen werfen werden, was wir jetzt mal ausprobieren. Aber wir werden auch vieles wieder beibehalten. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass wir viel stärker über Ziele führen. Also in der Vergangenheit, wenn ich das jetzt mal ein bisschen überspitzt formuliere, haben wir unseren Mitarbeitern halt immer genau erklärt, was sie wie zu tun haben. Und das tritt in den Hintergrund. Wir gehen jetzt eher auf die Frage, welche Ziele wollen wir erreichen? Und es bleibt dann eher den Mitarbeitern überlassen, wie sie das genau bewerkstelligen. Und das ist sowohl für mich gewöhnungsbedürftig, weil ich habe halt auch ein bisschen Erfahrung, ich habe ja gerade gesagt, seit 2010 eigentlich nur noch Kompositversicherung, da habe ich schon auch gewisse Vorstellungen. wie man eine Kompositversicherung macht, wie man eine Firmenkundenhaftpflichtversicherung macht. Und das heißt für mich jetzt im Wesentlichen auch mal loslassen, Finger weg und mich auf eine Vorgabe fokussieren, ohne jetzt im Detail vorzuschreiben, wie das dann im Einzelnen in Bedingungen runtergebrochen wird oder dann auch nach draußen auf den Markt transportiert wird. Also insofern, das ist für mich ein erheblicher Gewöhnungsprozess. Das ist aber auch für den Mitarbeiter ein erheblicher Gewöhnungsprozess. Und ich kriege da immer wieder auch Rückfragen im Sinne von, jetzt entscheid mal bitte, Andreas. Und dann ist meine erste Reaktion normalerweise immer, was ist denn die Empfehlung? Viele sind da schon dran gewöhnt. Viele Mitarbeiter haben auch selber schon das vorbereitet und kommen dann auch mit entsprechenden Empfehlungen. Aber viele sagen auch, Wieso soll ich jetzt eine Empfehlung abgeben? Das hat doch früher mein Chef entschieden. Das ist halt genau der Punkt, wo wir heute anders zusammenarbeiten. Und genau das ist halt, glaube ich, der Kern einer agilen Transformation. Du hast viel mehr, ich sage mal, Entscheidungsgewalt, auch Empowerment, sodass praktisch die Empfehlungen und Entscheidungen dort getroffen werden können, wo man eben auch draußen ganz, ganz nah am Markt ist. Was weiß ich denn als Tribeat oder was weiß denn mein Vorstand, wie wir in einem bestimmten Kundensegment arbeiten? agieren sollten. Und das ist genau dieser Prozess, der, glaube ich, den größten Unterschied auch ausmacht.

Joel Kaczmarek: Jetzt hast du eben von Chapter Leads gesprochen. Was ist das denn für eine Rolle?

Andreas Reinhold: Die Scots beschäftigen sich sehr stark mit der konkreten inhaltlichen Arbeit. Aber die Scots funktionieren natürlich nur dann, wenn die Mitarbeiter auch entsprechend fachlich qualifiziert und fachlich weiterentwickelt werden. Und dafür sind die sogenannten Chapter Leads verantwortlich. Das sind auch die, die dann letztlich über das H1 File entscheiden. Also wer wird eingestellt? Wo gibt es auch Entwicklungsmaßnahmen? Und das ist eben, wie gesagt, die Verantwortung der Chapter. Damit die Chapter Das machen können gibt es unter anderem den sogenannten Chapter Day. Da treffen sich also alle Menschen, die in den Squads vergleichbare funktionale Rollen wahrnehmen, um sich gegenseitig auszutauschen. Ich gebe dir mal ein Beispiel. User Research brauchst du ja sowohl für die Unfallversicherung als auch für die Kfz-Versicherung. Du brauchst sogar auch für die Krankenversicherung, Lebensversicherung und vielleicht auch für die Hautcreme beispielsweise. Also User Research ist eine gewisse Expertise, die man in unterschiedlichsten Squads braucht. Und es ist natürlich wichtig, dass die User Researcher sich in die unterschiedlichen Squads einbringen. Aber es ist auch wichtig, dass die User Researcher sich gegenseitig austauschen, um immer auf Ballhöhe zu sein. Was sind die aktuellen Trends im User Research? Wie kriegst du raus, was Kunden wirklich brauchen? Und deswegen gibt es beispielsweise das Chapter User Research oder User Interface oder auch zur Kfz-Versicherung. Es gibt Squads, die beschäftigen sich mit Kfz-Versicherung im Neugeschäft. Es gibt Squads, die beschäftigen sich mit Kfz-Versicherung im Bestand oder mit neuer Mobilität. Auch da ist es wichtig, dass die sich regelmäßig austauschen und deswegen gibt es ein Chapter Kfz-Versicherung. Und die Chapter Leads müssen praktisch und wollen sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter auf Ballhöhe sind, was die inhaltlichen Themen angeht, die sie nachher in den Squads vorantreiben. Also du hast da sozusagen so eine Matrix. Die Arbeit wird in den Squads gemacht. Das sind auch die Product Owner, aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen aus den Chaptern und weil die dort eben auf Ballhöhe sind, was die unterschiedlichen Spezialgebiete angeht, haben wir dann in den Squads die inhaltliche Kompetenz, um dann durch ein geniales Zusammenspiel der unterschiedlichen Funktionen kundenorientierte Lösungen zusammenzubauen.

Joel Kaczmarek: Habe ich das richtig verstanden, dass diese Chapter quasi quer über alle Squads rüber liegen? oder hat jedes Squad oder jeder Tribe, Entschuldigung, seine eigenen Chapter?

Andreas Reinhold: Das geht quer. Also ich habe auch in meinen Squads sind Mitarbeiter aus anderen Tribes. Also bei den Schwachfunden hast du dann auch ein paar Apachen mit dabei. Das hilft wirklich dabei, sich dann besser zu verstehen und umgekehrt. Also von meinen Tribe-Mitgliedern arbeiten auch einige in anderen Squads mit, in anderen Tribes. Ich gebe dir mal ein Beispiel. Wir hatten ja vorher gesagt, die Tribes sind so nach den unterschiedlichen Kundenanliegen organisiert. Also Lösung kaufen und Service erleben. Ich gebe dir mal ein Beispiel Kfz-Versicherung. Wenn du Kfz-Versicherung gekauft hast, das ist sozusagen der Fokus von meinen Squads, dann wirst du irgendwann vielleicht an einen Punkt kommen, wo du sagst, ich habe jetzt einen Unfall. Und dann ist natürlich wichtig, dass du sozusagen ein nahtloses Customer Experience hast, in dem Moment, wo du eben nicht nur Kunde bist, sondern eben auch mal eine Leistung von uns erhalten möchtest. Oder du möchtest irgendwas im Bestand machen, du hast vielleicht das Fahrzeug bisher nur auf dich alleine zugelassen und jetzt möchtest du, dass eben auch deine Freundin zum Beispiel mit dem Fahrzeug fahren kann. Was passiert dann? Du möchtest gerne in der Versicherung anrufen oder du möchtest gerne auf den Website gehen und möchtest denen irgendwie mitteilen, dass deine Freundin jetzt auch mit dem Ding fahren soll. Bist ja auch bereit, ein bisschen mehr dafür zu zahlen, alles okay. Aber du hast jetzt keine Lust, da irgendwie stundenlang in Wartestangen zu hängen oder irgendwelche Formulare auszufüllen, mit denen du dich noch nie auseinandergesetzt hast. Und deswegen ist es wichtig, dass eben Leute, die was von der Kfz-Versicherung verstehen, die also in meinem Chapter beheimatet sind, dass die dann auch in einer anderen Tribe mitarbeiten, da wo es nämlich um das Erleben unseres Service geht. Und deswegen ist das, wie du gerade gesagt hast, ist das eben auch querbeet. Also Mitarbeiter aus Chaptern in meinem Tribe, die gehen auch in andere Tribes rein, in dem Moment, wo da eben auch Kundenanliegen tangiert sind, wo ihre Expertise benötigt wird.

Joel Kaczmarek: Aber es ist schon relativ komplex, das zu verstehen, oder? Also man merkt echt, man muss sich da irgendwie eindenken. Die Struktur ist wirklich sehr, sehr anders, weil sie sehr quervernetzt teilweise auch ist, ne?

Andreas Reinhold: Ja, aber da hast du auch zum Beispiel von Spotify ganz gute YouTube-Videos, die das erklären, also längs und quer, also mit dieser Matrix, also mit Squads und mit Chaptern. Ja, das ist Matrix. Matrix ist per Definition erstmal ein bisschen komplizierter als so diese klassische, ich habe hier meine Kamine und klassische festgefügte hierarchische Organisationen. Aber das ist so. Also wenn du irgendwann an einen Punkt kommst, wo du sagst, damit ich konzentrierter bin, muss ich raus aus diesen klassischen Organisationen, wo eben die linke Hand nicht weiß, was die rechte Hand weiß. Dann kommst du zwangsläufig in so eine Matrixstruktur. Und ja, das ist ein bisschen komplizierter. Und kommt noch eines dazu, das ist die Dynamik. In der Vergangenheit hast du halt eine Organisation gemacht und dann hast du vielleicht mal alle fünf Jahre reorganisiert. Aber das ist nicht mehr zeitgemäß. Wir werden eine ganz andere Dynamik auch haben. Wir werden gucken, ob die Squads ihre Ziele erreichen. Wir werden gucken, welche Squads auch ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. und dann werden wir feststellen, okay, bei einem Paar funktioniert das ganz gut und bei einem Paar funktioniert das vielleicht nicht so gut, dann müssen wir das Code auch wieder zumachen. Die Leute brauchen sich keine Angst mehr, einen Arbeitsplatz zu machen. Die sind ganz, ganz klar einen festen Platz in ihrem Chapter. Aber wenn du merkst, dass in einem bestimmten Bereich ein User-Researcher eben keinen Mehrwert mehr bringt, weil es dort nicht genug Nachfragen gibt, dann musst du den User-Researcher an einer anderen Stelle in einen anderen Code einsetzen. Das heißt, diese an sich schon komplexe Organisation, die wird wahrscheinlich nochmal dadurch komplizierter, dass sie sich ständig ändert. Aber das ist halt so.

Joel Kaczmarek: Und was für einen Typ Menschen benötigst du eigentlich als Mitarbeiter und Kollegen dafür? Also hast du für dich schon festgestellt, was so typische Eigenschaften sind, die wichtig sind, um in diesem Setting arbeiten zu können?

Andreas Reinhold: Du brauchst einerseits natürlich wirklich Leute, die was vom Fach verstehen. Und ich glaube, das ist so ein Punkt, der vielleicht gerade ein bisschen zu wenig Wertschätzung erfährt. Also ich glaube, Versicherungs-Know-how wird weiterhin erforderlich sein, zumindest in weiten Bereichen. Und das ist vielleicht ein bisschen auch gegen den Strich gebürstet bei uns. Aber ich habe vor einiger Zeit auch nochmal mit dem Senior Manager von ING mich unterhalten. Und er sagte, we underestimated craftsmanship. Also wir haben dieses handwerkliche Fertigkeit, Bankgeschäft bei denen, Versicherungsgeschäft bei uns. Das haben wir vielleicht ein bisschen unterschätzt und vielleicht zu gering geschätzt. Also das ist weiterhin nochmal Brot und Butter. Aber darüber hinaus brauchst du sicherlich auch so ein gewissen Azure Mindset. Das geht schon los bei den Punkten, die ich vorhin angesprochen habe. Also du möchtest gerne selber entscheiden. Möchtest gerne selber das, was du am Markt beobachtest, umsetzen in entsprechende Entscheidungen und entsprechende am Markt beobachtbare Features, Produktfeatures zum Beispiel oder Veränderungen in unseren Prozessen. Und der weitere Punkt ist sicherlich auch die Kommunikation. Wir hatten ja gesehen vorhin, du hast sehr, sehr viel Interaktion über die Chapter Days, über die Dailies, die deinen einzelnen Squads stattfinden. Also das sind, glaube ich, so die drei Hauptpunkte. Also Punkt eins sicherlich weiterhin fachliche Kenntnisse. Punkt zwei die Bereitschaft, auch Empowerment zu leben und selber die Initiative zu ergreifen. Und Punkt drei dann eine stärkere Ausrichtung, oft ein Austausch und die Kommunikation. Und man könnte jetzt sich die Frage stellen, also muss man da jetzt sozusagen im ganzen Unternehmen die Mitarbeiterschaft austauschen, weil wir da eben auch nicht unbedingt herkommen. Nee, müssen wir nicht. Allein schon aus dem ersten Grund, weil wir weiterhin eben auch die Leute brauchen, die sich in der Versicherung auskennen. Aber was ich auch beobachte, ist, dass wir ganz viele Talente im Unternehmen haben, die sich eben freuen, dass jetzt mal die Bremsklötze rausgemacht werden und dass die Gas geben können und dass die jetzt in einer Art und Weise vorankommen, die halt bisher nicht möglich war, als wir viel stärker hierarchisch organisiert sind. Ich gebe dir mal ein Beispiel. Eine Kollegin hatte eine total pfiffige Idee, wie wir eine bestimmte Leistung durch Outsourcing viel schneller und viel besser auch hinkriegen. Und da muss man halt dann auch entsprechend schnell agieren, um diese Opportunität zu ergreifen. Und dann wolltest du den Lenkungsausschuss einberufen mit zwei Vorständen und ich glaube sechs Bereichsleitern. Und allein um so einen Termin hinzukriegen, brauchst du etwa sechs Wochen Vorlaufzeit. Und dann habe ich ihr gesagt, warum brauchst du denn eine Entscheidung vom Lenkungsausschuss dafür? Spricht irgendwas dagegen, dass du die Entscheidung selber triffst? Dann hast du so ein bisschen sich reingehorcht und gesagt, ja. Nö, eigentlich bin ich ja diejenige, die da am besten weiß, was da zu machen ist. Ich habe gesagt, pass auf, dann treff die Entscheidung, informiere deinen Lenkungsausschuss per Mail drüber, gib nochmal eben die Möglichkeit, ein Veto einzulegen. und wenn er ein Veto einlegen möchte, dann möge er sich bitte selber um den Termin kümmern. So, und das hat sie dann auch gemacht und wir haben innerhalb von 48 Stunden das Thema dann umgesetzt, weil eben sie empowered war und weil sie eben auch davon Gebrauch gemacht hat. Und das ist so genau dieses, die Leute sind zum Teil nicht wirklich gewohnt, so zu agieren. Also zu sagen, ich treffe jetzt selber mal die Entscheidung. Aber in dem Moment, wo du denen die Möglichkeit eröffnest, wo du sagst, ihr seid jetzt empowered, ihr seid jetzt diejenigen, die die Entscheidung treffen, dann geht es plötzlich viel schneller. Also 48 Stunden statt sechs Wochen Vorlaufzeit. Das ist, glaube ich, so ein bisschen der Change. Das sind viele auch ready for. Es gibt sicherlich den einen oder anderen, der sagt, nee, das ist nicht meine Welt. Also muss man ganz klar sagen, auch bei mir im Tribe, Gibt es den einen oder anderen, der sagt, nee, ist nicht mein Ding. Dafür bin ich nicht vor 30 Jahren zum Beispiel hier in die Versicherung reingekommen oder auch vor drei Jahren in die Versicherung reingekommen. Ich wollte da stärker ein Umfeld haben, wo mir eben gesagt wird, was ich zu tun habe. Gibt es auch und das ist aber nicht schlimm. Also gerade auch in der Versicherung hast du halt nicht nur die Squads und die Tribes, sondern du hast auch sogenannte Customer Loyalty Teams oder du hast Operations Teams, wo man eben sehr stark auch nach dem Handbuch abarbeitet. Das sind sicherlich auch Bereiche, wo wir in der Zukunft nicht mehr so viel von brauchen, wenn stärker auch Standardprozesse automatisiert werden. Aber es gibt diese Bereiche und es wird die auch weiterhin geben. Und insofern gar nicht schlimm, wenn jemand sagt, das ist jetzt nicht mein Ding mit dem Empowerment und ich möchte was anders machen.

Joel Kaczmarek: Lass uns mal zum Thema Planung und Sprints kommen. Also du hast ja gerade ganz schön skizziert, Entscheidung in 48 Stunden umgesetzt, anstatt sechs Wochen zu warten, bis man auch nur das Go hat. Also wenn das Go sozusagen schon sechs Wochen dauert, wäre ja spannend gewesen, wie lange dann die Umsetzung gedauert hätte. Also wahrscheinlich gefühlt anderthalb Jahre. Aber wenn du jetzt in diesem agilen Setting bist, bist in deinem Tribe mit den Squads organisiert, hast die querliegenden Chapters, wie plane ich eigentlich mein Jahr oder was sind eigentlich die Planungszyklen auch? Also denkst du in Quartalen, denkst du in Halbjahren, Jahren, Monaten, Wochen? Das wäre ganz interessant mal zu verstehen.

Andreas Reinhold: Gute Frage. Das ist top down. Ich meine, du hast einerseits natürlich so eine Drei-Jahres-Vision. Wo möchtest du in drei Jahren stehen? Und das brichst du dann sehr stark auch über Finanz-KPIs getrieben auf Jahre runter und auf Quartale. Und dann machst du einmal so die Planung, was sind die Megathemen, die ich jetzt nicht, ich sage jetzt mal, auf Sprint-Basis Tag für Tag sozusagen von mir herschieben kann. Da gibt es welche. Du hattest ja mit Heiko dich auch schon mal unterhalten, wenn du ein Kernsystem hast, verändern möchtest, dann brauchst du so drei bis fünf Jahre Umsetzungszeit etwa, um das hinzukriegen. Da macht es jetzt keinen Sinn, da zu früh mit der Sprintplanung im Drei-Wochen-Zyklus zu beginnen. Also das sind eher so die strategischen Themen, die strategische Marschrichtung. Und wenn du dann die mal sozusagen praktisch durchsortiert hast, dann kommst du zum Gro der Themen, die du dann eher auch so in Jahreszeiten die anschaust. Und wir haben tatsächlich auch für den Tribe und für die einzelnen Squads uns überlegt, was wollen wir in 2021 erreichen? Auch so ein bisschen mit Blick auf das, was wir dann bis 2023 stehen haben möchten. Und das haben wir jetzt auch für das Jahr 2021 mal auf die Quartale runtergebrochen. Also womit fangen wir an? im ersten Quartal? Was kann auch vielleicht mal bis April oder bis Halbjahr liegen bleiben? Und das, was im ersten Quartal ansteht, das brechen wir jetzt in die Sprints runter. Also welche von den einzelnen Themen packen wir jetzt im ersten Sprint an? Was wollen wir auch zum Thema Nummer eins, also beispielsweise Nachhaltigkeit? Kfz-Tarif? Was kostet bei uns eine Kfz-Versicherung? Die Frage wollen wir an zwei Stichtagen in diesem Jahr beantwortet haben. Und was müssen wir dafür entsprechend an Vorbereitung im Laufe eines Sprints machen? Das läuft jetzt in den einzelnen Squads ab und da sind wir jetzt auch gerade dabei, die Sprintplanung zu machen. Und das geht dann auch mit agilen Tools wie zum Beispiel Jira. Wir merken, dass viel von den Themen, die wir vor der Brust haben, sich auch wirklich für diese Sprintplanung eignen, auch gut über solche agilen Tools vorangetrieben werden. Aber es gibt auch das eine oder andere Thema, wo man einfach mal sagen muss, das eignet sich dann nicht für eine Sprintplanung, das müssen wir da ein bisschen vor die Klammer ziehen. Und insbesondere regulatorische Themen beispielsweise, also die Erfüllung von Revisionsanforderungen, eine BAföG-Prüfung beispielsweise, eine Asylprüfung durch das Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungswesen, die kannst du jetzt nicht unbedingt nach Sprintmethodik machen. Aber andere Themen wie zum Beispiel Kfz-Tarif, bisher sehr stark Wasserfall, das machen wir jetzt sehr stark über diese Sprints, genau bis zum Herunterbrechen, also strategisch Level, wo wollen wir in drei Jahren sein, was heißt das für das laufende Jahr 2021, was heißt das für das erste Quartal und daraus leiten wir dann die Sprintziele ab.

Joel Kaczmarek: Und bei der Zielsetzung, seid ihr da mehr in Richtung Stretch Goals unterwegs, also ambitionierte Ziele, wo man versucht, die Organisation eher ein bisschen unter Druck zu setzen und zu sagen, wenn man sich sehr anstreckt, schafft man das oder versucht man möglichst sehr realistisch zu planen?

Andreas Reinhold: Ich würde mal sagen, es ist ein bisschen eine Mischung zwischen stretch und realistisch. Und ich glaube, wir waren bisher sehr stretch unterwegs. Was ich gerade feststelle, ist, dass die Kolleginnen und Kollegen im Team das ein bisschen Überhitzungserscheinungen haben. Das hängt vielleicht auch ein bisschen damit zusammen, wenn du aus der alten Organisation in die neue Organisation reingehst, dann brauchen die Zahnräder ein bisschen Zeit, um ineinander zu greifen. Und dann fliegen da mal ein bisschen Späne und dann hobelt sich da mal ein bisschen Metall ab und das ist durchaus schmerzhaft und das kostet auch sehr viel Energie. Und ich merke gerade, dass das sehr viel Energie abverlangt, dass das die Leute auch persönlich sehr stark fordert, bis an einen Punkt, wo dann auch so ein bisschen Überlastungserscheinungen drohen. Das ist dann, glaube ich, so ein bisschen der Punkt, wo du dann mal überlegen musst, wie stretch gehst du dann vor, wenn du insgesamt merkst, dass dein Team gerade so an der Belastungsgrenze arbeitet. Aber das ist, glaube ich, dann auch ein Punkt, wo dann auch das Tribelead so ein bisschen in der Verantwortung steht, den Druck rauszunehmen und jetzt nicht zu hart darauf, irgendwelchen sehr ambitioniert gesetzten finanziellen zu bestehen. Aber es wird auch andere Zeiten geben und ich glaube, das sind dann auch Zeiten, wo man dann wieder eher auf Stretch geht. Und ich glaube, das ist auch wichtig. Ich gebe dir mal ein Beispiel. Wir haben aktuell gerade in einem bestimmten Bereich etwa einen Zeitdauer von acht Wochen, bis der Kunde von uns eine Police kriegt. Also du sagst uns, ich möchte jetzt gerne bei euch in der Versicherung abschließen. Und dann dauert es acht Wochen, bis du von uns einen Brief kriegst. In dem steht drin, lieber Joel, du bist jetzt bei uns versichert. Das ist zugegebenermaßen nur in einem relativ kleinen Geschäftsbereich in der gewerblichen Sachversicherung, wo dann teilweise auch Risiken mit 10 Millionen, 20 Millionen, 30 Millionen Euro versichert sind. Aber das ist natürlich nicht kundenorientiert. Und jetzt kann man sagen, okay, wir setzen uns das Ziel, die acht Wochen auf vier Wochen runterzukriegen. Das wäre nicht wirklich Stretch. Und ich glaube, das ist so ein Punkt, wo, wenn ich jetzt fragen würde, liebe Squad, was stellt ihr euch vor? Dann würden die sagen, nee, Andreas, pass mal auf, wir kriegen das jetzt von acht Wochen runter, kriegen wir das auf zwei Wochen. Und wir sind Stretch, wir schaffen das jetzt in einer Woche. Und das ist, glaube ich, so dann der Punkt, wo ich dann das Tri-Plate nochmal gegenhalten muss und sagen muss, nee, pass mal auf, Leute, schön und gut, also von acht auf eine Woche, das ist schon gut. Ich hätte gerne 60 Sekunden. Und dann kommt natürlich der Aufschrei, das geht überhaupt nicht. Und dann würde ich ganz gerne mal verstehen, nennt mir bitte mal einen physikalischen Grund, warum 60 Sekunden nicht gehen. Das ist, glaube ich, so der Punkt, den wir dann, wenn wir jetzt mal so diese Anfangsphase hinter uns gebracht haben, wo wir hinkommen müssen. Also Stretch-Targets im Sinne von Challenge das bisher Gewohnte und hier nicht viel stärker am physisch Möglichen.

Joel Kaczmarek: Ja, spannend. Also es ist ja echt ganz interessant, was man da mal merkt. So dieses Austarieren ist, glaube ich, ganz wichtig. Gerade wenn so eine Komplexität in so einem Modell ist, ist die Steuerung natürlich sehr, sehr essentiell. Normalerweise würde ich dich jetzt auf Sprint und Sprintplanung festnageln, aber ich glaube, da vertagen wir mal unsere Hörerinnen und Hörer in unserem Agile Leadership Podcast, der demnächst mit Heiko kommt, beziehungsweise hatten wir auch einiges schon dazu. Was ich noch spannend finde, wäre, wenn wir über diese ganze Tribe-Organisation sprechen, dieses Tribe-Modell, wie hat denn das ganze Thema Remote, also Remote-Effekte auch durch Corona, das Arbeiten verändert? Hat es das eher befördert, hat es behindert, hat es irgendwie auf der einen Seite Schmerzen gebracht, auf der anderen Seite Nutzen? Was war so dein Ergebnis, wenn du das mal im Nachtrag beobachtest?

Andreas Reinhold: Sowohl als auch. Ich glaube, du kannst bis zum gewissen Grad durchaus remote arbeiten und zwar in einem Maß, was wir früher wahrscheinlich nicht für Möglichkeiten haben. Also vor etwa einem Jahr, als Corona noch nicht wirklich ein Thema war außerhalb von Wuhan, da war eigentlich bei uns die ganz klare Arbeitshypothese, Squads müssen physisch arbeiten. Das geht nicht, die müssen alle in den Raum und es geht nicht, dass die dann irgendwie remote arbeiten. Und das wäre ehrlich gesagt für uns als Konzern ein Riesenproblem gewesen. Warum ist das so? Wir haben zwei gleichberechtigte Hauptverwaltungen, eine in Dortmund und eine in Hamburg. Und gerade wenn du interdisziplinär arbeiten möchtest, du hast ja dann häufig die Situation, dass eben bestimmte Kompetenzzentren oder bestimmte Chapter eher in Hamburg sind und bestimmte andere Kompetenzzentren eher in Dortmund. Das war früher kein Problem, wo du halt in Silos gearbeitet hast und der Austausch zwischen den Silos dann eher sporadisch war und eher auch gar nicht gewollt. Aber das ist ein Problem in dem Moment, wo du interdisziplinär arbeitest. Und insofern, also wenn jetzt Corona nicht gekommen wäre, hätte ich ein riesengroßes Problem gehabt. weil ich einerseits interdisziplinär arbeiten möchte, ich möchte sowohl die Apachen als auch die Schonen in den Scores drin haben, aber halt der eine Stamm woanders sitzt als der andere Stamm. Und durch Corona sind wir in eine Situation gekommen, wo ein physisches Treffen nicht mehr möglich war. Dann haben wir Wir haben ja auch die ganze agile Transformation auf eine agile Art und Weise gemacht. Da haben wir uns die Frage gestellt, legen wir das Ganze jetzt auf Eis, bis Corona vorbei ist? Und die Antwort ist nein. Wir entwickeln Tools, wir entwickeln Arbeitsweisen, wir entwickeln Verhaltensmuster, um trotz Corona, trotz Remote eben agil arbeiten zu können. Und auch wenn wir das vorher nie für möglich gehalten haben, hat das schon ziemlich gut funktioniert. Das hängt auch damit zusammen, dass Heiko Burdack und sein Team uns ja auch echt coole Tools zur Verfügung gestellt haben. Die Möglichkeit, mit Skype zum Beispiel zu arbeiten, das hat früher immer ziemlich geruckelt und das war auch nicht so ein Problem, weil man sich eben für wichtige Themen physisch zusammengesetzt hat. Aber seit Corona haben wir da eine ganz andere Infrastruktur auch zur Verfügung gestellt bekommen. Wir nutzen dann eben auch Tools wie zum Beispiel Jira oder wie Miro als Kreativitätstool. Wir nutzen OneNote in viel stärkerem Umfang, um das festzuhalten, was du früher vielleicht so als Post-it an die Wand gepappt hast. Also insofern, das sind ganz neue Tools entstanden. Aber was ich schon merke ist, wir zehren da gerade noch so ein bisschen Kapital auf und das Kapital ist die Kenntnis der handelnden Personen und die Vertrautheit miteinander, die glaube ich eine ganz, ganz wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass du mit wenig Reibungsverlusten zusammenarbeiten kannst. Und wir hatten 2019 bei mir im damaligen Bereich uns mal alle zusammengerottet und es war wirklich, es bei Spannende Tage im Juni 2019 Offsite verbracht. Das war extrem wichtig, um die Leute mal zusammenzubringen. Und auch im letzten Jahr, im September 2020, da gab es ja so ein Fenster, wo der erste Lockdown vorbei war, aber der zweite Lockdown noch nicht begonnen hatte, wo ich dann einen Teil von meinem Führungsteam mal zusammengerufen hatte, um sich Offsite für anderthalb Tage zu treffen. Das war extrem wertvoll und extrem wichtig. Und ich glaube, wenn uns das nicht möglich ist, da wird uns dauerhaft was fehlen. Das ist, glaube ich, so die Riesenherausforderung, jetzt auch in Corona-Zeiten wieder zum vernünftigen Modus zu kommen. Was machst du persönlich zusammen On-Site oder im Off-Site? Was kannst du dann aber auch remote machen? Und wir werden sicherlich deutlich mehr remote arbeiten als in der Vergangenheit. Und Ich glaube, das Thema, also gerade jetzt bei uns im Konzern, die zwei unterschiedlichen Standorte, was bisher auch so ein bisschen als Wettbewerbsnachteil gesehen wurde, weil man sich eben nicht so gut austauschen konnte, das ist vielleicht jetzt auch mehr und mehr ein Wettbewerbsvorteil, weil wir beim Recruiting eben nicht nur darauf angewiesen sind, dass wir den Spezialisten in Dortmund finden müssen, sondern wir können auf zwei große Städte zurückgreifen. Also insofern, das hat auch was Positives mit Remote. Können vielleicht auch Leute einbinden, die gar nicht in einem der beiden Standorte sind, sondern jetzt zum Beispiel haben total fit Mitarbeiter rekrutiert, der einen großen Teil seiner Zeit in Kroatien verbringen möchte. Also ganz, ganz neue Chance auch eben Skills in die Organisation reinzubringen, zu denen du früher gar keinen Zugang hattest wegen der Standortbindung. Aber ich glaube, du brauchst so eine gewisse Basis an persönlicher Vertrautheit, damit du eben weiß, mit wem du es zu tun hast, auch weiß, wie der tickt und dann auch mal Sachen auf dem kurzen Dienst erklären kannst.

Joel Kaczmarek: Ich wollte dich gerade fragen, ob ihr auf Deutsch oder auf Englisch arbeitet, weil die logische Konsequenz dessen wäre ja eigentlich weltweit mein Personal zu sourcen, oder?

Andreas Reinhold: Das wird, glaube ich, echt schwierig wegen der Sprachbarriere, weil du halt viele Mitarbeiter im Haus hast, die nicht so fit in Englisch sind, dass man da eben auch Projekte auf Englisch machen könnte. Die Überlegungen sind schon da. Wir haben auch eine Tochtergesellschaft in Rumänien, Bulgarien beispielsweise oder in Ungarn. Und da gibt es auch sehr, sehr gut ausgebildete Leute mit Skills, die wir dringend benötigen im Umfeld Data Analytics, im Umfeld Number Crunching, Aktualität etc., Das wäre natürlich schon cool, wenn wir das stärker nutzen könnten. Aber da merkst du einfach, die Sprachbarriere ist schon echt schwierig. Klar, du kannst dann sagen, der Kontakt fokussiert sich auf ein, zwei Leute in den Squads, die dann auch Englisch können. Aber in der Praxis heißt das halt, dass du immer so eine doppelte Buchführung haben möchtest, dass wichtige Dokumente eben bilingual erstellt werden müssen. Und das ist in der Praxis dann schon noch ein bisschen eine Schwierigkeit. Also da sind andere Unternehmen sicherlich deutlich weiter unterwegs. Fairerweise hast du in der Versicherungsindustrie bisher immer noch sehr stark so eine Marktbindung und so eine richtige Internationalisierung im Sinne von, dass da europaweite oder weltweite Geschäftsmodelle etabliert worden sind. Die gibt es nicht. Auch die großen internationalen Player haben lokale Repräsentanzen und lokale Versicherungsgesellschaften, wie in Zürich, wie in der AXA oder in der Allianz, die dann halt von Deutschland aus in den Auslandsgesellschaften ist. Insofern haben wir da noch ein bisschen Glück und leben auch in einer anderen Welt als zum Beispiel Spotify oder Microsoft.

Joel Kaczmarek: Gut, vielleicht abschließend, weil wir haben jetzt ganz viel gelernt über die Organisation, mit der ihr quasi euer Kerngeschäft transformiert. Hast du Lust oder die Möglichkeit, noch ein paar Frontbeispiele zu geben, auch wenn ja schon ganz viele dabei waren, weil ich gelernt habe, dass dieses ganze Thema New Mobility vor allem eines ist, in dem ihr sehr, sehr viel gearbeitet habt und haben ja auch mit dem Johannes, mit eurem Chef irgendwie schon mal drüber geredet, als zum Beispiel diese ganzen E-Floater aufkamen, dass man ja da als Versicherungskonzern sich auch ganz neue Gedanken machen musste und schnell handeln. Hast Hast du so ein, zwei Beispiele, was ihr so an Projekten in dem Bereich habt, die vielleicht auch sozusagen auf dieses Modell zurückgehen und wo man auch mal Effekte aufzeigen kann?

Andreas Reinhold: New Mobility ist ein gutes Beispiel. Also fair zu sein, wir haben das Thema gestartet zum Zeitpunkt, als wir noch nicht agil transformiert waren. Aber ich glaube, so diese Art und Weise, wie wir an das Thema herangegangen sind, das ist ein ganz guter Blueprint für das, was wir jetzt auch hier vor uns haben. Ein wesentlicher Punkt ist, dass du halt extrem customer-centric arbeitest und das war zum Beispiel auch New Mobility. Also wir hatten natürlich schon die strategische Absicht, in das Thema reinzugehen und der erste Kundenkontakt, den wir dazu hatten, der wollte halt eine E-Scooter-Absicherung in Deutschland haben. Haben wir gesagt, ist ein bisschen unkonventionell. Also wenn du mit einer klassischen Tarifierung rangehst, dann kommst du da halt auf ein Modell. Das hat denen aber nicht wirklich Spaß gemacht. Und während wir mit ihnen noch am Diskutieren waren, hatten wir gesagt, nee, also neue Entwicklung. Wir wollen jetzt keine E-Scooter in Deutschland machen, wir wollen die in Spanien machen. Dann haben wir uns die Frage gestellt, wie kriegen wir das denn hin? Haben versucht, spanische Kooperationsversicherer zu finden, aber das hat überhaupt nicht geklappt, weil die halt auch in ihren Risikokomitees gesagt haben, also E-Scooter haben wir jetzt keine hundertjährigen Zeitreihen und deswegen können wir das nicht tarifieren, deswegen lassen wir da die Finger von. Okay, also 14 Tage vor Weihnachten 2018 war diese ganze Thematik und der Kunde brauchte halt spätestens am 20.12. die Zusage, sonst hätte er den Markt-Entry nicht bekommen. Wir haben dann relativ schnell so ein, wir würden heute sagen, ein Squad zusammengestellt, um dann die verschiedenen Themen, also wie wickeln wir das ganze Thema ab, wie preisen wir das Ganze, wie kriegen wir das Ganze auch im spanischen Markt dann umgesetzt herzustellen. Und wir haben dann über Freedom of Service, also über die Möglichkeit, innerhalb von der Europa-Finanzdienstleistung anzubieten, diese Abdeckung hinbekommen. Der Kunde war damals relativ wenig preissensitiv, auch deswegen, weil es den halt hauptsächlich darum ging, jetzt in den Markt reinzugehen. Was da die Versicherung kostet, das war nebensächlich. Nichtsdestotrotz haben wir uns damals schon Gedanken gemacht, wie müsstest du eigentlich idealerweise Scooterverleih preisen? Der klassische Deutsche Versicherer sagt, ein Kfz hat einen Jahresbeitrag. Kfz-Versicherung zahlst du halt 300 Euro pro Jahr im Durchschnitt. Und das war auch der erste Ansatz. Ein E-Scooter kostet halt 300 Euro pro Jahr oder was immer auch. 50 Euro pro Jahr, was immer auch. Das ist aber total doof für einen Scooter-Betreiber, weil du hast erstmal einen enormen Cash-Out und du hast überhaupt keine Ahnung. Das ist ein enormes Risiko, ob jetzt tatsächlich die Scooter genutzt werden oder auch vielleicht nicht. Klar hast du auch ein geringes versicherungstechnisches Risiko, wenn die nur rumstehen und nicht gefahren werden. Aber das ist ja auch für die Kfz-Versicherung erstmal wurscht. Die 300 Euro fürs Auto zahlst du. Und da haben wir relativ schnell gemerkt, dass der Kunde eigentlich was ganz anderes braucht als erstmal 50 Euro Cashout für jeden Scooter. Und dann haben wir lange mal auch intern überlegt, ob wir das risikotechnisch darstellen können und kamen letztlich dann auch durch die Diskussion mit dem Kunden zu dem Punkt, am genialsten ist es eigentlich, wenn wir sagen, wenn er mehr verdient, zahlt er mehr, wenn er weniger verdient, zahlt er weniger. Wir machen einfach. Der kann zu hoch sein oder der kann zu niedrig sein. Aber das ging damals um die Frage, hast du 50.000 Euro oder 100.000 Euro Beitrag zu zahlen? Und da wir insgesamt ein Buch mit etwa 1,2 Milliarden Prämien haben, haben wir nachher gesagt, also ob es 50.000 oder 100.000 Euro sind, das ist ein Risiko, was wir in diesem Fall auch mal tragen können. Ich glaube, dafür sind eben genau Versicherungen da, gegen ein relativ großes Buch dann eben auch mal solche Risiken abzubauen. gewonnen. Genau das haben wir gemacht und dadurch haben wir eben durch eine agile Arbeitsweise ein Modell entwickelt, minutenbasiertes Pricing, was komplett gegen den Strich des deutschen Underwriters bürstet, auch komplett abweicht von den Usancen des deutschen Kfz-Versicherungsmarktes, was dann eben extrem gut zugestimmt war auf den Bedarf dieses einen Kunden. Das ist glaube ich so ein Beispiel, wo man praktisch durch eine agile Arbeitsweise, man ist interdisziplinär unterwegs, hat die Leute aus den verschiedenen Kompetenzbereichen oder wir würden jetzt sagen Chaptern im Team. Dadurch, dass man sehr interaktiv auch mit dem Kunden arbeitet, konzentriert Arbeit zur Lösung kommt, die halt richtig Spaß machen und eben auch solche Geschäftsmodelle wie den E-Scooter-Bereich voranbringen.

Joel Kaczmarek: Und wäre es denkbar, dass ihr solche Modelle auch dann auf eure Kerngeschäfte übertragt? Also könnte man als Autofahrer auch sagen, ich buche mir irgendwie so ein bisschen risikoaffineren Tarif bei euch, der berücksichtigt mit so einem Fahrtenschreiber in meinem Auto oder wenn ich das Auto das schon verbaut habe, wie viel ich das Ding eigentlich bewege, weil du hast ja komplett recht, das gilt ja für das Auto eigentlich genauso. Wenn ich Vielfahrer bin und quer durch die Republik fahre oder in einer Stadt, wo vielleicht Unfallgefahr viel höher ist, ist es ja ein anderer Schnack, als wenn das Ding eigentlich gefühlt so ein Garagenauto ist.

Andreas Reinhold: Da hast du vollkommen recht. Also das sind die Überlegungen, wo wir auch dabei sind, uns schrittweise ranzutasten. Entscheidend ist halt dann die Frage, was Kunden wirklich wollen. Und bei der Kfz-Versicherung ist das sicherlich eine Überlegung. Auf der anderen Seite, wenn du mal auf deine Handyrechnung guckst, früher gab es ja Ich weiß nicht, ob du alt genug bist, um das noch zu erinnern. Es gab ja wirklich Abrechnungen. Sie haben so und so viele Minuten innerhalb von Berlin telefoniert, Ortsgespräch. Sie haben so und so viele Minuten mit Potsdam, Zone 1 telefoniert und so weiter. Heute hast du Flatrate, deutsches Festnetz, deutsches Mobilfunknetz, teilweise auch europaweite Flats und so weiter. Und das ist so genau die Überlegung in der Kfz-Versicherung. In der Kfz-Versicherung hast du heute eine Flatrate, 300 Euro ein Jahr fahren. Willst du jetzt wirklich von dieser Flatrate weg zum, ich möchte das Ganze nochmal wirklich verstehen, also 3 Cent für jeden gefahrenen Kilometer in Berlin, 1,5 Cent für jeden gefahrenen Kilometer in Potsdam und so weiter? Oder bist du eher nochmal an dem Punkt, wo du sagst, nee, ich möchte ganz gerne Flatrate haben? Ich glaube, dass es Kundensegmente gibt, die möchten gerne weg von der Flatrate, die sind auch deutlich besser bedient. Aber das ist genau die Challenge für unsere Squad jetzt mal rauszukriegen. Gibt es signifikante Segmente im deutschen Kfz-Versicherungsmarkt, die eben keine Lust mehr haben auf die Flatrate? Es gibt schon einzelne Mitbewerber, die das so machen, aber das wird tendenziell dann eher so in den Hochrisikogruppen sein, also junge Fahrer. Gerade UK zum Beispiel, da hast du typischerweise bei den älteren, erfahrenen Fahrern hast du Flatrates und bei den Jungen hast du Pay Per Minute oder Pay Per Mile. Das ist also super spannend. Du hast eine super spannende Frage gestellt und ich kann dir keine Antwort geben, aber die Squads, die da deutlich näher an den Kunden dran sind, die werden da mit Sicherheit ran an das Thema und auch mit entsprechenden Lösungen kommen und dadurch den Markt für Kfz für sich aufmischen, um mal nur ein Beispiel zu nennen.

Joel Kaczmarek: Gut, Andreas, es war doch zum Ende nochmal irgendwie ein schöner Eindruck, wie diese ganze Organisationsstruktur quasi genau solche Dinge im Kerngeschäft aufbrechen kann. Vielen, vielen Dank. Also es hat sehr viel Spaß gemacht, das mal von dir auch an vielen Beispielen erklärt zu bekommen. Und ja, hoffentlich haben auch viele, die jetzt zugehört haben, vielleicht einen Anreiz, mal über solche Elemente nachzudenken. Und ja, wir holen uns dann für ein Update von dir ein, würde ich sagen, wenn das Ganze sich ein bisschen weiter noch gesettelt hat, wie sich das so entwickelt. Also schon mal lieben Dank dir.

Andreas Reinhold: Ganz, ganz lieben Dank für die Teilnahme am Podcast und ja, bleibt dran. Ich bin sicher, wir werden da noch das eine oder andere Thema haben, mit dem wir hier den Markt aufmischen können. Mach's gut.